Süddeutsche Zeitung

Merkel-Nachfolge:Die große Chance der CDU

Der Auftritt von Annegret Kramp-Karrenbauer zeigt, dass die CDU ein spannendes und völlig offenes Rennen um den Vorsitz erleben wird. Daneben sehen andere plötzlich ganz alt aus.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Im Wettstreit um die Nachfolge von Angela Merkel gehörte Friedrich Merz der Überraschungseffekt. Seine Kontrahentin Annegret Kramp-Karrenbauer aber hat am Mittwoch nachgezogen. In gut vierzig Minuten hat sie keinen Zweifel mehr gelassen an ihrem Ehrgeiz, ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Chuzpe. Wer unsicher war, ob sich die Frau wirklich trauen würde, kann diese Unsicherheit jetzt vergessen. Kramp-Karrenbauer hat eine zentrale Botschaft geliefert: Ich kann das.

Noch bemerkenswerter als ihr Machtwille ist allerdings ihre Fähigkeit, sich als enge Begleiterin der Kanzlerin zu beschreiben und gleichwohl eine harte Grenze zu ihr zu ziehen. Sie hat offen und empathisch berichtet, wie sehr sie Angela Merkel schätzt und wie viel die CDU ihr zu verdanken habe. Anschließend aber hat sie übergangslos "die bleierne Zeit" der letzten Monate beklagt - und damit einen Begriff verwendet, der Merkel sehr schmerzen dürfte.

Viele Beobachter haben den Spagat zwischen alter Loyalität und neuem Anfang für Kramp-Karrenbauers größte Baustelle gehalten. Auch das könnte sich schon jetzt erledigt haben. Kramp-Karrenbauer wird in den kommenden Wochen beides zeigen: Zuneigung und Neuanfang. Das ist eine Mischung, die in der CDU viele als angenehm empfinden werden.

Die CDU wird zwangsläufig klären müssen, wie sie zu den Ereignissen des Jahres 2015 steht

Umso spannender wird nun zu beobachten sein, wie sich Friedrich Merz in den kommenden Tagen präsentieren wird. Kann er bescheiden auftreten? Kann er nicht nur Distanz, sondern auch Nähe? Schafft er es, den Übergang in der Partei integrierend zu beschreiben und dabei glaubwürdig zu erscheinen? Es wird eine große Herausforderung für ihn werden.

Nicht nur das dürfte interessant werden. Denn mit Kramp-Karrenbauer auf der einen und Jens Spahn auf der anderen Seite wird die CDU zwangsläufig die Frage klären müssen, wie sie zu den Ereignissen des Jahres 2015 steht. Die Flüchtlingskrise schwebt bis heute über vielem; nicht wenige haben sich von der Partei abgewandt, weil sie das Gefühl hatten, manche Probleme würden ausgeblendet oder kleingeredet statt sie entschlossen anzugehen.

Darüber aber stülpte sich der Streit um die Frage, ob man am Ende eben nicht doch die Grenzen hätte schließen können oder müssen. Hier nun wird klar, dass zwischen Kramp-Karrenbauer und Spahn Welten liegen und Friedrich Merz an der Stelle sich auch nicht wird herauswinden können. Die CDU muss und wird mit der Wahl eines neuen Vorsitzenden einen Standpunkt einnehmen.

Damit bekommt die CDU genau das, was sie im Ringen um mehr Attraktivität und neue Energie dringend benötigt: einen spannenden, demokratischen Wettbewerb um die Macht. Wer hätte das vor zwei Wochen für möglich gehalten?

Andere lässt das plötzlich ziemlich alt aussehen. Das gilt für den Koalitionspartner SPD, der diese Art des offenen Duells zuletzt sehr gescheut hat. Es gilt aber noch viel mehr für die Schwesterpartei CSU, die vom Vorleben eines offenen demokratischen Wettstreits furchtbar weit entfernt ist. Mal sehen, ob die CDU ansteckend wirkt. Es wäre kein Fehler, wenn man den Anti-Demokraten in Deutschland und Europa etwas entgegensetzen möchte.

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