Süddeutsche Zeitung

CDU-Chefin in Brüssel:"Offensiv und ohne Angst" für Europa

  • Bei ihrem ersten Auftritt in Brüssel plädiert die CDU-Chefin für eine gemeinsame Verteidigungspolitik, zu der "irgendwann auch eine europäische Armee" gehören müsse.
  • Kramp-Karrenbauer setzt im Wahlkampf auf die Themen Sicherheit und Migration und stellt sich hinter das Spitzenkandidaten-Prinzip zur Kür des nächsten Chefs der EU-Kommission.
  • Die Bürger fordert sie in einem leidenschaftlichen Plädoyer auf, das europäische Friedensprojekt "ohne Kleinmut und Verzagtheit" zu verteidigen.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Die Neugierde ist enorm auf den Gast aus dem Saarland. Intensiv hatte das politische Brüssel den Kampf um die Nachfolge von Angela Merkel an der CDU-Spitze verfolgt, denn schließlich ging es hier um die möglicherweise nächste Regierungschefin des einflussreichsten EU-Landes.

Dass sich mit Annegret Kramp-Karrenbauer jene Kandidatin durchsetzte, die den bisherigen Kurs am ehesten fortsetzen und Merkels Zeit im Amt verlängern würde, wurde im Machtzentrum der EU mit Erleichterung aufgenommen - selbst das Kürzel AKK hat sich hier etabliert.

Als die neue CDU-Chefin bei ihrem ersten Auftritt in Brüssel ans Rednerpult tritt, hören neben vielen Europaabgeordneten von CDU und CSU mindestens zwei Dutzend ausländische Journalisten zu. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat Simultandolmetscher angeheuert, damit alle mitkriegen, was Kramp-Karrenbauer zu "Unser Europa. Sicherheit, Frieden und Wohlstand in einer Welt im Wandel" zu sagen hat.

Sie beginnt mit einem Scherz: Dass CDU und CSU nach all dem Streit des vergangenen Jahres nun mit einem gemeinsamen Spitzenkandidaten in den Wahlkampf ziehen, sei ein weiterer Grund, warum "Europa für mich ein Friedensprojekt ist".

"Überzeugte Herzenseuropäerin und Überzeugungstäterin"

Solche Worte freuen vor allem den CSU-Politiker Manfred Weber, der als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) Jean-Claude Juncker nachfolgen will und den Abend quasi als Vorband eröffnet hatte. "Es darf keinen Zweifel daran geben, dass nur derjenige Präsident der EU-Kommission werden kann, der Spitzenkandidat war", sagt Kramp-Karrenbauer und erklärt, dass diese "demokratische Errungenschaft" nicht abgegeben werden dürfe.

Dass vor vierzig Jahren die ersten Wahlen fürs Europaparlament stattfanden, ist einer von mehreren Jahrestagen, auf die sich die "überzeugte Herzenseuropäerin und Überzeugungstäterin" in ihrer Rede bezieht. Bis zum Wahltag am 26. Mai will sie kämpfen für ein "Europa, das Hoffnung macht und Maßstäbe setzt". Die EU müsse geschlossen agieren, um nicht auf globaler Bühne zum "Spielball" zwischen China, Russland und den USA zu werden.

"Der Wohlstand wird nicht mehr bei uns generiert, deswegen müssen wir uns besser aufstellen, um nicht zur verlängerten Werkbank zu werden", ruft Kramp-Karrenbauer und fordert wie zuvor CSU-Mann Weber angesichts des sich abzeichnenden Neins der EU-Kommission zur Fusion der Zughersteller Siemens und Alstom eine Reform des EU-Wettbewerbrechts.

Als achte CDU-Chefin ist Kramp-Karrenbauer in einer Reihe mit Helmut Kohl, doch noch häufiger verweist die Saarländerin auf Robert Schuman, der aus der gleichen Region wie sie stammt. Der Gründer der Montanunion hat stets gefordert, Europa "alltagstauglich" zu machen. Dazu gehört für die CDU-Chefin etwa der Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit, die Sicherung von Wohlstand oder die Förderung von Zukunftstechnologien.

Im Wahlkampf will Kramp-Karrenbauer auf die Themen Sicherheit und Migration setzen. Der Umgang mit Zuwanderung werde eine der wichtigsten Herausforderungen bleiben, sagt die CDU-Chefin und fordert einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen: "Der Schengenraum ist Grundlage des Binnenmarkts und damit Grundlage unseres Wohlstands. Um Schengen nach innen offen zu halten, muss es nach außen sicher sein."

Dazu gehört für Kramp-Karrenbauer auch eine gemeinsame Verteidigungspolitik, zu der "irgendwann auch eine europäische Armee" gehören müsse. Diese werde zwar nationale Armeen nicht ersetzen, sondern diese ergänzen und etwa für europäische Interessen eingesetzt werden. Sie warnt davor, angesichts der wirtschaftlich engen Verpflichtungen davon auszugehen, dass es in Europa immer Frieden geben werde - diese Überzeugung habe es direkt vor dem Ersten Weltkrieg auch gegeben.

Angesichts des 100. Jahrestags der Ausarbeitung der Weimarer Verfassung fordert Kramp-Karrenbauer die Bürger auf, Demokratie und den Gedanken der europäischen Integration vehement gegen Populisten zu verteidigen. Die AfD liege falsch mit ihrer Behauptung, dass es einen Widerspruch gebe zwischen dem Einsatz für nationale Interessen und einer guten Entwicklung der Nachbarn sowie der Beachtung derer Bedürfnisse, so Kramp-Karrenbauer.

Im Umgang mit Osteuropa will die CDU-Chefin die Auseinandersetzung über "kritische Entwicklungen" wie den Rückbau der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen nicht scheuen, aber sie fordert im 30. Jahr des Mauerfalls weniger Überheblichkeit: "Ohne Solidarność, ohne Papst Johannes Paul II und ohne ungarische Grenzöffnungen hätten wir die deutsche Einheit so nicht erreicht. Dafür gebührt den Osteuropäern unser Dank und das sollten wir nicht vergessen."

Was Europa mit einer Patchwork-Decke zu tun hat

Ihre Forderung, "offensiv und ohne Angst" für Europa zu werben, wird gerade in Brüssel besonders positiv aufgenommen. Aber ihr leidenschaftliches Plädoyer soll auch auf deutschen Marktplätzen zu hören sein: "Ich will mir irgendwann nicht von meinen Kindern den Vorwurf machen lassen: 'Ihr habt damals 2019, als ihr die Möglichkeit hattet, nicht dafür gesorgt, dass Europa der Kontinent bleibt, von dem Hoffnung ausgeht und der Maßstäbe setzt'."

Es gebe keinen Grund, kleinmütig und verzagt zu sein - und in historischer Perspektive gehöre wenig Mut dazu, sich für das Friedensprojekt Europa einzusetzen. Mutig seien jene Menschen gewesen, die vor 30 Jahren in der DDR für Demokratie auf die Straßen gegangen seien und Prügel und Gefängnis riskierten. Und besonders mutig seien jene französischen Politiker gewesen, welche nach zwei verheerenden Weltkriegen bereit waren, dem Erzfeind Deutschland die Hand zu reichen und den "Kreislauf aus Gewalt und Krieg" zu durchbrechen.

Oft wird deutlich, wie sehr die neue CDU-Chefin durch ihre Herkunft im Dreiländereck zwischen Saarland, Luxemburg und Frankreich geprägt wurde. Für die Bürger sei wichtig, dass Europa für sie funktioniere - etwa indem ein Schlaganfall-Patient zum nächstgelegenen Krankenhaus gebracht werden kann, unabhängig davon, in welchem Land es steht.

Ihr gefalle der Spruch des belgischen Politikers Karl-Heinz Lambertz, der Europa mit einer Patchwork-Decke verglichen habe: "Deren Qualität entscheidet sich eben nicht an der Qualität der einzelnen Flecken, sondern an der Qualität der Nähte." Diese Nähten seien die Grenzregionen, die nach dem Wunsch von Kramp-Karrenbauer zu europäischen Testlabors mit viel Spielraum werden sollen, um neue Ansätze und praktische Ideen "unabhängig vom nationalen Recht" ausprobieren zu können.

Ob diese Idee wirklich prominent im Wahlprogramm von CDU und CSU auftauchen wird, muss sich noch zeigen. Nach ihrer halbstündigen Rede wird Annegret Kramp-Karrenbauer heftig beklatscht, was nicht nur an den vielen Sympathisanten im Publikum liegt. "Es ist völlig undenkbar, eine so proeuropäische Rede von einem Christdemokraten aus meinem Land zu hören", meint anschließend ein Reporter aus den Niederlanden.

Ihre Brüsseler Premiere ist Annegret Kramp-Karrenbauer ziemlich gut gelungen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4318605
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/wib/ghe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.