CDU in Sachsen-Anhalt:Höllische Harmonie

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Ministerpräsident Wolfgang Böhmer macht den Weg frei für seinen Nachfolger Reiner Haseloff. Der hat gute Chancen, nach der Landtagswahl in die Staatskanzlei einzuziehen, obwohl er immer noch auftritt wie ein beflissener Schüler.

Lena Jakat

Oben auf der Leiter steht Reiner Haseloff, von untern reicht ihm Ministerpräsident Wolfgang Böhmer die zweite Eins in "2011". Unter der Heimwerker-Szene wünscht ein Schriftzug "Sachsen-Anhaltend erfolgreich auch im neuen Jahr", das Plakat sieht aus wie von einem CDU-Neujahrsempfang übriggeblieben. Es hängt an einer geriffelten Glastür. Dahinter warten der alte und der möglicherweise künftige Ministerpräsident Sachsen-Anhalts auf ihren letzten großen gemeinsamen politischen Auftritt.

Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister und CDU-Spitzenkandidat Reiner Haseloff posiert vor einem Plakat der CDU. (Foto: dapd)

Noch ein letztes Mal tritt Haseloff als ein Minister seines Chefs vor das Publikum beim politischen Aschermittwoch in der Darlingeröder Sandtalhalle. Schon seit Jahren galt der 57-Jährige als wahrscheinlicher Nachfolger Böhmers - doch erst als der im vergangenen März bekanntgab, nicht mehr anzutreten, wurde die Thronfolge offiziell. Knapp ein Jahr später, zehn Tage vor der Landtagswahl, ist dem Spitzenkandidaten die Anspannung anzumerken. Geduld ist keine Eigenschaft, die Haseloff auszeichnet. Er selbst sagt, er wünsche sich mehr davon. Doch das Warten hat sich gelohnt: Wenn die Umfragen recht behalten, zieht Haseloff in wenigen Wochen aus dem Wirtschaftsministerium in die Staatskanzlei um.

Kurz nach der Wende holten Haseloff und sein Bruder Böhmer selbst in die CDU. "Wir haben einen gesucht, der für uns in den Landtag geht", sagt Haseloff. "Es war gut, dass wir ihn gefunden haben, auch historisch betrachtet." Böhmer selbst sagt, dass er "aus Dummheit" in die Politik gegangen sei - er habe die Arbeit unterschätzt, geglaubt, er könne weiterhin als Arzt praktizieren.

Vielleicht sieht sich Haseloff wegen dieser gemeinsamen Geschichte als rechtmäßiger Thronfolger Böhmers. Doch dessen Fußstapfen sind groß: Der 75-jährige Böhmer kann nicht nur zwei erfolgreiche Legislaturperioden vorweisen, er erfreut sich in einem Bundesland, das so von der Politikverdrossenheit geplagt ist, auch sehr hoher Beliebtheitswerte.

Und während der scheidende Ministerpräsident in Darlingerode die Beine unter dem Tisch ausstreckt und landesväterliche Gelassenheit ausstrahlt, wirkt der mögliche Künftige daneben ein wenig wie ein beflissener Schüler. Wo Böhmer auf Fragen jovial und unpolitisch antwortet, ist Haseloff bemüht, stets ein Stückchen Wahlprogramm in seine Antworten zu quetschen. Ein Eindruck, den die unterschiedliche Erscheinung der beiden noch verstärkt: Böhmer in fast frühkohlscher Gemütlichkeit und daneben Haseloff, sehr aufrecht und adrett mit Weste unter dem Jackett. "Belebend" steht auf den Wahlplakaten unter seinem Konterfei - wer immer sich das ausgedacht haben mag, muss damit Haseloffs Wirkung auf die Wirtschaft gemeint haben.

Denn die Erfolge, mit denen die CDU in den sachsen-anhaltinischen Wahlkampf ziehen kann - weniger Arbeitslose, mehr Arbeitsplätze, höhere Investitionen -, sind wirtschaftspolitische, und sie sind auch Haseloffs Erfolge. "Das ist in wesentlichen Teilen in meinem Ressort gelaufen", sagt der studierte Physiker und langjährige Arbeitsamtsleiter. "Das war Teamarbeit und ich bin froh, das mitgestalten zu können." Als Ministerpräsident wolle er diese Linie fortführen, sagt Haseloff: "Es wäre fatal, einen erfolgreichen Weg zu verlassen." Das gelte auch für die Fortführung der schwarz-roten Koalition - davon abgesehen, dass für die CDU ohnehin keine anderen Konstellationen möglich wären.

Obgleich vom Typ her grundverschieden, haben sich Haseloff und Jens Bullerjahn, Spitzenkandidat der Sozialdemokraten und Finanzminister, Seite an Seite gut eingerichtet im Landeskabinett. Und das soll auch so bleiben: Die SPD konzentriert sich im Wahlkampf auf den Erhalt ihrer Rolle als Juniorpartner der CDU; obwohl sie eigentlich über die politische Zukunft des Landes entscheidet und angesichts der starken Linkspartei auch einen Wechsel herbeiführen könnte, rein theoretisch. Bullerjahn hat das wiederholt den Vorwurf des "Kuschelwahlkampfs" eingebracht, von der Linkspartei, die sich vielleicht insgeheim schon wiederwillig auf eine weitere Legislaturperiode in der Opposition einstellt - aber auch von den Medien.

Haseloff, eigentlich meist ruhig und sachlich, gerät bei diesem Thema in Fahrt: "Wir haben die Wessi-Rituale nicht mitgemacht", schimpft er, und erklärt: Diese "Schauspielerei", die "rüden Umgangsformen". Das empfinde er als "unnatürlich", sagt Haseloff. "Und die Wähler schätzen das nicht." Der Westen könne von der politischen Kultur Sachsen-Anhalts noch was lernen, wettert der Unionskandidat, schließlich "sind wir die Region in Deutschland, die sich die Demokratie selbst erarbeitet hat".

Und getreu dieses Credos wird sogar am politischen Aschermittwoch, wo andernorts so richtig die Fetzen fliegen, wo die CSU in Bayern auch den Koalitionspartner mit zahlreichen Spitzen bedacht hat, in Darlingerode fast unmerklich Wahlkampf betrieben. Als 250 Portionen Wurst und Grünkohl verspeist sind und die Cheerleader des WSV Rot-Weiß Wernigerode unversehrt ihr Programm beendet haben, darf der Kreisvorsitze Ulrich Thomas noch einmal gegen die Linkspartei und die Grünen schießen, doch dann regiert die Harmonie.

Böhmer und Haseloff treten durch die Glastür und nehmen unter bunten Papiergirlanden und gleißenden Neonröhren Platz. Das Autoren-Duo Angela Elis/Michael Jürgs ( Typisch Ossi, typisch Wessi) moderiert das Zwiegespräch. Böhmer darf in nostalgischen Gefühlen und Haseloff in Zukunftsplänen schwelgen, Spitzen oder gar Bösartigkeiten sind von beiden nicht zu hören. Bis auf eine Ausnahme - und sie beschert Haseloff den größten Szenenapplaus des Abends: "Wie stellen Sie sich die Hölle vor?", fragt Jürgs. "Wenn da nur lauter Wessis drin wären", sagt Haseloff.

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