Süddeutsche Zeitung

Nachfolgedebatte in der CDU:Merz beschwört die Basis

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Von Benedikt Müller, Arnsberg-Oeventrop

Seinen größten Zwischenapplaus erntet Friedrich Merz, als er sich einen Seitenhieb auf Horst Seehofer erlaubt. "Man lässt einen Bundeskanzler nicht neben einem Rednerpult des CSU-Parteitags stehen", lästert Merz, "schon mal gar nicht, wenn es eine Frau ist". Damit spielt der Bewerber auf den CDU-Vorsitz darauf an, dass CSU-Chef Seehofer vor drei Jahren Angela Merkel auf offener Bühne ins Gewissen redete, während die Kanzlerin wie ein Schulmädchen neben ihm stand. "Das geht nicht im Umgang miteinander", schimpft Merz.

Der Sauerländer, der im Dezember an die Spitze der CDU rücken will, hat an diesem Samstag auf einem deutlich kleineren Parteitag gesprochen: In Arnsberg-Oeventrop hat ihn sein Heimatverband einstimmig für den Parteivorsitz nominiert. Für Merz ist es ein Heimspiel im Hochsauerland, wo er einst als Jugendlicher in die CDU eingetreten ist.

In seiner Bewerbungsrede fordert der 62-Jährige, im blauen Anzug mit silbernen Knöpfen, dass CDU und CSU künftig wieder anständig miteinander umgehen müssten. Die Fraktionsgemeinschaft der beiden Unionsparteien im Bundestag sei eine "kongeniale Konstruktion", sagt der frühere Fraktionsvorsitzende: Nicht wenige Bayern wählten die CSU zwar zuweilen "mit der Faust in der Tasche", aber eben auch, weil es die CDU im Bund gibt. Im Rest der Republik wiederum wähle mancher die CDU nur murrend und knurrend, aber eben auch, weil es die CSU gibt. "Das ist für uns ein unverzichtbares Erbe", sagt Merz.

Die knapp 400 Delegierten der CDU im Hochsauerland treffen sich an diesem Vormittag in der Schützenhalle St. Sebastianus, einem mehr als 100 Jahre alten Fachwerkhaus. "Glaube, Sitte, Heimat" steht innen in großen Holzlettern auf der Wand geschrieben. Außen fließt die Ruhr vorbei, die hier im hohen Sauerland noch ein kleines Flüsschen ist.

Die CDU müsse neue Antworten auf neue Fragen geben, sagt Merz

Als Friedrich Merz hier im Jahr 1972 in die CDU eintrat, hätten bei der Bundestagswahl noch acht von zehn Wahlberechtigten für eine der beiden Volksparteien gestimmt, erinnert er sich. Im vergangenen Herbst dagegen hätten nur noch vier von zehn Menschen Union oder SPD gewählt. Ein herber Verlust. Seine Partei habe zum einen Wähler an die AfD verloren, analysiert Merz, denen sichere Grenzen und eine nationale Identität wichtig seien, die das Vertraute bewahren wollten. "Wir sollten den Anspruch an uns selbst stellen, wenigstens die Hälfte derer, die da abgedriftet sind, zur CDU und CSU zurückzuholen." Daher müsse der Staat rechtsstaatliche Grundsätze durchsetzen, indem er etwa gegen kriminelle Familienclans vorgehe.

Zum anderen gelinge es der CDU nicht mehr, das Lebensgefühl junger Familien in den Städten zu erreichen, denen etwa der Umweltschutz und sichere Lebensmittel wichtig seien, der Tierschutz und der Klimawandel. "Daran müssen wir ganz grundlegend etwas ändern", sagt Merz: "Eigentlich sind das unsere Wählerinnen und Wähler." Die CDU müsse neue Antworten auf neue Fragen geben, etwa nach bezahlbarem Wohnraum, kostenloser Kinderbetreuung oder flexiblen Arbeitszeiten.

In Merz' Heimat ist die Welt - aus Sicht bürgerlicher Parteien - noch in Ordnung: Gut 41 Prozent holte die CDU hier bei der jüngsten Bundestagswahl, weitere 14 Prozent die FDP. In der Schützenhalle in Oeventrop zeigt ein meterlanges Gemälde an der Wand die typische Waldlandschaft, mit Rotwild am Bach und frisch geschnittenem Holz. "In Treue zum Alten die Zukunft gestalten", steht auf dem Banner des ansässigen Schützenkreises.

In seiner Rede schwört Merz die Delegierten darauf ein, dass Deutschland viel mehr dazu beitragen müsse, dass die europäische Integration weiter voranschreite. Künftig dürfe die Bundesrepublik keine Entscheidungen mehr fällen, von denen die Nachbarländer überrascht seien, sagt Merz und erinnert etwa an Energiewende oder Flüchtlingspolitik. "Unsere europäischen Nachbarn haben sich mit diesen Entscheidungen jedes Mal überfahren und an den Rand gedrängt gefühlt", kritisiert er. Weltweit werde die EU aber nur ernst genommen, solange sie einig sei.

Die Delegierten an den langen Holztischen applaudieren Merz nach seiner Rede gut zwei Minuten lang, alle sind dazu aufgestanden. Nach Angela Merkels Ankündigung, dass sie den Parteivorsitz im Dezember abgeben wird, könne es nun einen "neuen Aufbruch" geben, sagt Matthias Kerkhoff, der Chef der CDU im Hochsauerlandkreis. "Dieses Signal geht heute von Oeventrop aus." Gerade die AfD profitiere seit Monaten vom schlechten Bild der großen Koalition im Bund, obwohl sie selbst kaum Lösungen für Deutschland parat habe, kritisiert Kerkhoff: "Ich will, dass wir diesen anstrengungslosen Wohlstand der AfD wieder beenden."

"Zum Thema Doppelspitze hier ein ganz offenes Wort: nein"

Vor knapp zwei Wochen hat Merz, der frühere Fraktionschef der Union im Bundestag, bekanntgegeben, dass er am 7. Dezember CDU-Chef werden will, wenn Angela Merkel das Amt auf dem Parteitag in Hamburg abgibt. Merz war vor knapp einem Jahrzehnt im Streit mit der Kanzlerin aus dem Bundestag ausgeschieden und in die Wirtschaft gewechselt, etwa an die Aufsichtsratsspitze des Vermögensverwalters Blackrock in Deutschland. Will er nun mit der Kanzlerin abrechnen? Ist er der "Anti-Merkel"? "Liebe Freunde, das ist alles dummes Zeug", sagt der Jurist. Falls er an die Parteispitze rücke, werde er "fair, anständig, loyal" mit Merkel zusammenarbeiten.

Auf dem Weg an die Parteispitze konkurriert der Sauerländer mit Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn. Der Bundesgesundheitsminister ließ sich schon am Freitagabend von seinem Heimatverband im Münsterland einstimmig nominieren. Falls die CDU Merz im Dezember zum neuen Vorsitzenden wählt, solle Kramp-Karrenbauer weiterhin eine wichtige Aufgabe an oberster Stelle der Partei wahrnehmen, kündigt der Bewerber an. Den Vorschlag einer Delegierten, er solle den Vorsitz doch gemeinsam mit der Generalsekretärin übernehmen, lehnt Merz jedoch rasch ab: "Zum Thema Doppelspitze hier ein ganz offenes Wort: nein."

Merz hatte schon im Sommer zugesagt, dass er an diesem Samstag als Gastredner zu seinem Heimatverband sprechen werde. "Dieser Parteitag sollte eigentlich ein relativ normaler sein", scherzt Karl Schneider, Landrat des Hochsauerlandkreises. "Doch was ist schon normal in diesen bewegten Zeiten?" Merz habe mit seiner Kandidatur Mut bewiesen, sagt Schneider: "Das hat uns doch alle sehr beeindruckt." Doch dann entschuldigt sich der Landrat und verlässt den Parteitag etwas früher. Er müsse weiter nach Salzkotten, sagt Schneider, zum Wettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft".

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