Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:Merz und der Gegengipfel

Die Unionsfraktion lädt Bürgermeister und Landräte aus ganz Deutschland zu einem Austausch über Migration und Integration.

Von Robert Roßmann, Berlin

Es ist eine Art Gegengipfel. Die Unionsfraktion hat Landräte und Bürgermeister aus ganz Deutschland zu einem "Kommunalgipfel" über die Flüchtlingspolitik eingeladen. Mehr als 200 haben zugesagt, die Hälfte von ihnen gehört weder CDU noch CSU an. Das Treffen soll am Donnerstagabend in der Halle eines Bundestagsgebäudes stattfinden. Es ist auch eine Reaktion auf den Flüchtlingsgipfel, den Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Mitte Februar veranstaltet hat.

Faesers Treffen war ohne nennenswerte Ergebnisse zu Ende gegangen. Die Vertreter der Kommunen waren enttäuscht - auch weil sich Olaf Scholz trotz der Brisanz nicht bemüßigt sah, an dem Treffen teilzunehmen. Jetzt will CDU-Chef Friedrich Merz zeigen, dass er die Nöte der Kommunen ernster nimmt als der Kanzler.

Als Motto ihres Gipfels hat die Unionsfraktion "Wir hören zu" ausgegeben. Es soll nicht nur eine Podiumsdiskussion mit Kommunalpolitikern geben, sondern auch einen Tagesordnungspunkt "offenes Mikrofon", bei dem sich die Gäste mit ihren Wünschen und Nöten zu Wort melden können.

20 Unionsabgeordnete sahen es anders

Die Städte und Gemeinden kämen bei der Aufnahme von Flüchtlingen "zunehmend an ihre Belastungsgrenzen", sagt Merz, "Hilferufe an die Bundesregierung verhallen weitgehend ungehört". Briefe von Bürgermeistern und Landräten an den Bundeskanzler blieben "einfach unbeantwortet". Dabei müsste schon ein Blick auf die Zahlen ausreichen, "um der Bundesregierung das Ausmaß des Problems zu verdeutlichen: Im Durchschnitt kommen gegenwärtig rund 30 000 Asylbewerber pro Monat nach Deutschland", sagt Merz. Aber die Ampel streite darüber, wie sie darauf reagieren soll.

Allerdings haben CDU und CSU lange viel heftiger über die Themen Migration und Integration gestritten als jetzt die Ampelkoalition. Zeitweise stand sogar die Fortsetzung der Fraktionsgemeinschaft zur Debatte. Auch innerhalb der CDU gab es erhebliche Differenzen. Merz war - um es sehr freundlich zu sagen - von Angela Merkels Flüchtlingspolitik in den Jahren 2015/2016 nicht begeistert.

Im vergangenen Dezember konnte man im Bundestag noch einen Ausläufer dieser alten Debatten erleben. Bei der Abstimmung über das Aufenthaltsgesetz enthielten sich 20 Unionsabgeordnete, statt das Gesetz - wie die Mehrheit der Fraktion - abzulehnen. Unter den Enthaltungen waren viele bekannte Christdemokraten wie Armin Laschet, Hermann Gröhe, Helge Braun, Norbert Röttgen, Monika Grütters oder Annette Widmann-Mauz. Manche nannten sie nach der Abstimmung "die Merkelianer".

Die Union will vor allem die Zahl der Flüchtlinge senken

Doch Merz hat sich seitdem darum bemüht, die Reihen zu schließen. Es gab zwei sogenannte fraktionsoffene Sitzungen. In der ersten diskutierten die Unionsabgeordneten über die Asylpolitik, in der zweiten über das Staatsangehörigkeitsrecht. Inzwischen hat sich die Fraktion über die alten Grenzen hinweg auf gemeinsame Auffassungen verständigt. Fixiert sind sie in einem elfseitigen "Positionspapier" mit dem Titel "Für Humanität und Ordnung in der Asyl- und Flüchtlingspolitik". CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt will es am Donnerstag den Kommunalpolitikern vorstellen.

In dem Papier bekennt sich die Unionsfraktion ausdrücklich zum Grundrecht auf Asyl und zur Genfer Flüchtlingskonvention. "Unser christliches Menschenbild gebietet die Unterstützung für Menschen in Not", heißt es gleich auf der ersten Seite. Doch dann geht es vor allem darum, die Zahl der ankommenden Flüchtlinge zu senken. "Damit Deutschland seiner humanitären Verantwortung gerecht werden kann, muss irreguläre Migration begrenzt und durch wirksame Maßnahmen spürbar verringert werden", heißt es.

Unter anderem will die Union die Europäische Grenzschutzagentur Frontex "zu einer echten Grenzpolizei und Küstenwache mit hoheitlichen Befugnissen ausbauen" und "europäisch verwaltete Entscheidungszentren an den EU-Außengrenzen" einrichten lassen, "in denen geprüft werden soll, ob ein Asylanspruch vorliegt oder nicht". Denen, die ein Bleiberecht in Deutschland haben, sollen aber "alle Möglichkeiten für eine gelingende Integration angeboten werden".

Die Unionsfraktion plädiert außerdem für die Einrichtung einer "Work-and-Stay"-Agentur. Bei dieser neuen Bundesagentur für Einwanderung sollten Fachkräfte von der Arbeitsplatzvermittlung, der Prüfung der Voraussetzungen für die Einreise, über das nötige Visum bis hin zum Aufenthaltstitel nach Ankunft in Deutschland "Service aus einer Hand" erhalten, heißt es in dem Positionspapier. Damit das gelinge, solle diese Agentur alle Verfahren der Einwanderung übernehmen, die zurzeit bei den deutschen Auslandsvertretungen, bei den Bundesländern und den Kommunen geführt werden und die keine Asylverfahren sind.

"Über unsere Vorschläge wollen wir mit den Vertretern der Städte und Kreise diskutieren", sagt Merz. Nach Ostern werde die Unionsfraktion dann die "Schlussfolgerungen aus unseren Begegnungen in Form eines Antrags in den Deutschen Bundestag einbringen". Mehr kann die Unionsfraktion - seit sie Opposition ist - halt auch nicht mehr tun.

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