Süddeutsche Zeitung

CDU:Szenen einer Ehe

Die CDU justiert ihre Flüchtlingspolitik neu, während Angela Merkel noch regiert. Das ist heikel und belastet die Zweckehe zwischen der Kanzlerin und ihrer Partei.

Kommentar von Robert Roßmann

Vier Seiten ist die Liste mit den Ergebnissen des CDU-Gesprächs zur Flüchtlingspolitik lang. Sie enthält einen umfangreichen Katalog an Forderungen und Einschätzungen. Aber einen Namen sucht man in dem Papier vergeblich: Angela Merkel. Es ist ein bisschen wie in den "Harry Potter"-Romanen. Da wird der Bösewicht Lord Voldemort von vielen nur als derjenige umschrieben, "dessen Name nicht genannt werden darf". Zwei Tage lang hat die CDU über Merkels Flüchtlingspolitik beraten, ohne über Merkel zu reden. Das ist einerseits erstaunlich, anderseits aber auch naheliegend.

Annegret Kramp-Karrenbauer, die neue CDU-Chefin, sagt, die Auseinandersetzung mit Merkels Flüchtlingspolitik müsse sein. Wohin es führe, wenn man grundsätzliche Konflikte nicht ausspreche, könne man ja an der SPD sehen, die seit mehr als einem Jahrzehnt über Hartz IV debattiere. Die CDU müsse deshalb endgültig klären: "Wie beurteilen wir den Herbst 2015?"

Dieser Vergleich mit dem Trauma der SPD ist nicht falsch. Der Herbst 2015 und die Folgen haben die Union in ihren Grundfesten erschüttert. Trotzdem sind SPD und CDU in einer vollkommen unterschiedlichen Lage. Die Sozialdemokraten gehen fast 14 Jahre nach dem Ende der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder auf Distanz zu dessen Sozialstaatsreformen. Die CDU justiert ihre Flüchtlingspolitik aber neu, während Angela Merkel noch im Kanzleramt sitzt. Außerdem, und das wird derzeit gerne übersehen, genießt die Kanzlerin immer noch großen Respekt. Im aktuellen Politbarometer liegt sie in der Rangliste der beliebtesten Politiker sogar auf Platz eins.

Es war deshalb klug, dass die Kanzlerin an dem Werkstattgespräch nicht teilgenommen hat. Wäre Merkel dabei gewesen, wäre noch deutlicher geworden, wie groß der Abstand zwischen der Kanzlerin und ihrer Partei bei der Bewertung des Jahres 2015 geworden ist. Daran können beide Seiten kein Interesse haben.

Das Ergebnispapier ist eine Abrechnung mit Merkels Flüchtlingspolitik

Kramp-Karrenbauer betont zwar genauso stark wie Merkel die Bedeutung multilateraler Lösungen. Und auch sie warnt davor, mit nationalen Maßnahmen die europäische Einheit zu gefährden. Aber Kramp-Karrenbauer kann sich innerhalb dieses Rahmens eine viel härtere Flüchtlingspolitik vorstellen als die Kanzlerin. Am augenfälligsten zeigt das die Feststellung der neuen CDU-Chefin, "als Ultima Ratio" sei es "durchaus auch denkbar", die deutsche Grenze zu schließen. Was für ein Unterschied zu Merkel, die immer erklärt hat, eine Schließung der Grenze sei schon praktisch gar nicht möglich.

Mit ihrem Kurs befriedet Kramp-Karrenbauer zwar den Konflikt mit der CSU; und sie schmiert Salbe auf all die Wunden, die die Flüchtlingspolitik auch bei vielen in der CDU geschlagen hat. Aber sie geht damit auch ein großes Risiko ein. Zum einen könnte die Begeisterung in der CDU darüber, dass die Partei jetzt so offen über die Defizite der Flüchtlingspolitik redet, schnell in Enttäuschung umschlagen. Nämlich dann, wenn sich herausstellt, dass die CDU das meiste von dem, was jetzt bei dem Werkstattgespräch gefordert wurde, gar nicht umsetzen kann - etwa weil das Kanzleramt, der Koalitionspartner SPD, der Bundesrat oder die EU sich querstellt. Vor allem aber könnte die Distanz zwischen Kanzlerin Merkel und ihrer Partei so groß werden, dass keine Koexistenz mehr möglich ist.

In dem Ergebnispapier des Werkstattgesprächs steht zwar der Name der Kanzlerin nicht. Aber es ist natürlich trotzdem eine Abrechnung mit ihrer Flüchtlingspolitik. Wenn derart viele Änderungen der Politik notwendig sind, wie in dem Papier gefordert werden, ist das auch eine Missfallensbekundung gegenüber dem, der seit mehr als 13 Jahren regiert. Es ist durchaus denkbar, dass Merkel irgendwann zu dem Ergebnis kommt, unter diesen Bedingungen nicht weiter Kanzlerin sein zu wollen oder zu können.

Dabei ist die Lage für die CDU bereits jetzt unübersichtlich. Sie weiß nicht, ob die SPD nach einem schlechten Europawahlergebnis die Koalition verlässt. Und sie muss im Herbst in drei ostdeutschen Bundesländern antreten, in denen die AfD fast auf Augenhöhe mit der CDU liegt. Da kann sie nichts so wenig gebrauchen wie die Unwägbarkeiten, die mit einem Rückzug Merkels einhergehen würden.

Selbst wenn die SPD - aus Angst vor einem schlechten Ergebnis bei Neuwahlen - Kramp-Karrenbauer als nächste Kanzlerin mitwählen wollte, hätte die CDU ein Problem. Die Sozialdemokraten würden dafür derart große inhaltliche Zugeständnisse verlangen (müssen), dass die CDU diese nicht akzeptieren könnte, ohne sich selbst zu verleugnen. Und dass die Grünen angesichts ihrer hervorragenden Umfrageergebnisse ohne Neuwahl in eine Jamaika-Koalition unter Kramp-Karrenbauer gehen, ist auch nicht sonderlich wahrscheinlich. Die neue CDU-Chefin wird deshalb sehr genau darauf achten müssen, dass die Zweckehe zwischen Merkel und der CDU nicht vorschnell endet.

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SZ vom 13.02.2019/bix
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