CDU:Ein Sieg, der historisch schlechte Laune macht

Nach der Wahl herrscht in der Union Bestürzung. Die Hauptschuldige ist für viele schnell ausgemacht. Was passiert jetzt?

Von Nico Fried und Robert Roßmann, Berlin

Im Laufe des Sonntagnachmittags wird es immer schwieriger, etwas über die Stimmung in der CDU-Zentrale zu erfahren. Das ist meistens ein Zeichen dafür, dass die Stimmung nicht gut ist. Die Luft im Konrad-Adenauer-Haus wird immer dicker, je dünner das Ergebnis der Union in den Zahlen erscheint, die der CDU-Führung vorab hereingereicht werden.

Als die Prognosen um 18 Uhr bekannt werden, droht Angela Merkel das schlechteste Ergebnis ihrer Kanzlerschaft. Bisher lag das bei 33,8 Prozent, das war 2009, am Ende der ersten großen Koalition. Damals wusste man, dass viele Unions-Wähler der FDP geholfen hatten, um eine schwarz-gelbe Regierung zu ermöglichen. Es war ein konstruktiver Protest.

2017 ist es nur noch Protest. Was ist das für ein Sieg? Ist es überhaupt noch einer? Volker Kauder, der Fraktionschef der Union, übernimmt anfangs die Aufgabe, eines klarzustellen: Angela Merkel bleibe Kanzlerin. Allein die Tatsache, dass Kauder sich veranlasst sieht, das so ausdrücklich zu sagen, zeigt, wie desolat dieser Wahlabend für die Union verlaufen ist. Denn wenn es etwas gab, was eigentlich seit Wochen niemand ernsthaft bezweifelte, dann war es doch eine erneute Kanzlerschaft Merkels.

Angela Merkel bleibt Kanzlerin. Man ist versucht zu sagen: erst einmal geschäftsführend

50 Minuten lässt Merkel sich Zeit, ehe sie vor die Kameras tritt. Gleich als Erstes sagt sie einen Satz, der aufhorchen lässt; einen Satz, bei dem man sich fragt: Ist die Botschaft schon angekommen? Man habe sich, so Merkel, "ein wenig ein besseres Ergebnis erhofft". Ein wenig? Das ist eine kühne Aussage angesichts des mit Abstand höchsten Stimmenverlustes aller Parteien an diesem Abend.

Es geht dann in ähnlicher Tonlage weiter. Es sei keineswegs selbstverständlich, nach zwölf Jahren immer noch die stärkste Fraktion zu stellen, sagt Merkel. Zudem habe man eine herausfordernde Legislaturperiode hinter sich. Offenbar will die CDU-Vorsitzende den Eindruck erwecken, das Ergebnis sei irgendwie normal, jedenfalls normaler als die Umfragen vorher, die ihr ein deutlich besseres Ergebnis prophezeit hatten. So bleibt eines für Merkel vielleicht sowieso das Wichtigste: "Wir haben den Regierungsauftrag", sagt sie. "Gegen uns kann keine Regierung gebildet werden."

Während die Chefs der anderen beiden Koalitionsparteien von einer "herben Enttäuschung" (CSU-Chef Horst Seehofer) und einem "bitteren Ergebnis" (SPD-Chef Martin Schulz) sprechen, lässt sich Merkel von ihren Anhängern im Adenauer-Haus bejubeln. "Angie, Angie" rufen die Wahlkampf-Helfer und wedeln mit ihren "Muttiviert"-Plakaten. Dann verspricht Merkel ihren Anhängern noch, nach der "Berliner Runde" im Fernsehen sofort "zum Feiern" zurückzukommen. Als ob es wirklich was zu feiern gäbe.

Angela Merkel bleibt zwar Kanzlerin. Man ist versucht zu sagen: erst mal geschäftsführend. Zu viele Unwägbarkeiten gibt es noch: Wer werden ihre Koalitionspartner? Die SPD erklärt sofort nach Schließung der Wahllokale, nicht noch einmal in eine Regierung mit der Union gehen zu wollen. Bleiben FDP und Grüne - wie kann das gehen? Die erste Jamaika-Koalition ist im Saarland krachend gescheitert, die zweite gibt es seit ein paar Monaten in Schleswig-Holstein. Sie funktioniert nur, weil sich die Protagonisten seit langem gut verstehen. Im Bund gibt es zwischen Grünen und Liberalen aber noch keine solche Nähe, im Gegenteil. Dann ist da ja auch noch die CSU. Anders als in Saarbrücken und in Kiel ist Jamaika im Bund keine Dreier-, sondern eine Viererkoalition. Aus München werden am Abend dann Zahlen gemeldet, die für die Christsozialen der blanke Horror sind. Unter 40 Prozent - Seehofer macht sofort "die offene rechte Flanke" der Union als Ursache aus, die jetzt geschlossen werden müsse. Aber wie soll eine solche Union mit den Grünen zusammenfinden?

Selbst wenn das gelingen sollte, Merkels Preis fürs Amt ist hoch. Sehr hoch. Er hat einen Namen mit drei Buchstaben: AfD. Und eine Prozentzahl mit zwei Ziffern. Wenigstens das hätte sie gerne verhindert. Die Kanzlerin wird sich nun der Debatte stellen müssen, welche Verantwortung sie trägt. Mehr als zwei Drittel der bisherigen Unionswähler, die Merkel den Rücken gekehrt haben, geben als Grund die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin an.

Woran misst man in der Union nun das Wahlergebnis?

Woran misst man in der Union nun das Wahlergebnis? Anfang des Jahres 2016, als wegen der Flüchtlingspolitik der Krach über die Schwesterparteien der Union hereingebrochen war, wurde es einsam um die Kanzlerin. "Da war sie angeschlagen", sagt einer, der das aus nächster Nähe erlebt hat. Und er meint das nicht nur politisch. Es folgten Niederlagen bei den über das Jahr verteilten Landtagswahlen. In München tobte Horst Seehofer, schimpfte auf die Berliner Politik. Es sah eine Zeit lang so aus, als könnten die beiden Unions-Schwesterparteien getrennte Wege gehen. Doch weil der Ausgang zu ungewiss war, blieben sie beieinander. Besser gesagt: Die CSU blieb bei der CDU, Seehofer bei Merkel. Es war seine Entscheidung. Die Versöhnung von CDU und CSU war mühsam, verkrampft, unglaubwürdig. Gemessen daran grenzt es an ein Wunder, dass Merkel nun mutmaßlich Kanzlerin bleiben wird.

Andererseits: die Zeit vor einigen Wochen. Drei gewonnene Landtagswahlen, Saarland, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, ein Sieg überraschender als der andere. Die Union in Umfragen um die 40 Prozent. Dann kam das Fernsehduell mit dem Herausforderer Martin Schulz. Das hat Merkel nach den Umfragen gewonnen, und doch hat ihr genau das womöglich nicht geholfen, vielleicht sogar geschadet. Da kam das Gerede auf, dass die Kanzlerfrage entschieden sei, es entstand der Eindruck von zu viel Eintracht in der großen Koalition, es fehlte die Polarisierung zwischen ihr und Schulz. Das alles hat offenbar den kleinen Parteien genützt.

Die CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer führt das als ersten Grund für das schlechte Ergebnis an. Der Union sei es schwergefallen, ihre Wähler zu mobilisieren. Das habe man gemerkt. So hat Merkel nun gewonnen, aber es ist ein bitterer Sieg. Sie, ein Hassobjekt für Populisten, deren Anhänger man nun nach Millionen zählen muss, möchte im Amt bleiben. Mit wem?

Die Regierungsbildung wird schwierig. Aber Grüne und FDP, so dürfte Merkel kalkulieren, tragen plötzlich viel mehr Verantwortung, als die beiden kleinen Parteien dies vorher erwartet haben dürften. Auch von ihnen hängt es nun ab, ob es überhaupt eine neue Regierung gibt, oder ob das Land womöglich sogar in Neuwahlen schlittert, Ausgang völlig ungewiss.

Die Union bei mehr als 40 Prozent? Kritiker sagen, damals im August sei Merkel übermütig geworden

Wie weggeblasen ist im Adenauer-Haus deshalb die Ausgelassenheit des Wahlabends 2013. Damals hatte die Union überraschend fast die absolute Mehrheit der Mandate geholt. Fraktionschef Volker Kauder grölte auf der Bühne den Tote-Hosen-Hit "Tage wie diese". Und Hermann Gröhe schwenkte überglücklich ein Deutschlandfähnchen. Vielleicht begann da schon der Aufstieg der AfD zur Anti-Merkel-Partei. Denn die CDU-Chefin entriss Gröhe damals das Fähnchen und entfernte es von der Bühne. Auf Youtube gibt es jede Menge Videos mit Titeln wie: "Merkel Anti Deutsch - sie schmeißt Deutschland-Fahne weg!" Insgesamt sind die Filmchen weit mehr als eine Million Mal aufgerufen worden, ein Konjunkturprogramm für die Rechtspopulisten.

Genau diese AfD ist jetzt zum ersten Mal in den Bundestag eingezogen. Merkel-Getreue im Kanzleramt haben Journalisten im Wahlkampf zwar ungefragt Erhebungen zukommen lassen, nach denen die Flüchtlingspolitik für die Deutschen schon keine besondere Rolle mehr spiele. Wer sich in das Land aufmachte, um Wahlkämpfer zu begleiten, konnte jedoch erleben, dass das zumindest für die Union nicht galt. Es gibt CDU-Vorstandsmitglieder, die inzwischen dem Kanzleramt vorwerfen, "in einer Parallelwelt" zu leben.

Denn Merkel stand zu ihrer Politik. Auf jeder Wahlkampfveranstaltung dankte sie den Menschen für ihre Hilfe bei der Bewältigung des Ansturms. Sie besuchte Integrationsprojekte. Aber sie wurde auch mit den Sorgen und Ängsten konfrontiert, hautnah: In Rosenheim zum Beispiel, wo kurz vor Merkels Wahlkampfauftritt eine Frau von einem Flüchtling vergewaltigt wurde.

Als die Umfragewerte für die Union im August trotz allem die 40-Prozent-Marke erreichten, seien Merkel und ihr Adlatus Peter Altmaier übermütig geworden, monieren die Kritiker in der Union. Statt den Kurswechsel hin zu einer rigiden Flüchtlingspolitik "ins Schaufenster zu stellen" habe sich Merkel im TV-Duell mit einer unnötig harschen Ablehnung der von der CSU geforderten Obergrenze zu profilieren versucht. Statt einen furiosen Endspurt hinzulegen, hätte die CDU-Spitze den Wahlkampf geschäftsmäßig zu Ende gespielt.

Für Seehofer und die CSU endete die Friedenspflicht

Jens Spahn ist in den vergangenen Monaten zum größten Lautsprecher dieser Stimmung geworden. Nur wenige wurden von den örtlichen Bundestagskandidaten so gerne eingeladen wie Spahn. Mehr als 170 Veranstaltungen hat Spahn besucht, noch vergangene Woche tourte er an einem Tag durch vier Bundesländer. Und egal ob auf einem Wochenmarkt in Köln, ob in einem "Fresh-Food"-Restaurant im hessischen Eschborn, in einem Café im pfälzischen Frankenthal oder in der "Ulner Kapelle" in Weinheim: Spahn punktete vor allem mit seinen klaren Positionen zur Flüchtlings- und Integrationspolitik.

Als er in Eschborn monierte, er werde ja gerne als Rassist beschimpft, wenn er die Probleme anspreche, rief eine Frau dazwischen: "Sie sind kein Rassist, Sie sind Realist." Spahn ist nur einfaches Präsidiumsmitglied der CDU, aber er spricht doch eine Stimmung in der Partei an. Das hat bereits der letzte Bundesparteitag gezeigt, der gegen den Willen Merkels eine Verschärfung der Regeln zum Doppelpass beschlossen hat, auch auf Betreiben Spahns.

Dass Merkel trotz dieser Stimmung und der herben Verluste vom Sonntag als CDU-Chefin einstweilen weiter unangefochten sein dürfte, liegt vor allem daran, dass die Partei nicht dazu neigt, ihre Führungsleute schnell infrage zu stellen. Außerdem würde Kritik an Merkel ihre Position bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen schwächen und die Aussichten der CDU in Niedersachsen schmälern, wo in drei Wochen gewählt wird.

Am Mittwoch steigt Merkel in Hildesheim zum ersten Mal in den Landtagswahlkampf ein. "Es wird bei uns deshalb in den kommenden Wochen nicht um den Kopf, sondern um den Kurs gehen", sagt einer aus der CDU-Spitze. Die Kritiker hoffen, Merkel künftig wenigstens inhaltlich einhegen zu können. Schon am Sonntagabend hatte man im Adenauer-Haus das Gefühl, dass Merkels Macht bröckelt. Da helfen auch die Rechtfertigungen ihrer Hintersassen nicht. Immerhin habe sie das Kanzleramt verteidigt und Schulz deklassiert, sagen sie. Helmut Kohl habe 1976 zwar fast 49 Prozent geholt, die Wahl aber verloren, erklären Merkels Leute.

Dass Merkel trotzdem vor turbulenten Zeiten steht, liegt weniger an den Kritikern in der CDU, sondern vor allem an der Schwesterpartei im Süden. Für die CSU ist am Sonntag um 18 Uhr die Friedenspflicht mit der CDU ausgelaufen. Für Horst Seehofer geht es von nun an nur noch um die bayerische Landtagswahl im kommenden Jahr. Und das Ergebnis vom Sonntag ist für ihn ein brutaler Rückschlag auf dem Weg dahin. Der CSU-Chef muss die absolute Mehrheit verteidigen und wird dabei keine Kompromisse mehr machen. Das wird Merkel bereits bei den Koalitionsverhandlungen merken, es wird ja gern vergessen, dass sie die auch mit der CSU führen muss.

Seehofer wird - schon um des eigenen politischen Überlebens willen - beinhart verhandeln. Als Merkel während des Wahlkampfs einmal nach etwaigen Koalitionen gefragt wurde, sagte sie, der einzige natürliche Partner sei die CSU. Darauf angesprochen, antwortete Horst Seehofer mit Blick auf sein Verhältnis zur CDU halb süffisant, halb bitterernst: "Wir sind auch immer die natürliche Opposition."

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