CDU:Drei Frauen und die Macht

Ursula von der Leyen wechselt nach Brüssel, und die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nimmt deren Platz in Merkels Kabinett ein. Gut möglich, dass das kein geschickter Schachzug war.

Von Nico Fried

DEU Deutschland Germany Berlin 17 07 2019 V l n r CDU Chefin Annegret Kramp Karrenbauer EU Ko

CDU-Frauenpower (von links): die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzlerin Angela Merkel.

(Foto: Jens Jeske/imago images)

An einem Abend im Juli sitzt Annegret Kramp-Karrenbauer in der Berliner CDU-Zentrale. Sie hat einige Journalisten zu Gast, es gibt viel zu erklären in diesen Tagen, seitdem die CDU-Vorsitzende auch noch Verteidigungsministerin geworden ist. Es war zusammen mit dem Wechsel der Vorgängerin Ursula von der Leyen die politische Überraschung in diesem Jahr, zumindest was das Personal betrifft. Wie Zieten aus dem Busch preschte Kramp-Karrenbauer ins Regierungsamt, um es mal militärisch auszudrücken.

Die Ministerin sitzt entspannt an einem Besprechungstisch, das rechte Bein hat sie über das linke Knie geschlagen. Es ist sommerlich heiß in Berlin, und die neue Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt (IBuK) trägt Sling Pumps. Das sind leichte Damenschuhe, vorne geschlossen, hinten nur von einem Riemen um die Ferse gehalten. Für einen Besuch im Feldlager der Bundeswehr wären sie eher ungeeignet. Aber das Schauspiel, das die Ministerin damit unterm Tisch in der CDU-Zentrale abzieht, ist schon bemerkenswert.

Während Annegret Kramp-Karrenbauer redet, schwingt ihr rechter Fuß hinten aus dem Schuh. Dadurch kippt die Sohle nach unten und der Pumps hängt nun nur noch vorne auf dem großen Zeh. Die Schuhspitze zeigt senkrecht nach oben, der Fuß wippt und schaukelt, der Schuh muss eigentlich gleich runterfallen, vermutlich mit einem lauten Gerumpel. Doch plötzlich, zack, klappt Kramp-Karrenbauer den Pumps wieder an die Ferse. Wenige Sekunden später geht alles wieder von vorne los. Ein ums andere Mal.

Das Gespräch mit den Journalisten dauert gut anderthalb Stunden. Kramp-Karrenbauer spricht über die Lage in der Straße von Hormus, über Gelöbnisse der Bundeswehr, über das Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Der Schuh schaukelt hin und her. Und es passiert - nichts. Er fällt nicht runter. Der Balanceakt lehrt zweierlei über die Ministerin: Sie scheut das Risiko nicht - und sie verfügt über gute Nerven.

Kramp-Karrenbauer hatte nur ein paar Tage Zeit, den Gang ins Kabinett abzuwägen. Erst wenige Stunden vor der Telefon-Schaltkonferenz des CDU-Präsidiums entschied sie sich dafür. Diesen Schritt zu begründen, würde eine heikle Angelegenheit, das war ihr bewusst. Ein Balanceakt. Denn jeder wusste, dass es mit dieser Personalie vor allem um Kramp-Karrenbauer ging, um ihre Chancen, Merkels Nachfolgerin im Kanzleramt zu werden; darum, den schlechten Start als CDUVorsitzende vergessen zu machen, das schlechte Ergebnis bei der Europawahl und den Ärger mit dem Youtuber Rezo.

Im "Politbarometer" des ZDF war Kramp- Karrenbauer binnen eines halben Jahres in den persönlichen Werten von guten plus 1,3 auf 0,1 abgerutscht - minus 0,1. Politiker wollen aber nicht sagen, dass es um sie selbst geht. Also sagte Kramp-Karrenbauer bei der Amtsübernahme: "Um 260 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um die geht es." Und als sie später im "heute-journal" nochmal gefragt wurde, sagte sie wieder: "Es geht nicht um mich." Und in den "Tagesthemen" auch.

Die Sache war auch deshalb so schwierig, weil Kramp-Karrenbauer stets betont hatte, sie wolle gar nicht ins Kabinett. Sie hatte sich sogar ein bisschen bewundern lassen dafür, dass sie mit ihrem Rücktritt als Ministerpräsidentin des Saarlandes auf ein Staatsamt verzichtete, um zunächst als Generalsekretärin, später als CDU-Vorsitzende der Partei zu dienen. Jetzt plötzlich klang die Logik ganz anders: Gerade weil sie als CDU-Vorsitzende das Verteidigungsministerium übernehme, so lautete ihre Begründung, zeige sie, wie wichtig der Partei die Sicherheitspolitik sei.

Es war die Bundeskanzlerin persönlich, die aus dieser etwas aufgeblasenen Argumentation die Luft abließ. In ihrer Sommerpressekonferenz einige Tage später erklärte Angela Merkel - verklausuliert, aber für jeden verständlich -, dass Kramp-Karrenbauer schlicht mit ihrer Strategie für den CDU-Vorsitz gescheitert war und deshalb eine neue Strategie gewählt habe. Merkel zog eine Parallele zu ihrem eigenen Vorgehen bei der Suche nach einem neuen EU-Kommissionspräsidenten. Sie habe auch erst etwas anderes gewollt, dass nämlich nach der Europawahl ein Spitzenkandidat den Posten bekomme, sei damit aber nicht erfolgreich gewesen: "Dann muss man eben neue Wege gehen."

Annegret Kramp-Karrenbauer im Nordirak

Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer bei Bundeswehrsoldaten im Nordirak.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Geht man in jenem Juli den neuen Weg der Annegret Kramp-Karrenbauer ein Stück mit, versteht man schnell, was sie sich davon verspricht. Geltow bei Potsdam, das Einsatzführungskommando der Bundeswehr: Rund 50 Journalisten stehen auf freiem Feld und warten in gleißender Sonne auf die neue Verteidigungsministerin. Sie kommt aus Berlin, nicht im Auto, sondern mit einem Hubschrauber der Luftwaffe. Sie hat trotzdem Verspätung. Es ist ein Zeichen von gewachsener Bedeutung.

Als der Hubschrauber gelandet ist und der Pilot die Rotoren abgeschaltet hat, dürfen die Journalisten näher ran. Vor allem die Kameraleute und Fotografen. Die Bilder, die sie aufnehmen, zeigen, wie die neue Verteidigungsministerin aus einem Hubschrauber steigt. Eine CDU-Vorsitzende sieht man eigentlich nie im Fernsehen, wenn sie aus einem Hubschrauber steigt. Das ist der Unterschied.

Am Tag zuvor, in der Bundestagsdebatte zu Kramp-Karrenbauers Vereidigung als Ministerin, hatte die Verteidigungspolitikerin der Grünen, Agnieszka Brugger, sich direkt an sie gewandt: "Frau Kramp-Karrenbauer, Ihre Vorgänger sind der Versuchung erlegen, die Bundeswehr als spannende Kulisse für ihre Selbstinszenierung auszunutzen. Und ich hoffe, dass sie einen anderen Weg wählen werden." Das war natürlich etwas überspitzt, aber auch nicht völlig falsch.

Drei Monate nach der Amtsübernahme als Ministerin steht Annegret Kramp-Karrenbauer in den persönlichen Werten im "Politbarometer" bei minus 0,6. Am 21. Oktober, einen Tag, nachdem im Koalitionsausschuss auch über Außenpolitik gesprochen wurde, schlägt sie eine Sicherheitszone für Nord-Syrien vor. Sie will darüber mit den Verbündeten in der Nato sprechen. Es wäre die erste eigene deutsche Initiative für einen Militäreinsatz seit Gründung der Bundesrepublik. Wenn es dazu käme, müssten auch deutsche Soldaten nach Syrien. Es wäre eine fundamentale Veränderung der deutschen Außenpolitik.

Kramp-Karrenbauer informierte die Kanzlerin erst anschließend, dass sie eine solche Initiative erwäge. Von deren Verkündung wird Merkel überrascht. Auch sonst hat die Ministerin niemandem in der Regierung etwas gesagt, schon gar nicht dem Außenminister von der SPD. Einen Tag später treffen sich Merkel und Kramp-Karrenbauer mit Außenminister Heiko Maas und Vizekanzler Olaf Scholz am Rande der Fraktionssitzungen im Bundestag. Es ist ein Krisentreffen.

CDU: Nico Fried wurde 1966 in Ulm geboren. Er leitet seit 2008 das Parlamentsbüro der Süddeutschen Zeitung in Berlin und trägt auch im Sommer meistens feste Halbschuhe.

Nico Fried wurde 1966 in Ulm geboren. Er leitet seit 2008 das Parlamentsbüro der Süddeutschen Zeitung in Berlin und trägt auch im Sommer meistens feste Halbschuhe.

Maas und Kramp-Karrenbauer kennen sich seit vielen Jahren, sie haben schon im Saarland zusammen regiert. Sie sagen Annegret und Heiko, wenn sie miteinander reden. Heiko spricht Annegret in diesem Treffen darauf an, dass der Vorstoß wohl auch ihrer persönlichen Profilierung als CDU-Chefin diene. Annegret verneint das, vehement. Es gehe um Deutschlands Rolle in der Welt. Nicht um sie. Annegret Kramp-Karrenbauer ist entweder eine ungewöhnliche Politikerin, die immer nur an die Sache denkt und nie an sich. Oder der Sling Pumps fällt irgendwann doch mal vom Fuß.

In der November-Umfrage des "Politbarometers" steht Kramp-Karrenbauer bei minus 0,7. Es ist der schlechteste Wert seit ihrer Wahl zur CDU-Vorsitzenden im Dezember 2018. Beim Parteitag Ende November 2019 in Leipzig wird deshalb spekuliert, ihr alter Rivale Friedrich Merz könne sie aus dem Amt jagen. Kramp-Karrenbauer stellt in ihrer Rede die Machtfrage: Wenn die Partei ihren Weg nicht mitgehen wolle, "dann lasst es uns heute aussprechen. Dann lasst es uns heute auch beenden". Annegret Kramp-Karrenbauer wird bejubelt, Merz gibt klein bei.

Gute Nerven hat sie wirklich, diese Frau. Aber ihre Beliebtheitswerte bleiben auch im Dezember im Keller.

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