CDU:Demütig in die Offensive

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Angela Merkel entschuldigt sich erstaunlich selbstkritisch für die Pannen im Fall Maaßen. Das hat auch mit Fraktionschef Volker Kauder zu tun: Der muss sich an diesem Dienstag zum ersten Mal einem Herausforderer stellen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Angela Merkel ist seit 13 Jahren Kanzlerin, aber so demütig wie am Montag ist sie noch nie aufgetreten. Die CDU-Vorsitzende lässt sich immer durch die Tiefgarage ins Konrad-Adenauer-Haus fahren. Auf demselben Weg verschwindet sie nach den Gremiensitzungen dann normalerweise wieder aus der Parteizentrale - und zwar wortlos. Doch an diesem Morgen ist alles anders. Um 8.21 Uhr verschickt die CDU überraschend eine E-Mail, im Betreff steht "Eilt!". Die Partei lädt zu einem Statement von "Bundeskanzlererin Dr. Angela Merkel". Es musste offenbar so schnell gehen, dass keine Zeit mehr war, die Einladung Korrektur zu lesen. Nicht nur in der SPD, auch in der CDU hat sich wegen der Causa Maaßen eine gewaltige Welle der Empörung aufgebaut - und die muss jetzt gebrochen werden, bevor sie über der Kanzlerin zusammenschlägt.

Entsprechend demütig fällt der Auftritt Merkels dann auch aus. Die ursprüngliche Vereinbarung, Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen zum Innenstaatssekretär zu befördern, "konnte nicht überzeugen", gesteht die Kanzlerin ein. Sie habe sich "zu sehr mit der Funktionalität und den Abläufen im Bundesinnenministerium beschäftigt, aber zu wenig an das gedacht, was die Menschen zu Recht bewegt, wenn sie von einer Beförderung hören". Dass das geschehen konnte, das bedauere sie sehr. Die Regierung müsse jetzt dringend "ihren Arbeitsmodus ändern" und sich endlich "voll auf die Sacharbeit konzentrieren". Wäre Merkel Katholikin, hätte sie am Ende ihres Statements vermutlich auch noch das Mea Culpa aufgesagt.

Deutlicher als Merkel es an diesem Montag tut, kann man einen Fehler kaum eingestehen. Aber es ist ein Eingeständnis, das aus der Not kommt. Denn in der CDU haben sich die Kräfteverhältnisse gewaltig verschoben - zu Lasten der Kanzlerin. Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren wurde Merkel an der Stelle, an der sie jetzt ihr Statement abgibt, von ihrer Partei gefeiert wie eine Heilsbringerin. Unter ihrer Führung hatte die Union gerade beinahe die absolute Mehrheit der Bundestagsmandate geholt. Die CDU-Führung grölte gemeinsam "Tage wie diese" von den Toten Hosen - mit Fraktionschef Volker Kauder am Mikrofon. Was für ein Unterschied zu heute.

Seitdem Angela Merkel regiert, hält er die Unionsfraktion im Bundestag zusammen: Volker Kauder, hier während der Sondierungsgespräche im vergangenen Herbst mit der Kanzlerin, gilt als einer ihrer wichtigsten Vertrauten. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Am Sonntagabend hatte Carsten Linnemann, Chef des Wirtschaftsfügels und einer der stellvertretenden Fraktionschefs, im ZDF offengelegt, wie groß der Unmut über Merkel und ihre Regierung inzwischen ist. Linnemann gehört zwar zusammen mit Gesundheitsminister Jens Spahn und JU-Chef Paul Ziemiak zu den Jüngeren in der Partei, die den Kurs Merkels schon länger kritisieren. Aber Linnemann gehört auch zu denen, die ihre Worte vorsichtig wägen. Umso erstaunlicher war sein Auftritt. Er "brodele", sagte Linnemann. Denn die Menschen seien "empört" über die Regierung. Sie würden sagen, die "da oben" streiten jetzt seit einem Jahr nur noch. Die Bürger hätten das Gefühl, die Politik habe die Bodenhaftung verloren, schimpfte Linnemann. Das müsse sich dringend ändern, denn es bestehe inzwischen sogar die Gefahr, dass Deutschland den gleichen Weg wie Italien gehe, wo es nur noch radikale Populisten gebe.

Für Merkel fand Linnemann - anders als für Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer - kein lobendes Wort. Die Generalsekretärin hatte in zwei Briefen an die CDU-Mitglieder versucht, den Unmut aufzufangen. Und sie hatte die Koalition eindringlich aufgefordert, "sich um das zu kümmern, was den Menschen wirklich am Herzen liegt".

Am Montagmittag, nach der Sitzung des Präsidiums, tritt dann auch Kramp-Karrenbauer im Adenauer-Haus auf. Früher war es Merkel, von deren Vertrauen alle in der Partei abhingen. Jetzt sieht sich Kramp-Karrenbauer genötigt zu sagen, Merkel habe die "volle Rückendeckung des gesamten Präsidiums". So etwas sagt man nur, wenn man glaubt, dass es notwendig ist. Und es ist nötig. Denn bereits an diesem Dienstag droht Merkel das nächste Ungemach. Die Unionsfraktion wählt ihre Führung neu. Und zum ersten Mal hat Kauder, einer der wichtigsten Vertrauten Merkels, einen Gegenkandidaten. Die Wahl könnte auch zu einer Abstimmung über die Kanzlerin werden. Auch deshalb musste Merkel am Montag Einsicht zeigen.

In der Fraktion sehnen sich viele nach einem Aufbruch. Kauder ist bereits jetzt der dienstälteste Vorsitzende in der Geschichte der Unionsfraktion. 709 Abgeordnete gibt es im Bundestag - nur drei von ihnen sitzen länger im Parlament als Kauder. Doch jetzt gibt es einen Herausforderer. Ralph Brinkhaus, bisher einer der elf Stellvertreter Kauders, möchte selbst Chef werden. Brinkhaus gilt in der Fraktion als exzellenter Finanzpolitiker. Bei der letzten Wahl der stellvertretenden Fraktionschefs stimmten 99,5 Prozent der Abgeordneten für ihn. Brinkhaus hat seinen Hut zwar ziemlich überraschend in den Ring geworfen - und vorher keine der ansonsten üblichen Absprachen mit Landesgruppen oder Parteivereinigungen getroffen. Aber der Unmut über die Arbeit der Koalition macht aus Brinkhaus mehr als einen Zählkandidaten. In der Unionsfraktion werden sie jetzt zum ersten Mal in Kauders Amtszeit Wahlkabinen aufstellen. Und während der Abstimmung wird CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die Sitzung leiten, damit sich Kauder keinen Vorteil verschaffen kann. Trotzdem gilt Kauder zumindest bisher noch als Favorit.

Ralph Brinkhaus, 50, zog 2009 in den Bundestag ein und machte sich als Finanz- und Haushaltspolitiker einen Namen. Seit 2014 ist der Westfale Vizechef der Unionsfraktion in Berlin. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Als Merkel ihn Anfang September zur Wiederwahl vorschlug, sprach sie nicht nur von dem "subtilen Band", das Unionsfraktion und Regierung verbinde. Einerseits sei Vertrauen nötig, sagte Merkel. Andererseits müsse eine Fraktion natürlich auch auf ihr eigenes Profil und ihre Selbständigkeit achten. Sie spreche sich für Kauder aus, weil dieser beides gut verbinden könne - er bringe Eigenständigkeit und Vertrauen zusammen. Die Kanzlerin wies aber auch darauf hin, dass Kauder ein sehr gutes Verhältnis zu SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles habe. Und dass derlei wichtig sei, wenn man wolle, dass eine Koalition funktioniere.

Die beiden wichtigsten Gründe, warum sie für Kauder eintritt, erwähnte die Kanzlerin jedoch nicht. Mit einer eigenständiger agierenden Fraktion - damit wirbt Brinkhaus - hätte Merkel fast keine politische Beinfreiheit mehr. CSU und SPD lassen ihr schon jetzt kaum Spielraum. Vor allem aber würde eine Abwahl Kauders als Brüskierung der Kanzlerin wahrgenommen werden. Es würde sofort eine Debatte beginnen, ob es nicht auch für Merkel an der Zeit wäre zu gehen.

© SZ vom 25.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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