Wenn Läden Kunden anlocken wollen, plakatieren sie gerne: Alles muss raus. CDU und CSU wollen die Wähler offenbar mit dem Motto gewinnen: Alles muss rein. Das Wahlprogramm, das die Parteivorsitzenden von CDU und CSU, Kanzlerkandidat Armin Laschet und Beinahe-Kanzlerkandidat Markus Söder, am Montag präsentierten, lässt auf 138 Seiten praktisch keinen Bereich des Lebens aus. Die neuen Ideen, die es angeblich enthält, muss man deshalb mühsam suchen - und die Ausbeute bleibt überschaubar.
Erneuerung und Stabilität seien die Botschaften des Programms, sagte Markus Söder. Angesichts langer Listen altbekannter Themen überwiegt eindeutig die Stabilität. Viele Kapitel beschäftigen sich erst einmal mit dem, was die Union in der Regierung Angela Merkels schon auf den Weg gebracht hat oder haben will. Wo das Programm in die Zukunft schaut, wimmelt es von "wollen wir stärken", "voranbringen", "bündeln", "weiterentwickeln", "fortschreiben", "zukunftsfest machen". Mancher Vorschlag taucht an mehreren Stellen auf und macht das Lesen noch langwieriger. Konkret wird es selten, am wenigsten bei den Zahlen.
Wirtschaft und Bürokratie
Am ambitioniertesten zeigt sich das Programm beim von Armin Laschet schon lange im Munde geführten Bürokratieabbau, der sich wie ein Konjunkturprogramm auswirken soll. Manches in diesem Kapitel wirkt so detailliert, dass der Verdacht naheliegt, es könne sich um Ideen von Parteimitgliedern handeln, die im richtigen Leben stehen. So sollen "die Schwellenwerte für die Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen" erhöht, die Ist-Versteuerung ausgeweitet und die Informations- und Statistikpflichten begrenzt werden. Neue Unternehmen will die Union mit einem "bürokratiefreien Jahr" beglücken.
Steuern und Finanzen
Nach der Rekordneuverschuldung wegen der Corona-Pandemie und dem damit verbundenen Ende der schwarzen Null will die Union zurück zu Haushalten ohne neue Schulden. Die entscheidende Frage, wann das wieder geschehen soll, lässt sie aber offen: "So schnell wie möglich", heißt es nur im Programm. Den dafür notwendigen Kassensturz will die Union erst nach der Bundestagswahl vornehmen. Zur Begründung insinuierte ein Markus Söder im Wahlkampfmodus, dass man den Zahlen des noch amtierenden Finanzministers und SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz womöglich nicht trauen könne.
Den Solidaritätszuschlag wollen CDU und CSU komplett abschaffen, wovon Gutverdiener und personengeführte Unternehmen profitieren würden. Kleine und mittlere Einkommen sollen aber ebenfalls entlastet werden, Genaueres findet sich jedoch nicht im Programm. Dass der Einkommensteuertarif regelmäßig an die allgemeine Preisentwicklung angepasst werden soll, um der sogenannten kalten Progression entgegenzuwirken, schützt allenfalls vor zusätzlichen Belastungen. Fixe Zahlen nennt das Programm immerhin für den steuerlichen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, der von rund 4000 Euro auf 5000 Euro erhöht werden soll, allerdings nur "perspektivisch", also irgendwann.
Die Unternehmensteuern sollen verringert, in der Firma verbleibende Gewinne mit maximal 25 Prozent besteuert werden. Wann genau? "Perspektivisch." Zudem sollen steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten verbessert werden, zum Beispiel bei Investitionen in die Digitalisierung oder den Klimaschutz.
Rente
Die Union will die private Zusatzvorsorge neu organisieren. Sie soll "effizienter, transparenter und dadurch attraktiver und einfacher" werden, heißt es im Programm. Das neue Produkt soll dann "verpflichtend für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer" sein, es sei denn, diese widersprechen selbst ihrer Einbeziehung. Auch die Förderung durch den Staat soll "attraktiv und unbürokratisch" sein.
Für einiges Aufsehen hatte die Idee einer "Generationenrente für eine Altersvorsorge von Geburt an" gesorgt. Dahinter steckt der Gedanke, dass der Staat für jedes Kind Geld für die Altersvorsorge zuschießt. Bis die Idee - wenn überhaupt - Wirklichkeit wird, dürfte es aber noch dauern. Man wolle "prüfen, wie man die Generationenrente mit einem staatlichen Monatsbeitrag zur Anlage in einem Pensionsfonds - mit Schutz vor staatlichem Zugriff - ausgestalten kann", heißt es. Eine Zahl für die denkbare monatliche Leistung aus dem Haushalt wird nicht genannt. Fachpolitiker der Union hatten für einen Betrag von 100 Euro plädiert.
Klima
Die Union setzt beim Klimaschutz vor allem auf den Emissionshandel, nennt aber keine festen Preise für die Kohlendioxid-Zertifikate. Die Einnahmen aus dem Emissionshandel sollen "in vollem Umfang an die Bürgerinnen und Bürger und an die Betriebe durch Stromverbilligung" zurückgegeben werden. Als Erstes werde dabei die EEG-Umlage abgeschafft. Ansonsten erwartet die Union viel von der technologischen Entwicklung, die Klimaschutz zugleich zu einem Wirtschaftsmotor machen soll. Ein Klimaaußenbeauftragter der Europäischen Union soll deren Schlagkraft in internationalen Verhandlungen stärken.
Wohnen
Beim Wohnen wird die Union noch einmal etwas konkreter, zumindest wenn es um den Erwerb von Wohneigentum geht. Natürlich soll wieder Bürokratie abgebaut werden, zum Beispiel bei den Genehmigungsverfahren. Das Förderprogramm für Familien der Kreditanstalt für Wiederaufbau soll ausgeweitet werden. Vor allem aber soll es einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer von 250 000 Euro pro Erwachsenem plus 100 000 Euro pro Kind beim erstmaligen Erwerb selbst genutzten Wohnraums geben - wenn die Länder mitmachen, die dafür zuständig sind.
Außenpolitik
Kein anderer Teil liest sich so sehr, als sei er von Angela Merkel geschrieben, wie die beiden ersten Kapitel zur Außen- und Europapolitik. Zum Pflichtprogramm gehören das Stärken von EU und Nato sowie das Existenzrecht Israels als Teil der Staatsräson. Die Sowohl-als-auch-Politik, also Kritik und Dialog gegenüber der Türkei, Russland und China soll fortgeführt werden. In der Entwicklungspolitik sollen außenwirtschaftliche Interessen stärker berücksichtigt werden, besondere Förderung soll Mädchen und Frauen zuteilwerden. Die Union bekennt sich zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato und zu bewaffneten Drohnen. Ärger mit Frankreich droht in der europäischen Finanzpolitik. Die Union will die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts nach der Corona-Pandemie zügig wieder in Kraft setzen. Eine Weiterentwicklung soll es nur geben, ohne die Regeln aufzuweichen, was Präsident Emmanuel Macron anders sehen dürfte. Die Finanzierung des Wiederaufbauprogramms nach der Corona-Pandemie mit gemeinsamen Schulden soll eine einmalige Sache sein. Auch da hat Paris ganz andere Vorstellungen.
Innen- und Flüchtlingspolitik
Es ist noch nicht lange her, da hätte man zwischen Armin Laschet und Markus Söder massive Verstimmungen in der Flüchtlingspolitik erwarten können. Im Programm ist davon nichts zu sehen. Der Fokus liegt eindeutig auf der Sicherung der europäischen Außengrenzen und einem Fernhalten von Flüchtlingen. Der humanitäre Aspekt wird zwar benannt, konkrete Vorschläge etwa zur Lösung der Probleme in griechischen Flüchtlingslagern fehlen aber, abgesehen von der schon seit Jahren beschworenen, aber nie verwirklichten europäischen Lösung.
In der inneren Sicherheit setzt die Union auf mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Dabei sollen auch die Chancen der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz noch besser genutzt, zur Fahndung nach schweren Straftätern, Gefährdern und Terroristen auch die automatisierte Gesichtserkennung eingesetzt werden.
Bemerkenswert ist ein Vorschlag in Verbindung mit dem Schutz von Polizisten und anderen Einsatzkräften sowie Soldaten gegen Übergriffe. Ihre Schmerzensgeldansprüche sollen vom Staat vorgestreckt werden, der sich das Geld anschließend vom Täter zurückholen soll.