Süddeutsche Zeitung

Merkel-Nachfolge:Die Union braucht eine Führungslösung ohne Tricks

Die Schwesterparteien CDU/CSU sehen wie der sichere Sieger bei der nächsten Bundestagswahl aus, aber ihnen fehlt ein logischer Kandidat für die Nachfolge von Kanzlerin Merkel. Auch Markus Söder ist das nicht.

Kommentar von Jens Schneider, Berlin

Wer laut seine große Bescheidenheit betont, ist in der Regel eines nicht: bescheiden. Die Union liegt in den Umfragen knapp unter vierzig Prozent, und damit weit über ihrem Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017. Angesichts des großen Vorsprungs sieht die Union wie der sichere Sieger bei der nächsten Wahl aus.

Nur will niemand darüber reden, wer denn den Sieg 2021 einfahren oder auch nur die CDU vom Jahresende an führen soll. Man gibt sich in der Corona-Pandemie staatsmännisch: Erst das Land, dann die Partei, ganz bescheiden.

Es wäre naiv zu glauben, dass Bescheidenheit eine Kategorie in einer Angelegenheit sein kann, in der einer wie CSU-Chef Markus Söder eine wichtige Rolle spielt. Faktisch zeigen die jüngsten Gedankenspiele in der CDU, die den Fokus auf Gesundheitsminister Jens Spahn und Söder lenken, dass intensiv über die Führungsfrage nachgedacht wird. Nur gibt es keine Lösung. Die zur Schau getragene Bescheidenheit soll die große Ratlosigkeit kaschieren.

In der CDU fühlen sich zwar einige - auch Norbert Röttgen und Friedrich Merz - zur Führung berufen, aber es gibt keinen logischen Bewerber. Zu beobachten ist eine Art Ausscheidungsrennen, bei dem seine Chancen einbüßt, wer zu viele Fehler macht oder aussieht, als ob er seinen Aufgaben nicht gewachsen wäre.

Wettkampf ohne echte Favoriten

So ist der nordrhein-westfälische Regierungschef Armin Laschet wegen seines Umgangs mit Corona-Ausbrüchen für manche schon aus dem Rennen, auch wegen schlechter Umfragewerte. Er galt mal als eine Art Favorit in diesem Wettkampf ohne echte Favoriten.

Der Verlauf dieses Wettbewerbs hat etwas Beunruhigendes. Immerhin geht es um die Führung der stärksten Partei des Landes und den möglichen Schlüssel zur Kanzlerschaft, die Nachfolge von Angela Merkel. Auch viele Wähler werden sich gerade fragen, wer das Vakuum füllen soll - und was die Bewerber qualifiziert, außer fehlerfrei aufzutreten. So ist die zur Schau getragene Ruhe der Union unangebracht.

Nur gut ein Jahr bleibt bis zur Bundestagswahl im Herbst 2021 und weniger als ein halbes Jahr bis Anfang Dezember. Dann will die CDU eine neue Spitze wählen.

Dass die glücklose Annegret Kramp-Karrenbauer noch Parteichefin ist, dürfte manchen Bürgern nicht präsent sein, weil sie nicht präsent ist. Sie hat versprochen, die Suche nach der neuen Führung von vorne zu gestalten, ist aber weder vorn, noch führt sie.

In so einer Situation entstehen verquere Gedankenspiele. So gibt es intern unter Christdemokraten die Idee, dass Laschet für Spahn verzichten könnte, der als Gesundheitsminister eine gute Figur macht. Er möge Parteichef werden, Söder Kanzlerkandidat, Laschet Bundespräsident. Diese Spielerei mit dem höchsten Amt im Staat als Manövriermasse ist nicht nur Ausdruck von geringer Demut, die Urheber übersehen beachtliche Hindernisse.

Da wäre das Bayern-Paradoxon: Hierzulande wird zwar - respektabel und öde zugleich - immer wieder Bayern München Fußballmeister, aber ein bayerischer CSU-Politiker bisher nicht Kanzler. Im Osten und im Norden reiben sich viele die Augen, dass der einstige Haudrauf nun als kanzlerfähig gelten soll.

So ein Image dreht sich langsamer, als der wandlungsfähige Söder hoffen mag. Gute Umfragewerte verzerren leicht den Blick, der aufmerksamer werden dürfte, sobald Söder offen Ambitionen zeigen sollte. Sein Gebaren wie zuletzt in Herrenchiemsee dürfte bald als allzu selbstverliebt aufgefasst werden.

Und es liegt weniger als zwei Jahre zurück, dass der Kandidat Spahn auf dem Parteitag in Hamburg im Wettkampf um die Nachfolge der CDU-Chefin Merkel abgeschlagen Dritter wurde, hinter Kramp-Karrenbauer und Merz - ein achtbares Resultat für ein Talent, aber keine Empfehlung für eine baldige Berufung. So haben die beiden beim Aufstieg nach ganz oben höchstens den halben Weg hinter sich.

Die Union muss zentrale Fragen lösen

Niemand in der Union sollte in so einem Personaltableau die Lösung für das grundsätzliche Dilemma sehen, das die derzeit führungslose CDU schwächt. Zentrale inhaltliche und strategische Fragen sind zu lösen: Wie konservativ will und muss man sein, um einstige Wähler zurückzugewinnen, auch um der Stärke der AfD vor allem im Osten zu begegnen? Wie gelingt der Ausgleich zwischen Tradition und Modernität besser?

Es mag ja sein, dass dem Kandidaten Merz inner- und außerhalb der CDU von vielen weder Parteiführung noch Kanzlerschaft zugetraut werden. Aber sein Ansehen etwa im Osten und, wie das Ergebnis beim Parteitag in Hamburg zeigte, in Teilen der Partei bezeugt, welche Sehnsüchte bestehen. Was wird getan, um Merz, seinen Anhängern und deren Anliegen gerecht zu werden?

So spiegelt die Ratlosigkeit die Uneinigkeit der Union wider. Die CDU scheint im Begriff zu sein, ihre Fehler zu wiederholen, indem sie diese Fragen ignoriert wie vor der Wahl von Kramp-Karrenbauer. Sie bräuchte eine Lösung ohne Tricks und ohne ein großes Lager der Verlierer. Ein Bemühen darum ist nicht zu erkennen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4971770
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.07.2020/gal
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.