Thomas de Maizière:Der vier Jahre im Sturm stand

Thomas de Maiziere

Als Minister trug de Maizière eine Flüchtlingspolitik mit, die seine Beamten großteils ablehnten.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Terrorismus, Flüchtlingskrise, AfD-Aufstieg - Bundesinnenminister Thomas de Maizière blickt auf harte Jahre zurück. Sein politisches Schicksal ist seit der Wahl ungewiss.

Von Stefan Braun und Hannah Beitzer, Berlin

Er muss das jetzt aushalten, es führt kein Weg daran vorbei. Nur einen Meter vor ihm steht der Mann, der sein Nachfolger werden soll. Und keinen interessiert, ob Thomas de Maizière das passt oder wehtut. Also macht er gute Miene zu einem ziemlich gnadenlosen Schauspiel, so wie er es in mehr als dreißig Jahren Politikerleben immer wieder getan hat. Er klatscht wie die anderen, obwohl das Wahlergebnis schlecht ist. Und er lächelt mit, obwohl Joachim Herrmann schon jetzt in der ersten Reihe steht, wenngleich auch der Bayer aus diesem Abend nicht wie ein Sieger herauskommt. Thomas de Maizière, Doktor der Disziplin, zeigt mal wieder, warum er diesen Ehrentitel verdient hat.

Es ist der Wahlabend des 24. September, die Unionsspitze steht auf der Bühne der CDU-Parteizentrale. Und was für alle ein miserabler Abend ist, ist für de Maizière noch viel schlimmer. Während die Bundes-CDU ziemlich gerupft, aber noch als Nummer eins aus der Wahl hervorgeht, hat sich die Welt in de Maizières Wahlkreis Meißen dramatisch verändert. Der Minister selbst kann sich als Direktkandidat noch behaupten. Aber bei den Zweitstimmen schlägt ausgerechnet hier, in der Heimat seines Herzens, wie de Maizière sagt, die Stunde der AfD-Rechtspopulisten. Sie liegen mit 32 Prozent deutlich vor den Christdemokraten.

Der Abend gerät zu einem Tiefpunkt nach vier schwierigen, teils dramatischen Jahren, in denen der 63-jährige, einst sogar als Merkel-Nachfolger gehandelte, im Zentrum aller großen Krisen stand, die diese Legislaturperiode beherrscht haben. Es öffneten sich Großbaustellen in einer Zahl, wie sie kein anderer Minister im dritten Kabinett Merkel erlebt hat. Diese Jahre waren so ziemlich das Schlimmste, was einem Innenminister passieren kann.

Als de Maizière das Amt 2009 erstmals übernahm, gestand ihm Wolfgang Schäuble, dass er einen Stoßseufzer in den Himmel geschickt habe, so froh war er, den täglichen Druck eines Sicherheitsministers los zu sein. De Maizière hat immer gesagt, er mache das alles freiwillig, deswegen werde er sich nicht beklagen. Trotzdem dürften ihm Schäubles Worte oft in den Ohren geklungen haben.

Sicherheit - das war und ist freilich immer das Thema eines Innenministers. Verrückt, herausfordernd, teils überfordernd wurden die Jahre, als die Flüchtlingskrise dazu kam. Als also unter dem Druck der arabischen Krisenregion das in sich zusammenbrach, was die Bundesregierung und mit ihr de Maizière bis 2015 für besonders clever gehalten hatte: das Dublin-System der Europäischen Union, das darauf ausgelegt ist, Flüchtlinge fernzuhalten von Europas Zentrum, also auch von Deutschland.

De Maizière hatte die Weitsicht gefehlt

Das wollten Ungarn, Griechenland und Italien 2015 nicht mehr mitmachen. Und so entstanden Flüchtlingstrecks, die plötzlich bis nach Deutschland führten. Darauf waren weder der Bund noch die Länder oder die Kommunen vorbereitet. Geahnt haben das nach dem Unglück vor Lampedusa im Herbst 2013, als Hunderte Flüchtlinge ertranken, nicht nur die Hilfsorganisationen. Trotzdem kam es in de Maizières Haus zu keinem Umdenken. Dass dem Bundesinnenminister heute eine zentrale Verantwortung für das Chaos des Jahres 2015 zugeschrieben wird, hat hier seinen berechtigten Kern und Ursprung. In der Krise selbst mühte er sich bis zum Umfallen. Ihm hatte die Weitsicht gefehlt, das Land auf so etwas vorzubereiten. Deutlich wurde das bei den anfangs chaotischen Zuständen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Was dann aber folgte und die Attacken der CSU auslöste, verbunden mit dem Vorwurf des Kontrollverlusts und des Rechtsbruchs, ging nicht nur auf ihn zurück. Im Krisenherbst 2015 waren viele staatliche Stellen überfordert, manche in Bayern mit eingeschlossen. Geprügelt wurde trotzdem der Bundesinnenminister; weil de Maizière wieder zum Beamten, Bürokraten, Verwalter geschrumpft war, statt in der großen Krise auch die große Ansprache an die Menschen zu suchen.

Und dann hatte er doch mal Glück

Was bei all dem unterging, waren die absurden Umstände, unter denen de Maizière agieren musste. Während die Bevölkerung vom Innenminister mehr Hilfe bei der Unterbringung der Flüchtlinge verlangte, wuchs ausgerechnet im Innenministerium rapide die Zahl derer, die über den Merkel'schen Flüchtlingskurs nur noch den Kopf schüttelten. Dieses Ministerium ist nun mal auf Sicherheit gepolt, noch dazu in Zeiten, in denen Extremisten den Terror im Namen des Islam nach Europa tragen. Also brach sich die lange gewachsene Kultur und Ausrichtung des Innenministeriums mit der Forderung der Öffentlichkeit, es möge doch bitte ganz schnell viel mehr für die Flüchtlinge tun. Ein Widerspruch, an dem das Ministerium und sein Minister beinahe zwangsläufig scheitern mussten.

Dabei half es wenig, dass de Maizière mitten in der Krise versuchte, ein wenig von der Last loszuwerden. Als sein Haus ächzte und bockte und er bemerkte, dass das Innenministerium diese Großaufgabe nicht mehr alleine stemmen konnte, wurde dort ein Konzept zu der Frage geschrieben, wie die Hauptverantwortung aufs Kanzleramt und von dort auf weitere Ministerien übertragen werden könnte. Als das Konzept angenommen wurde, waren sie im Innenministerium zunächst glücklich - bis sie merkten, dass daraus keine Befreiung erwuchs, sondern ein politisches Desaster wurde. Denn in den Medien hieß es nur, de Maizière sei entmachtet worden. Dass der Ursprung der neuen Arbeitsverteilung ein ganz anderer war, interessierte keinen mehr. Haften blieb, dass das Kanzleramt übernehmen musste.

Doch so schlecht das für ihn lief, so viel Glück hatte er wenig später. Es war ein Freitagabend im Herbst 2015. Am Nachmittag hatte er den Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige ausgesetzt und war wenig später von Angela Merkels Regierungssprecher via Twitter zurückgepfiffen worden. Diese Zurücksetzung eines Ministers durch einen Sprecher führte noch am selben Wochenende dazu, dass sich Wolfgang Schäuble, verärgert über diese Form der Desavouierung, auf de Maizières Seite schlug - und die Kanzlerin im CDU-Präsidium die Linie des Innenministers übernehmen musste.

Das Verrückte war: Jener Tweet, der Schäuble so aufgebracht hat, stammte gar nicht vom Regierungssprecher. Er stammte aus dem Innenministerium, das den ausgelösten Ärger einfangen wollte. Weil dieses Ministerium aber noch nicht über einen eigenen Twitter-Account verfügte, hatte sich Steffen Seibert bereit erklärt, die Botschaft des Innenministers zu twittern. So verrückt kann es bisweilen laufen.

Und so schwer ist es bis zum Schluss des Wahlkampfs auch geblieben. Im Gastraum einer Gänsefarm im sächsischen Grimma, kurz vor dem Wahltag. Der Minister ist im Wahlkampf-Endspurt, er erzählt von seinem Einsatz für mehr Polizisten, von den Anstrengungen und Initiativen und den zahlreichen neuen Gesetzen, die er auf den Weg gebracht habe. Dann kommt eine ältere Frau zu Wort, und die möchte jetzt mal über was Schönes reden. Sie erzählt von ihrem Heimatdorf, wo sie nach der Wende einen Landwirtschaftsbetrieb aufgebaut habe. Sie schildert, wie hübsch das Dorf aussieht; sie berichtet von den Festen und vom Zusammenhalt zwischen den Leuten. "Ein Dorf stabil zu halten, das muss auch die CDU können", sagt sie. "Wir müssen wieder mehr Freude in dieses Land bringen."

Der Minister lächelt, er bekommt eine Pause von den üblichen Debatten. Er sagt: "Ich habe heute Morgen nicht weit von hier eine Lutherlinde gepflanzt. Da waren zauberhafte Kinder, die haben so schön gesungen. Und ich habe gedacht: So schlimm kann es doch nicht sein in diesem Land." Es bleibt ein kurzer Moment des Glücks und der Nachdenklichkeit. Nur Tage später folgt der Wähler-Absturz im Wahlkreis.

Und die Perspektive? Ist auch nicht viel besser. Sollte Horst Seehofer bei seiner Linie bleiben, den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann als neuen Innenminister im Bund zu platzieren, dann ist eigentlich keine Konstellation denkbar, in der de Maizière sein Amt behalten könnte. Irgendwie passt das zu dieser Legislaturperiode.

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