Süddeutsche Zeitung

Bespitzelung der SPD:"Die CDU schuldet eine ehrliche Aufarbeitung"

Nach der Enthüllung über Konrad Adenauers jahrelange Spionage gegen die SPD-Spitze fordern die Sozialdemokraten die CDU zu einer Neubewertung des ersten Kanzlers der Bundesrepublik auf.

Von Roland Preuß, Berlin

Die SPD hat mit Entsetzen auf die Enthüllung reagiert, dass Konrad Adenauer die Parteispitze fast zehn Jahre lang mit Hilfe zweier Informanten ausspionieren ließ. Die Sozialdemokraten forderten die CDU auf, die Vorgänge aufzuarbeiten. "Es ist ein ungeheuerlicher und in der bundesrepublikanischen Geschichte wohl beispielloser Vorgang, dass der erste demokratische Bundeskanzler seine Macht systematisch unter Missachtung rechtsstaatlicher und demokratischer Prinzipien ausbaute und festigte", sagte SPD-Generalsekretärs Kevin Kühnert am Samstag der Süddeutschen Zeitung. "Es wird Zeit, sich als deutsche Christdemokratie einer kritischen Aufarbeitung zu stellen." Die Aufdeckung dieses "skrupellosen Machtmissbrauchs lässt Teile unserer bundesrepublikanischen Geschichte in einem gänzlich anderen Licht erscheinen".

Es sei heute zwar sinnlos, darüber zu spekulieren, inwiefern der Verlauf der Geschichte ohne diese massive politische Wettbewerbsverzerrung ein anderer gewesen wäre, sagte Kühnert. Das mindere jedoch nicht die Sprengkraft der Erkenntnisse. Vor diesem Hintergrund müssten Geschichtsbücher und Biografien neu geschrieben und insbesondere "das Werk Adenauers in Anbetracht seines Missbrauchs des Auslandsgeheimdienstes neu eingeordnet werden".

Der erste Kanzler der Bundesrepublik hatte die SPD fast zehn Jahre lang mithilfe zweier Informanten ausspähen lassen, einer von ihnen arbeitete in der Parteispitze der Sozialdemokraten. Fast 500 vertrauliche Berichte aus dem SPD-Parteivorstand gelangten auf diesem Weg in das CDU-geführte Kanzleramt. Adenauer, der von 1949 bis 1963 regierte, wurde über den Spitzel des Bundesnachrichtendienstes (BND) oft noch am selben Tag darüber informiert, was die größte Oppositionspartei im Land diskutierte und plante. Dies geht aus Akten der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung hervor, die der Historiker Klaus-Dietmar Henke ausgewertet hat und die die Süddeutsche Zeitung einsehen konnte. Henke ist Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND.

"Schmerzhafte aber zwingend notwendige Aufgabe"

Kühnert sagte, der CDU komme nun "eine schmerzhafte aber zwingend notwendige Aufgabe" zu. "Sie muss sich dazu verhalten, dass die Geschichte ihres prägendsten Vorsitzenden und somit auch die eigene Parteigeschichte mehr als ein Jahrzehnt lang auf systematischer Bespitzelung des politischen Gegners, insbesondere der SPD, beruhte." Die Erzählung vom Instinktpolitiker Konrad Adenauer könne zumindest in ihrer Reinform als widerlegt betrachtet werden. Die CDU müsse die Vorgänge nun aufarbeiten und zwar nicht zum Wohle der Sozialdemokratie, sondern "zum Wohle der Wahrhaftigkeit, unserer Demokratie und ihres Ansehens", sagte Kühnert.

Es sei schwer erträglich, dass es mehr als 60 Jahre gebraucht habe, um diesen Skandal aufzuklären. Viele seinerzeit aktive Sozialdemokraten könnten nicht mehr erleben, wie ihnen und ihrer Partei späte Gerechtigkeit widerfahre, sagte Kühnert. "Die CDU schuldet ihnen und unserer Geschichte, die in Teilen neu reflektiert werden muss, eine ehrliche Aufarbeitung."

Adenauer-Stiftung und BND wollen den Skandal nicht weiter kommentieren

Die CDU äußerte sich bis Samstagnachmittag auf SZ-Anfrage nicht zu den Vorwürfen. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung teilte mit, über die Aktivitäten der Organisation Gehlen, Vorläufer des späteren BND, gegenüber der SPD sei in der Vergangenheit bereits mehrfach berichtet worden. "Das Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung steht - wie auch in diesem Fall geschehen - Forschern, Journalisten und Interessierten weltweit für ihre Recherchen offen." Befunde und Bewertungen von Wissenschaftlern oder Journalisten kommentiere die Stiftung "üblicherweise nicht".

Der Bundesnachrichtendienst erklärte, im Jahr 2011 sei vom BND eine Unabhängige Historikerkommission (UHK) berufen worden, um die Geschichte des eigenen Hauses und seiner Vorläuferorganisationen für die Jahre 1945 bis 1968 und den Umgang mit dieser Vergangenheit aufzuarbeiten. "Die Arbeitsergebnisse der UHK stehen für sich."

Schon bisher war bekannt, dass Adenauer über seinen Staatssekretär Hans Globke und Reinhard Gehlen, Leiter der nach ihm benannten Organisation Gehlen, innenpolitische Gegner überwachen und belastendes Material über sie sammeln ließ. Prominentestes Beispiel ist der spätere SPD-Bundeskanzler Willy Brandt.

Die nun ausgewerteten Dokumente zeigen jedoch eine neue Dimension der illegalen innenpolitischen Geheimdienstarbeit von Adenauers Regierung gegen die politische Konkurrenz. Im Mittelpunkt der jahrelangen Spionage gegen die SPD-Führung standen Siegfried Ortloff und Siegfried Ziegler. Beide waren Sozialdemokraten, Ortloff arbeitete für den SPD-Vorstand und war dort für die Abwehr kommunistischer Unterwanderung zuständig. Ziegler war Mitglied der Organisation Gehlen und zugleich SPD-Kreisvorsitzender in Starnberg, er stellte den Kontakt her zwischen Gehlen und Ortloff. Beide Sozialdemokraten lieferten fortan die vertraulichen Informationen aus den Spitzenrunden der Genossen an Gehlen, die über Globke ihren Weg zu Kanzler Adenauer fanden.

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