Castor-Transport rollt Richtung DeutschlandHeiße Fracht, heftige Proteste

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Das erste Mal mussten die elf Waggons mit 123 Tonnen Atommüll bereits kurz nach dem Start in Nordfrankreich zwangspausieren: Atomkraftgegner hatten sich an die Gleise gekettet. Indes machen sich im Wendland Zehntausende zum Protest bereit. SPD-Chef Gabriel beordert angesichts des massiven Widerstands die Kanzlerin nach Gorleben.

Schon Tage vorher haben sie das sogenannte "Schottern", das Entfernen von möglichst vielen Steinen aus dem Gleisbett, geübt. Wenn die Waggons mit 123 Tonnen Atommüll aus deutschen Kernkraftwerken an diesem Samstag zurück nach Deutschland rollen, soll der konzertierte Protest der Atomkraftgegner perfekt klappen. Insgesamt 40.000 Demonstranten werden nach Angaben von Bürgerinitiativen an diesem Wochenende im Wendland erwartet - es wäre eine der größten Atom-Protestaktionen überhaupt.

Heißes Transportgut: Das mit einer Infrarotkamera aufgenommene Bild zeigt zwei von insgesamt elf Waggons mit radioaktivem Abfall kurz nach dem Start des Castor-Zuges in Nordfrankreich.
Heißes Transportgut: Das mit einer Infrarotkamera aufgenommene Bild zeigt zwei von insgesamt elf Waggons mit radioaktivem Abfall kurz nach dem Start des Castor-Zuges in Nordfrankreich. (Foto: dapd)

Auch die Spitzen der Grünen und Linken wollen an der Kundgebung im niedersächsischen Dannenberg nahe des atomaren Endlagers Gorleben teilnehmen. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi will persönlich einen Traktor steuern. SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte indes Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, nach Gorleben zu kommen und sich den Demonstranten zu stellen.

Die Polizei aus fast allen Bundesländern ist mit mindestens 16.500 Beamten im Einsatz. Beinahe an jeder Straßenecke waren bereits am Freitag Einsatzfahrzeuge postiert, Wasserwerfer standen bereit.

Der Castor-Transport näherte sich indes der deutsch-französischen Grenze. Nach Angaben französischer Kernkraftgegner passierte der Zug mit den elf Spezialbehältern um kurz nach 10 Uhr die südöstlich von Metz gelegene Gemeinde Han-sur-Nied. Gegen 11.30 Uhr wurde er in Straßburg erwartet und eine Stunde später an der Grenze in Lauterbourg.

Der niedersächsische Verfassungsschutz warnte vor einer großen Zahl von Demonstranten, die vor Straftaten nicht zurückschrecken. "Wir gehen davon aus, dass einige hundert gewaltbereite Autonome die Castor-Proteste für ihre Zwecke missbrauchen wollen", sagte Verfassungsschutzpräsident Hans-Werner Wargel der Neuen Osnabrücker Zeitung. Erwartet würden etwa doppelt so viele Linksradikale wie beim Transport 2008. Dieser harte Kern der Linksextremisten sei aber nur eines der Probleme. "Hinzu kommen weitere, zum Teil linksextremistische Gruppen, die offensichtlich eine hohe Bereitschaft zu Straftaten haben", erklärte Wargel. Dies bedeute für die Sicherheitskräfte "eine deutlich brisantere Mischung als bei vergangenen Transporten".

Der Castor-Zug war am Freitag nahe der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague in Nordfrankreich gestartet. Schon kurz nach dem Start stoppten ihn Atomkraftgegner für etwa drei Stunden. Sie hatten sich bei Caen an das Gleis gekettet. Sieben Aktivisten, darunter ein Deutscher, wurden festgenommen.

Nach Angaben der französischen Anti-Atomkraftgruppe "Sortir du nucléaire" wurde die Fahrtroute des Zuges in der Nacht zum Samstag geändert. Statt über Arras, Valenciennes, Fourmies Hirson und Charleville sollte der Transport nun weiter südlich von Amiens in Richtung Reims und dann über Metz zur deutschen Grenze führen. Gründe für die Streckenänderung wurden nicht genannt.

Protest-Zentrum in Dannenberg

Im Wendland selbst kam es bereits in der Nacht zum Samstag zu vereinzelten Protestaktionen: Demonstranten blockierten am Freitagabend die Bundesstraße 216 in Metzingen (Kreis Lüchow-Dannenberg). Bei einem Laternenumzug strömten etwa 200 der insgesamt 400 Demonstranten auf die Bundesstraße, teilte der Pressesprecher des Castor-Transports, Stefan Kühm-Stoltz, mit. Die Polizei drängte die weitgehend friedlichen Demonstranten von der Straße herunter. Nach eineinhalb Stunden war die Bundesstraße wieder befahrbar. Auch in Lüneburg demonstrierten etwa 1000 Menschen gegen den Castor-Transport.

Die größten Proteste sind aber voraussichtlich erst mit der Ankunft der elf Castor-Behälter in Dannenberg zu erwarten. Am Verladebahnhof werden die Container auf Tieflader umgesetzt, um die letzten 20 Kilometer auf der Straße zum Zwischenlager Gorleben zurückzulegen.

Angesichts der Entscheidung der Bundesregierung, die Laufzeiten der Kernkraftwerke um durchschnittlich 12 Jahre zu verlängern, rechnet die Anti-Atom-Bewegung mit einem besonders großen Zulauf für ihre Protestaktionen. Zudem wird die Wiederaufnahme der Erkundung des Salzstocks kritisiert, der ganz in der Nähe des oberirdischen Zwischenlagers liegt. Die Bevölkerung fürchtet, dass hier das Endlager für hoch radioaktiven Atommüll errichtet werden soll.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was SPD-Chef Gabriel von Kanzlerin Merkel fordert.

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SPD-Chef Gabriel forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, nach Gorleben zu fahren und gemeinsam mit den vier Vorsitzenden der Atomkonzerne mit den Demonstranten zu diskutieren. "Denn Frau Merkel und ihre vier Freunde sind es, die einen gesellschaftlichen Großkonflikt wieder eröffnet haben, der durch den Atomausstieg längst befriedet war", sagte Gabriel der Passauer Neuen Presse. Gorleben solle gegen alle Bedenken durchgedrückt werden, weil sonst für die längeren Laufzeiten der Entsorgungsnachweis für den Atommüll fehle, sagte Gabriel. "Wer diesen Wahnsinn verantwortet, der kann sich jetzt nicht hinter den Polizisten verstecken.

Gabriel selbst war in seiner Zeit als Bundesumweltminister (2005-2009) dafür eingetreten, auch im Süden Ton- und Granitformationen als mögliche Endlager zu prüfen, Bayern und Baden-Württemberg sind aber dagegen.

Appell zu friedlichen Protesten

Die Grünen-Führung machte die Bundesregierung für eine mögliche gewalttätige Eskalation bei den Protesten verantwortlich. "Die Regierung redet nicht mit der Bevölkerung, sondern will Konflikte mit Wasserwerfern lösen", sagte Parteichef Cem Özdemir der Bild am Sonntag. Die schwarz-gelbe Bundesregierung habe einen von Rot-Grün befriedeten Konflikt wieder aufgerissen, sagte auch die Parteivorsitzende Claudia Roth dem Blatt. Zugleich riefen Roth und Özdemir zu friedlichen Protesten auf.

Auch der Grünen-Bundestagsfraktionschef und ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin äußerte die Hoffnung auf friedliche Proteste: "Alles andere wäre für unser Anliegen in höchstem Maße schädlich", sagte er der Neuen Osnabrücker Zeitung. Grüne und Bürgerinitiativen verfolgten seit drei Jahrzehnten eine Strategie des fantasievollen gewaltfreien Widerstands. Das sei der Schlüssel ihres Erfolgs. "Ich sehe keinen Grund, aber auch keine Anzeichen dafür, dass das jetzt anders sein sollte", betonte Trittin.

Unterdessen ist Linken-Fraktionschef Gregor Gysi in Gusborn angekommen und hat die Bundesregierung scharf kritisiert. Er halte es für "unverschämt, Niedersachsen zum Atomklo der Bundesrepublik zu machen".

Indes hat Umwelt-Staatssekretärin Katherina Reiche den Grünen eine unredliche Haltung bei ihrem Anti-Castor-Protest vorgeworfen: "Wir werden den Grünen nicht durchgehen lassen, dass sie die Castor-Transporte in gute und schlechte unterteilen", sagte die CDU-Politikerin der dpa. Auch unter dem Grünen-Umweltminister Trittin habe es bis 2005 mehrere Atommülltransporte gegeben. "Billiger Protest" helfe nicht weiter, sagte Reiche. Die Entsorgung des Atommülls sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Wann der Transport das Wendland erreicht, hängt auch von den Protesten der Atomkraftgegner ab. Der Transport muss von der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague bis ins Zwischenlager Gorleben etwa 1000 Kilometer zurücklegen.

© dpa/dapd/AFP/jobr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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