Castor-Transport nach Gorleben:Atommüll-Transport rollt weiter in Richtung Dannenberg

18 Stunden später: Nachdem Tausende Castor-Gegner seit Samstagnacht die Strecke zwischen dem Güterbahnhof Maschen und dem Zwischenlager in Gorleben blockiert hatten, setzt der Transport seine Fahrt seit 13 Uhr wieder fort. Die Polizei spricht von "exzessiver Gewaltbereitschaft" in Teilen der Protestszene - Grünen-Politikerin Roth kritisiert ihrerseits den "überzogenen" Polizeieinsatz.

Der Castor-Transport hat sich am Sonntagmittag gegen 13.00 Uhr nach einem mehr als 18-stündigen Halt im Rangierbahnhof Maschen südlich von Hamburg wieder in Bewegung gesetzt. Das berichteten übereinstimmend Reporter am Ort sowie Castor-Gegner via Twitter.

Castor-Transport

Polizisten begutachten am Sonntagmorgen in Harlingen Schäden am Gleisbett. Zuvor hatten sie eine Sitzblockade geräumt.

(Foto: dapd)

Der Zug fährt er weiter Richtung Dannenberg, wo die elf Behälter mit hoch radioaktiver Ladung für die letzten Kilometer auf der Straße auf Tieflader umgeladen werden müssen. Die Polizei war unterdessen weiter damit beschäftigt, an mindestens zwei Stellen Aktivisten von den Gleisen zu lösen, die sich festgekettet hatten.

Proteste von Atomkraftgegnern hatten den Castor-Transport mit hochradioaktivem Atommüll nach Gorleben lange aufgehalten. Die ganze Nacht zum Sonntag hatten Schienen- und Straßenblockaden von Castor-Gegnern die Polizei beschäftigt. Mindestens 3000 Demonstranten hatten rund zwölf Stunden lang auf den Bahngleisen der Castor-Strecke ausgeharrt, um dem Atommüll-Transport nach Gorleben den Weg zu versperren.

Gegen drei Uhr nachts habe die Polizei mit der Räumung der Sitzblockade in einem Waldstück bei Hitzacker begonnen, sagte ein Polizeisprecher am Sonntagmorgen in Lüneburg. Zwei Kletterer waren ich dort laut Polizei zudem auf Bäumen an der Strecke festgekettet. Beamte versuchten sie herunterzuholen.

Der Atommüll-Zug wird somit länger unterwegs sein als je zuvor. Nach dem Start am Mittwochnachmittag in Frankreich hat der 13. Castor-Transport bis zum Sonntagmittag fast 93 Stunden gedauert. Im vergangenen Jahr war er nach rund 92 Stunden Fahrt im Zwischenlager Gorleben angekommen. Der diesjährige Castor-Transport kam bislang wegen geplanter Zwischenstopps in Frankreich und Deutschland nur langsam voran, dazu kommen viele Protestaktionen und Blockaden an der Strecke.

Der Lüneburger Polizeipräsident Friedrich Niehörster hat die zunehmende Gewaltbereitschaft bei den Protesten beklagt. Laut Welt am Sonntag berichtete der für den Transport verantwortliche Niehörster einer Gruppe niedersächsischer Landtagsabgeordneter, dass Polizisten zum Beispiel mit Golfbällen beworfen worden seien, die zuvor mit Nägeln präpariert worden waren. In einem Waldstück nahe Metzingen an der Straßentransportstrecke sei eine Polizistin, die sich allein in einem Einsatzwagen befand, mit Molotowcocktails bedroht worden. Niehörster berichtete auch von Brandanschlägen auf Kabelschächte der Bahn und von angesägten Bäumen, die auf Polizeiautos gestürzt werden sollten. Insgesamt gebe es in Teilen der Protestszene eine "exzessive Gewaltbereitschaft", zitierte die Zeitung Niehörster weiter. Dafür ließen sich "offenbar immer mehr Menschen gewinnen".

Grünen-Chefin Claudia Roth hat ihrerseits den Polizeieinsatz als überzogen kritisiert. Es sei nicht akzeptabel, "dass der Staat sein Visier runterklappt" und die Menschen mit Wasserwerfern und Schlagstöcken traktiere, sagte Roth auf dem Bundesparteitag der Grünen in Kiel. Die Demonstrationen gegen den Atommüll-Transport seien legitim und "Ausdruck des zivilen Ungehorsams". Die Atomkraftgegner ließen sich ihr Demonstrationsrecht nicht nehmen.

Atomkraftgegner erreichten Betonpyramide

Mit schwerem technischen Gerät musste die Polizei in der Nacht und am Morgen ausrücken, um Menschen von den Gleisen befreien. Vier Atomkraftgegner machten sich an den Bahngleisen zwischen Lüneburg und Dannenberg mit einer Rohrvorrichtung fest. Je ein Arm stecke in einem Betonblock, der unter den Gleisen verankert ist, hieß es von den Castor-Gegnern. Mit einem Presslufthammer versuche die Polizei sie zu befreien. "Das wird uns noch länger beschäftigen", sagte ein Polizeisprecher. "Das ist eine nicht einfache Konstruktion."

In Hitzacker ketteten sich weitere Atomkraftgegner an einer Betonpyramide auf der Bahnstrecke fest. Spezialisten der Polizei sollten anrücken, um die angeketteten Castor-Gegner zu befreien. Es soll sich laut Angaben von Anti-Atom-Initiativen um vier Mitglieder der Bäuerlichen Notgemeinschaft handeln.

Eine weitere Aktion von sieben Greenpeace-Mitgliedern hatte die Polizei bereits in der Nacht nach sechs Stunden beendet. Auch sie hatten sich an den Gleisen angekettet. Arbeiter entfernten ein gut zehn Meter langes Stück der Gleise und lösten so die Atomgegner von den Schienen. Nach Reparaturen war die Strecke wieder befahrbar.

Ein Polizeisprecher sagte, die Räumung sei sowohl von Seiten der Polizei als auch der Demonstranten "ruhig und geordnet" verlaufen. Dem Sprecher zufolge wurden alle diejenigen, die der Aufforderung zum Räumen der Gleise nicht folgten, in die sogenannte Außengewahrsamstelle gebracht. Sie sollen einem Richter vorgeführt werden. Hauke Nissen, ein Sprecher der Gruppe "WiderSetzen", schätzte die Zahl der in Gewahrsam genommenen Demonstranten auf etwa 2000. Die Gefangenensammelstelle auf freiem Feld bezeichnete er als "illegal".

Strohsäcke und Folien gegen die Kälte

Ausgerüstet mit Strohsäcken und Wärmefolien hatten die Sitzblockierer seit Samstagnachmittag stundenlang an den Gleisen ausgeharrt. Mit Musik und frischen Waffeln vertrieben sie sich während der Sitzblockade die Zeit - Kerzen und Lagerfeuer sorgten für Stimmung. Seit Sonntagmorgen wurden die Demonstranten einzeln von Polizisten von den Gleisen getragen, um den Weg für den Atommüllzug frei zu machen. Abseits der Bahngleise errichteten Atomkraftgegner in der Nacht zahlreiche Straßenbarrikaden: Die Polizei musste Bäume, Reifen, Sand und Kartoffelkisten von den Straßen räumen.

"Wir lassen uns von den Aktionen nicht aus der Ruhe bringen", sagte ein Polizeisprecher. "Wir haben schließlich schon ein bisschen Routine mit den Demonstrationen beim Castor."

Der Castor-Transport mit hochradioaktivem Atommüll war am Mittwoch in Frankreich zum rund 1200 Kilometer entfernten Zwischenlager in Gorleben gestartet. Der Zug hatte am Abend über eine nördliche Route den Güterbahnhof Maschen angesteuert und dort vorerst pausiert. Die Polizei hat nun begonnen, den Weg zur Verladestation nach Dannenberg frei zu machen - dort sollen die elf Behälter auf Speziallastwagen umgeladen werden und nach Gorleben fahren. Wann der Zug seine Fahrt fortsetzen wird, war am Sonntagmorgen noch unklar.

Starker Wind könnte erstmals das Umladen der Castor-Behälter von der Schiene auf Lastwagen in Dannenberg verzögern. Der Deutsche Wetterdienst sagte für Sonntagnachmittag Windstärken zwischen acht und neun voraus. Der Kran, mit dem die Castorbehälter vom Zug auf Lastwagen umgeladen werden, wird nur bis Windstärke 7 eingesetzt. Sollte diese Stärke überschritten werden, werde das Verladen der rund sechs Meter langen und rund 120 Tonnen schweren Behälter eingestellt, sagte am Abend der Sprecher des Zwischenlagerbetreibers, der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS).

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