Süddeutsche Zeitung

Carolin Emcke:Unverzeihlich

Der "Amerikanische Traum" ist die große Erzählung der USA. Donald Trump hat diese Erzählung pervertiert. Doch genau daran könnte er als Präsidentschaftskandidat nun scheitern.

Aufs Ganze gesehen, bleiben Kulturen sich selbst opak", schreibt der Kulturwissenschaftler Albrecht Koschorke in seiner monumentalen Erzähltheorie "Wahrheit und Erfindung". "Sie träumen und dichten sich eher, als dass sie sich denken." Kulturen oder Gesellschaften erträumen und erdichten sich Erzählungen über sich selbst. Sie erfinden Mythen, die einen ursprünglichen Anfang beschreiben, in dem sich das Besondere zeigen soll, das sie auszeichnet vor anderen Gesellschaften und das sie leiten möge für die Zukunft. Es sind diese Geschichten, die wieder und wieder erzählt werden, in Reden, in Büchern oder Filmen, die weitergereicht werden von Generation zu Generation - bis sie für wahr gehalten werden und für ewig.

Es gibt Gründungsmythen wie die Geschichte des Exodus, die erzählt vom Auszug und der Befreiung von Unterdrückung und Sklaverei. Und sie weist in Moses einem Außenstehenden, einem Findelkind, eine besondere Rolle zu. Es gibt Gründungsmythen wie die Geschichte des Wiederaufbaus nach Krieg und Zerstörung. Und sie weist nicht einem Einzelnen, sondern einer ganzen Gruppe, die normalerweise als außenstehend oder zumindest bedeutungslos gilt, nämlich den Frauen, eine besondere Rolle zu. Die Vereinigten Staaten erzählen von sich die Geschichte des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten, das als Einwanderungsland sich gründete, und in dem jede und jeder, gleich welcher Herkunft oder Konfession, nicht nur heimisch, sondern reich werden könne.

Der Selfmademan muss jetzt um Geld betteln - das sehen seine Sympathisanten als Schwäche

"Sie waren mit einer neuen treibenden Kraft gekommen, zu wachsen und aufzusteigen und für sich ein Leben herauszuhauen, in dem sie sich nicht nur als Menschen durchsetzen, sondern auch als Menschen anerkannt sein wollen," so formulierte es John Truslow Adams, der den Begriff des "American Dream" mit seinem "Epos Amerika" im Jahr 1931 geprägt hat. Die treibende Kraft zu wachsen und aufzusteigen, sie hat sich seither kondensiert in der endlos verbreiteten Fabel von dem, der es durch Leistung allein aus Lumpen zu Reichtum ("from rags to riches") bringen könnte. In der erzählten Fiktion ist es demnach die Arbeit allein, die Erfolg und Reichtum generiert, und es ist die Arbeit, der gesellschaftliche Anerkennung zukommen soll. Die opake Realität hat allerdings die Dramaturgie der Geschichte etwas beschleunigt und um den Topos Arbeit bereinigt. Geblieben ist eine schnöde sozialdarwinistische Version, die Anerkennung schlicht dem verspricht, der bereits erfolg-reich ist.

Das ist insofern zutreffend, als die Chancen, tatsächlich allein durch den Lohn der Arbeit ein eigenes Vermögen aufzubauen, die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich allein durch Arbeit sozialen Aufstieg zu gewährleisten, in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten eher begrenzt sind: Noch immer leben fast 15 Prozent der Amerikaner unterhalb der Armutsgrenze - obgleich die meisten von ihnen arbeiten. Das sind die "working poor", immerhin mehr als 45 Millionen Menschen. Mehr als 60 Prozent der Amerikaner haben Rücklagen nicht über 1000 Dollar, rund ein Fünftel besitzt nicht einmal ein eigenes Sparkonto. Leistung und Verdienstmöglichkeit entwickeln sich keineswegs symmetrisch: seit den 70er-Jahren haben sich die Einkommen des reichsten einen Prozents verdreifacht, wohingegen die Einkommen der Mittelschicht sich nur um 40 Prozent erhöhten.

Es ist diese Abwandlung des Gründungsmythos, an die der Präsidentschaftskandidat Donald Trump in seinem Wahlkampf bislang hemmungslos appelliert hat: Erfolg dem Erfolgreichen. Die wesentliche Qualifikation, die Trump an Trump zu preisen hatte, war seine ökonomische Potenz. Und das schien zu reichen. Seit Anfang dieser Woche hat das One-trick-Pony, das in der kapitalistischen Manege nur das Kunststück des eigenen Reichtums aufzuführen wusste, allerdings ein Problem: Der "Federal Election Commission Report" veröffentlichte die Zahlen der Wahlkampf-Etats der beiden Präsidentschaftskandidaten, und demnach verfügte die Kampagne des Multimilliardärs Trump Ende Mai nur noch über schlappe 1,3 Million Dollar (im Vergleich zu Hillary Clintons Etat, der stolze 42 Millionen Dollar aufwies). "Ich verstehe von Geld mehr als jeder andere", suchte Trump in seiner gewohnt bescheidenen Art die Fragen nach dem finanziellen Debakel abzuwehren. Aber der Bericht der Kommission lässt daran mächtig Zweifel aufkommen. Denn offensichtlich sammelt Donald Trump nicht nur bemerkenswert wenig Spendengelder (lediglich 3,1 Millionen Dollar im vergangenen Mai), vor allem aber gibt er mehr aus (nämlich 6,7 Millionen). 2,2 Millionen Dollar lieh die Privatperson Trump zudem dem Kandidaten Trump.

"Das Unerwartbare, nicht das Erwartbare zieht die Lust des Erzählens auf sich", schreibt Albrecht Koschorke in "Wahrheit und Erfindung", und so ist die unerwartete Geschichte des Multimilliardärs, dem das Geld ausgeht, eine besonders lustvolle Erzählung. Dem Präsidentschaftskandidaten wurde bislang nahezu alles verziehen: sein grobschlächtiger Machismo, sein unverblümter Rassismus, sein ausgeprägter Stolz auf seine Unbildung, ja eigentlich auf alles, wofür andere sich schämen würden. Nur, dass der Finanzmogul Trump womöglich seinen Wahlkampf in die Pleite führt, das dürfte der ihm bislang gewogene Teil der amerikanischen Gesellschaft für absolut unverzeihlich halten.

Vermutlich noch unverzeihlicher dürfte es seine Wählerklientel finden, dass Trump nun auch noch zu jammern begann und die Republikanische Partei aufforderte, ihn zu unterstützen. Er könne nicht alles allein leisten, sondern brauche auch die Hilfe der Republikaner. Trump scheint vergessen zu haben, dass dies die Kehrseite der großen Erzählung des American Dream ist, die immer nur das Individuum als historische Figur erkennen und belohnen will: Wer scheitert, ist dafür immer allein verantwortlich. Mit einem "No, I cannot" als Slogan, wie es diese Woche Donald Trump erstmals angedeutet hat, dürfte es in den Vereinigten Staaten schwer werden, eine Wahl zu gewinnen.

Für ihre Bücher, Essays und Reden erhält Carolin Emcke in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Eine ausführliche Würdigung ist im Feuilleton zu lesen.

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SZ vom 25.06.2016
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