Carla Del Ponte im Interview:"Kein Kriegsverbrecher kann in Ruhe schlafen!"

Die scheidende Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals über Triumphe und Niederlagen im Fall Slobodan Milosevic, ihren Motor Gerechtigkeit und ein mögliches Combeback in der internationalen Strafjustiz.

Helena Kysela

sueddeutsche.de: Frau Del Ponte, sind Sie zum Ende Ihrer achtjährigen Amtszeit zufrieden mit der Arbeit, die das UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien geleistet hat?

Carla del Ponte, Reuters

Nach acht Jahren verabschiedet sich Carla Del Ponte als Chefankägerin des UN-Tribunals.

(Foto: Foto: Reuters)

Del Ponte: Ja, ich bin durchaus zufrieden mit dem, was wir tun konnten. Das Tribunal für das ehemalige Jugoslawien hat gezeigt, dass es keine Straflosigkeit geben kann. Wir haben einen amtierenden Staatschef, Premierminister, Armeechefs, Polizeigeneräle und hochrangige Politiker verfolgt. Dank dieser bahnbrechenden Institution und der Sondergerichtshöfe, die anschließend gegründet wurden, lautet die Frage nicht mehr, OB Kriegsverbrecher verfolgt werden, sondern WANN.

Das Sondertribunal für Jugoslawien hat einen Beitrag zur Entwicklung des Völkerrechts geleistet und so die Gründung anderer internationaler Gerichte inspiriert: des Ruanda-Tribunals, des Sondergerichtshof für Sierra Leone, des Kambodscha-Tribunals und - am allerwichtigsten - des Internationalen Strafgerichtshofs.

Dies sind die Ergebnisse der harten Arbeit vieler engagierter Fachleute in meinem Strafverfolgungsbüro und des Tribunals insgesamt. Die Fehler werde ich andere analysieren lassen, wenn das Tribunal eines Tages seine Pforten schließt.

sueddeutsche.de: Was war in Ihren Augen Ihr größter Erfolg und was war Ihre größte Niederlage?

Del Ponte: Ich habe mich sehr gefreut, als ich gesehen habe, wie Milosevic in den Gewahrsam des Tribunals gebracht wurde. Andererseits war ich wütend, dass er der Gerechtigkeit entwischen konnte.

sueddeutsche.de: Ihre Motivation für diesen Job war am Anfang die Gerechtigkeit und die Freude an der Arbeit. Wird man nicht irgendwann amtsmüde, wenn die Gerechtigkeit nicht wirklich stattfindet, wenn keiner der Angeklagten wegen Genozid verurteilt wird und Ihr prominentester Angeklagter, Slobodan Milosevic, vor der Verurteilung stirbt?

Carla Del Ponte: Jedes Mal wenn eine Anklage bestätigt wird, wenn ein Flüchtiger dem Tribunal überstellt oder verurteilt wird, ist das ein sehr wichtiger Moment. Diese Momente sind die Belohnungen für die sehr harte Arbeit, die wir leisten. Insgesamt haben wir vieles erreicht - wir haben Erst-Anklagen gegen 63 Personen erhoben und 91 Angeklagte wurden in den Gewahrsam des Tribunals gebracht.

Wir haben ohne Zweifel bewiesen, dass ein Völkermord in Srebrenica stattgefunden hat. Dass die Verbrechen gegen Zivilisten während der Belagerung von Sarajevo die höchste Strafe verdienen. Wenn ich schaue auf alles, was wir geleistet haben, gab mir das die Motivation, weiterzumachen. Natürlich hat es auch Enttäuschungen gegeben - zum Beispiel, als Milosevic starb und somit der Gerechtigkeit entkam.

Eine andere Enttäuschung ist die Tatsache, dass Mladic und Karadzic noch immer frei herumlaufen. Das Tribunal darf seine Türen nicht schließen, bevor die verbliebenen Flüchtigen vor Gericht gestellt worden sind. Ich hoffe, dass die Europäische Union das Tribunal weiterhin unterstützt bis das der Fall ist. Der UN-Sicherheitsrat muss dem Sondergerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ermöglichen, seine Mission zu vollenden.

sueddeutsche.de: Im Milosevic-Prozess wurde ihnen vorgeworfen, Sie hätten die Anklageschrift überfrachtet. Würden Sie jetzt alles genauso wieder machen?

Del Ponte: Ja. Als die einzige Repräsentantin der Opfer in den Verfahren vor dem Jugoslawien-Tribunal kann ich nicht einfach bestimmen, dass manche Verbrechen wichtiger als andere sind. Das wäre eine "Gerechtigkeit à la carte" und ich glaube nicht an dieser Art der Gerechtigkeit.

Die Verteidigung ist das einzige, was man im Fall Milosevic anders hätte machen sollen. Es hätte Slobodan Milosevic nicht erlaubt werden sollen, sich selbst zu verteidigen. Dies ist einer der Gründe, warum der Prozess so lange dauerte. Er wurde mehrmals unterbrochen, weil der Angeklagte so oft krank war. Das hat uns 76 Verhandlungstage gekostet. Unter normalen Umständen hätte dieser Prozess etwa anderthalb statt vier Jahre gedauert und vielleicht hätte Milosevic dann noch sein Urteil erlebt.

sueddeutsche.de: Radovan Karadzic und Ratko Mladic sind schon seit zwölf Jahren auf der Flucht. Im Oktober haben Sie noch in einem Interview gesagt, dass Sie zur 80 Prozent davon überzeugt sind, dass Mladic bis zum Ende des Jahres verhaftet wird. Glauben Sie das immer noch?

Del Ponte: Ich glaube immer noch, dass sie eines Tages verhaftet werden. Ich bin aber, wie ich dem Sicherheitsrat berichtet habe, nicht besonders zuversichtlich, dass dies bald der Fall sein wird. Obwohl Serbien sich klar zu einer Zusammenarbeit mit dem Tribunal verpflichtet hat, ist es bisher bei Worten geblieben. Taten sind noch nicht gefolgt. Erhebliche Mängel gibt es bei der Kontrolle der zivilen und militärischen Geheimdienste.

Trotz der vereinbarten Verpflichtung der serbischen Behörden, voll und ganz mit meiner Behörde zu kooperieren und trotz verbesserter Verfahren, gibt es keinen klaren Fahrplan, keinen Strategie für die Suche nach den Flüchtigen, keine ernsten Anhaltspunkte und kein Zeichen, dass glaubwürdige Anstrengungen unternommen werden, um die Flüchtigen zu verhaften. Ich kann nicht leugnen, dass es erste Schritte gegeben hat, aber sie sind langsam und ineffizient und sind der Dringlichkeit des Momentes sicher nicht angemessen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite weiter, welche Mängel Carla del Ponte bei der Suche nach Radovan Karadzic und Ratko Mladic sieht.

"Kein Kriegsverbrecher kann in Ruhe schlafen!"

sueddeutsche.de: Die USA haben schon vor einigen Jahren ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar für Informationen, die zur Festnahme von Mladic führen, ausgesetzt. Die serbische Regierung hat eine Million Euro für Hinweise geboten, reicht das nicht?

Milosevic, AP

Der ehemalige jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic starb vor seiner Verurteilung.

(Foto: Foto: AP)

Del Ponte: Offensichtlich nicht. Damit solche Belohnungen ein wirklicher Anreiz sind, muss jeder davon wissen. Die Menschen müssen ständig daran erinnert werden. Dazu benötigt man aber eine ernsthafte Öffentlichkeits-Kampagne und die hat es nicht gegeben.

sueddeutsche.de: Gibt es noch Gerechtigkeit für die Opfer, wenn das Tribunal in 2010 seine Arbeit niederlegen muss? Wer kann diese Rolle dann übernehmen?

Del Ponte: Es muss Gerechtigkeit geben! Allerdings gibt es noch viele andere Täter, die nicht vor Gericht gestellt worden sind. Diese schwere und unglaublich wichtige Aufgabe bleibt den Rechtssystemen der Nationalstaaten überlassen.

Mein Team arbeitet täglich mit den lokalen Staatsanwälten zusammen, um ihnen das Untersuchungsmaterial, das wir über die Jahre gesammelt haben, zu übermitteln. So unterstützen wir die nationalen Rechtswesen in deren Bemühungen, Prozesse gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher zu führen. Das wichtigste Resultat all dieser Bemühungen: Weil es keine Verjährungsfrist für Kriegsverbrechen gibt, kann keiner, der solche Verbrechen begangen hat, in Ruhe schlafen.

sueddeutsche.de: Sie haben Mafia-Bosse gejagt und Kriegsverbrecher aufgespürt: Sind die Aufgaben einer Botschafterin in Argentinien genauso spannend?

Del Ponte: Ich glaube, dass meine Arbeit in Argentinien völlig anders sein wird. Und genau darauf freue ich mich jetzt.

sueddeutsche.de: Hätten Sie nicht lieber einen Posten beim Internationalen Strafgerichtshof übernommen?

Del Ponte: Nicht im Moment. Ich werde nun drei Jahre Botschafterin sein. Ich habe noch nicht entschieden, was ich danach machen werde - ich könne immer noch in die Welt des internationalen Strafrechts zurückkehren.

sueddeutsche.de: Sie fahren aus guten Gründen in gepanzerten Limousinen und haben Leibwächter. Glauben Sie, dass diese Maßnahmen irgendwann überflüssig sein werden?

Del Ponte: Diese Entscheidung werde ich den Behörden überlassen.

Carla Del Ponte war von 1999 bis 2007 Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag. Die Schweizer Juristin (60) war von 1999 bis 2003 auch für die Verfolgung des Völkermordes in Ruanda zuständig. Im Januar 2008 wechselt sie auf den Schweizer Botschafterposten in Argentinien.

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