Süddeutsche Zeitung

Carla del Ponte:Die Memoiren der Schlangenjägerin

In ihrem neuen Buch geht die ehemalige Chefanklägerin des UN-Tribunals, Carla Del Ponte, schonungslos mit allen Protagonisten des Haager Kriegsverbrecher-Tribunals ins Gericht - auch mit sich selbst.

Stefan Ulrich

"Ich bin einst mit meinen Brüdern auf Schlangenjagd gegangen", so beginnen die Erinnerungen der Weltstaatsanwältin a. D. Carla Del Ponte. Sie enden mit dem Bekenntnis: "Noch heute bin ich eher eine Schlangenjägerin als eine Rechtsgelehrte." Acht Jahre lang, von 1999 bis 2007, versuchte Del Ponte als Chefanklägerin des Internationalen Jugoslawien-Tribunals in Den Haag, die gefährlichsten Verbrecher der Balkankriege zu überführen.

Dabei stieß sie nicht nur auf den Widerstand der Serben, Kroaten und Kosovo-Albaner, sondern auch der Vereinigten Staaten, vieler EU-Regierungen, der Nato und sogar des Vatikans. Von einer "Gummiwand" schreibt die Schweizerin, gegen die sie immer wieder geprallt sei. Der Gedanke an die Opfer habe sie jedoch stets bestärkt, weiterzumachen.

"Die Jagd. Ich und die Kriegsverbrecher", so heißt das 400 Seiten dicke Buch Del Pontes, das diesen Donnerstag in Italien herauskommt, bevor es in anderen Ländern publiziert wird. Die Bekenntnisse der Staatsanwältin, die auch ihre Erfahrungen als Anklägerin des Ruanda-Tribunals enthalten, haben jedoch schon vor ihrem Erscheinen Wirbel ausgelöst.

Die serbische Regierung protestierte bei den Vereinten Nationen gegen die Veröffentlichung, weil diese angeblich die Festnahme weiterer Kriegsverbrecher behindere. Tatsächlich berichtet die heute 61 Jahre alte Schweizerin detailliert von ihren schwierigen Verhandlungen mit serbischen Politikern und Geheimdienstlern etwa wegen der Verfolgung der bis heute flüchtigen Ex-Führers der bosnischen Serben Radovan Karadzic und Ratko Mladic. Auch schildert sie einige Aktionen, die zu Verhaftungen führten.

Noch mehr Aufmerksamkeit in Belgrad findet jedoch eine andere Passage, in der es um Organraub während des Kosovo-Krieges geht. Del Ponte schreibt, sie habe glaubwürdige Hinweise erhalten, dass Albaner gefangene Serben aus dem Kosovo nach Nordalbanien brachten, um ihnen dort Organe zu entnehmen und sie dann umzubringen. Die Körperteile seien ins Ausland verkauft worden. Die Haager Ermittler hätten zwar Blutspuren und medizinisches Material gefunden, die Beweise hätten jedoch nicht für eine Anklage ausgereicht.

Es ist eine Stärke Del Pontes, dass sie in ihrem Buch die Schwächen aller Seiten bloßlegt. "Dank der Arbeit des Tribunals gibt es keine Gruppe auf dem Gebiet des früheren Jugoslawiens, die sich nur als Opfer darstellen kann", schreibt die gefürchtete Juristin mit dem weißblonden Haar und den dunklen Hornbrillen.

Sie erzählt von den Verdiensten des Jugoslawien-Tribunals, das zum Vorbild für den neuen Internationalen Strafgerichtshof wurde. Sie beschreibt die Jagd nach dem Belgrader Herrscher Slobodan Milosevic und die Bestrafung Dutzender Serben, Kroaten und Kosovo-Albaner wegen Kriegsverbrechen. Und sie fordert für die Justiz das Recht ein, auch dann zu richten, wenn es Diplomaten und Politikern nicht ins Konzept passt. Den Satz, der Friede müsse der Gerechtigkeit vorgehen, lässt sie nicht gelten. Denn: "Wer Frieden ohne Gerechtigkeit schafft, bereitet den nächsten Konflikt vor."

Mit dieser Haltung stieß die "Tigerin des neuen Nürnbergs", wie sie in Italien auch genannt wird, gegen die Gummiwand der Realpolitiker. In ihrem Buch schildert sie etwa ihre Erlebnisse mit George Tenet, dem früheren Chef der CIA. Tenet versprach im Jahr 2000, die Fahndung nach Karadzic habe für ihn oberste Priorität. Doch Taten blieben offenbar aus. Als Del Ponte nachhakte, beschied sie der CIA-Chef mit den Worten: "Deine Ansichten sind mir scheißegal."

Auch in anderen Fragen geriet die Wirtstochter aus dem Tessin mit der Weltmacht in Konflikt. So prüfte sie nach den Nato-Bombardements 1999 gegen Serbien mögliche Kriegsverbrechen. Die Militärallianz geizte mit Informationen. "Niemand kooperierte mit uns", kritisiert Del Ponte. Zudem sei sie im Pentagon zur "Persona non grata" geworden.

Peinlich ist das Buch auch für den Vatikan. Del Ponte schildert, wie sie Giovanni Lajolo, den Außenminister des Papstes, um Hilfe bei der Fahndung nach dem kroatischen General Ante Gotovina bat. Sie vermutete, Gotovina halte sich in einem katholischen Kloster in Kroatien versteckt. Wie sie schreibt, versagte ihr Lajolo jede Hilfe, unter anderem mit dem seltsamen Hinweis, der Vatikan sei kein Staat. Auch habe der Papst keine Autorität über die kroatische Bischofskonferenz. Schließlich verweigerte Lajolo der UN-Ermittlerin auch noch eine Privataudienz bei Benedikt XVI.: Sie solle doch auf den Petersplatz kommen. Die in Klosterschulen erzogene Katholikin antwortete: "Nein danke. Ich bin nicht als Pilgerin hier, sondern als Staatsanwältin."

Carla Del Ponte, die mittlerweile Schweizer Botschafterin in Argentinien ist, schreibt auch von eigenen Fehlern. Sie berichtet von Streitereien im Tribunal und meint: "Sicher hätte ich meine Arbeit besser machen können." So sei sie, die bei ihrer rastlosen Jagd durch die Welt hetzte, zu wenig in Den Haag präsent gewesen. "Ich habe unterschätzt, was das für die Moral meiner Behörde bedeutete." Ihre forsche, unbequeme Art aber, für die sie oft gescholten wurde, verteidigt die Anklägerin: "Ich muss mich nicht dafür entschuldigen, dass ich resolut bin und sage, was ich denke."

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SZ vom 03.04.2008/cag
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