Jurist Carl Schmitt:Philosoph, Provokateur, Verräter des Rechts

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Meisterdenker und Nazifreund: Carl Schmitt (1888-1985). (Foto: Sammlung Megele/SZ Photo)

Reinhard Mehring erklärt, warum Carl Schmitt trotz seiner Dienste für den Nazi-Staat nach 1945 noch Intellektuelle faszinierte.

Rezension von Rolf Lamprecht

Er war eine Autorität: Professor der Rechte an der Humboldt-Universität zu Berlin, ein rühriger, vielseitiger Publizist, für seine Verehrer ein Philosoph, für seine Gegner ein Hassprediger. Am 31. Mai 1933 zeigte er sich im Westdeutschen Beobachter von einer neuen Seite. Er verfluchte "die deutschen Intellektuellen", die vor dem beginnenden Terror geflüchtet waren: "Aus Deutschland sind sie ausgespien für alle Zeiten."

Die Rede ist von Carl Schmitt (1888 - 1985). Er galt und gefiel sich als "Kronjurist" Hitlers, Göring verlieh ihm den Titel "Preußischer Staatsrat". In der Weimarer Republik faszinierte er durch intellektuelle Höhenflüge, im Dritten Reich rechtfertigte er die Perversionen des Willkürstaates. Der Heidelberger Politikwissenschaftler Reinhard Mehring hat die schillernde Figur 2009 in einer beeindruckenden Biografie ("Aufstieg und Fall") zu ergründen versucht. Nun legt er nach. In "Vom Umgang mit Carl Schmitt" analysiert er das Echo im Schrifttum.

Mehring weiß, dass er sich auf "vermintem Gelände" bewegt. Denn Schmitts Engagement im Hitlerreich wirft die Frage auf, was von dem "intellektuellen Abenteurer" (wie er sich selbst nannte) überhaupt noch auf der Waage liegt. Ob Huldigungen berechtigt oder unbegreiflich sind, kann nur beurteilen, wer seine exzessiven Wortmeldungen aus der NS-Ära kennt. Für die Verbindungslinien zwischen Person, Werk und Rezeption ist Mehring ein kompetenter Gewährsmann: als Biograf und zugleich als Herausgeber der Anthologie.

Bei ihm taucht Schmitt als Denunziant auf. Das erste Opfer des glühenden Antisemiten, gleich nach der Machtergreifung, war Erich Kaufmann (1880 - 1972), ein führender Staats- und Völkerrechtler der Weimarer Zeit. Schmitt denunzierte ihn an höchster Stelle, beim zuständigen Minister: "Professor Kaufmann ist zweifellos ein ganz ungewöhnliches Beispiel jüdischer Anpassung."

Dem "Volljuden" sei es gelungen, sein "Judentum" zu verbergen - "durch lautes Bekenntnis zum Deutschtum". Das Bekenntnis war eher still und leise. Kaufmann hatte im Ersten Weltkrieg als Artillerieoffizier gedient und war schwer verwundet worden. Schmitt sorgte sich: Studenten könnten der "Tarnungskunst erliegen" oder am "nationalen Sozialismus irre werden".

Mehring widmet Bernd Rüthers einen mehrseitigen Abschnitt. Der ehemalige Konstanzer Uni-Rektor hatte 1988 mit seiner Aufklärungsschrift "Entartetes Recht" die Öffentlichkeit elektrisiert. Er beschrieb, wie sich Schmitt für den "großartigen Kampf" des NS-Gauleiters Julius Streicher begeisterte.

Der Scharfmacher war ein Monster, um das selbst Nazis einen großen Bogen machten. Er agierte als Herausgeber des Hetzblattes Der Stürmer und gehörte zu den Anstiftern der Judenpogrome vom 9. und 10. November 1938.

In den Naturwissenschaften drohen Verursachern grober Kunstfehler die Höchststrafe: Er wird vergessen! Die Jurisprudenz hat für Zunftgenossen ein weites Herz. Verrat am Recht und am Ethos der Wissenschaft gelten offenbar als lässliche Sünden. Schmitt gab nicht nur der NS-Justiz seinen Segen, sondern rief 1936 auch zur "Säuberung der Bibliotheken" auf.

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Die Nachwelt nahm, von Ausnahmen abgesehen, kaum Kenntnis. Er proklamierte damals: "Ein jüdischer Autor ist für uns, wenn er überhaupt zitiert wird, ein 'jüdischer Autor'", zitieren dürften ihn Wissenschaftler "nur soweit dies zur Vermeidung eines Plagiats notwendig ist; schon "von der bloßen Nennung des Wortes 'jüdisch' wird ein heilsamer Exorzismus ausgehen". Nach 1945 verschwand Schmitt erst mal in der Versenkung.

Mehring zitiert dazu Paul Noack: Der Münchner Politologe habe die "anfängliche öffentliche Ächtung" des Wissenschaftlers in der Nachkriegszeit skizziert - "bis zur einsetzenden Schmitt-Renaissance seit den 60er-Jahren". Der Leipziger Historiker Dirk van Laak wiederum registrierte eine "von studentischen Initiativen getragene Wiederentdeckung des Verfemten an den Universitäten Münster und Heidelberg". Kein Zufall! An der einen Uni lehrte der Philosoph Joachim Ritter, an der anderen der Verwaltungsrechtler Ernst Forsthoff; beide waren eifrig bemüht, Schmitt wieder satisfaktionsfähig zu machen.

Große Mühe war nicht erforderlich. Noch nicht mal die rabulistische Rechtfertigung eines Mordkomplotts ("Der Führer schützt das Recht") hat ihm auf Dauer geschadet. Hitler hatte zwischen dem 30. Juni und 2. Juli 1934 unter dem Vorwand , sie hätten eine Rebellion geplant (Röhm-Putsch), mehr als 150 Menschen ermorden lassen, Gefolgsleute und mutmaßliche Gegner.

Reinhard Mehring: Vom Umgang mit Carl Schmitt. Die Forschungsdynamik der letzten Epoche im Rezensionsspiegel. Nomos-Verlag, Baden-Baden 2018. 241 Seiten, 49 Euro. (Foto: Nomos)

Es war eine Hinrichtung Unschuldiger - ohne Prozess, ohne Anwalt, ohne Richter. Schmitt verklärte Hitlers privaten Massenmord zur amtlichen Wohltat. "In Wahrheit war die Tat des Führers echte Gerichtsbarkeit. Sie untersteht nicht der Justiz, sondern war selbst höchste Justiz."

Für die NS-Kamarilla ging Schmitt permanent unter sein Niveau. 1933 liquidierte er die Weimarer Verfassung mit einem Schlenker: "Inzwischen sind wir auf legalem Wege in die Sphäre der Überlegalität eingetreten." Den Nazis kam die Verbrämung des Staatsstreichs gelegen, unter den Juristen der Neuzeit machte sich, außer Rüthers, kaum einer die Mühe, den Schwachsinn aufzuspießen.

Warum nach 1945 namhafte Wissenschaftler - brauner Sympathien unverdächtig - Schmitts Nähe suchten, bleibt ein Rätsel. Mehring nennt - pars pro toto - den Ex-Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde und den Rechtsprofessor Roman Schnur, die Historiker Reinhart Koselleck und Christian Meier, die Publizisten Rüdiger Altmann und Johannes Gross, ferner die Philosophen Hermann Lübbe und Robert Spaemann.

Böckenförde etwa, einen Schüler Schmitts ("Der Kontakt war sehr eng"), hat dessen "geistesgeschichtlich-europäische Bildung" beeindruckt.

"Gerade der assimilierte Jude ist der wahre Feind." Sagte Schmitt im Jahr 1947

Die strahlt bis in weit entlegene Bereiche von Politik, Philosophie und Theologie - mit entsprechender Resonanz bei dem einen oder anderen Vertreter dieser Disziplinen. Eine Fülle solcher Reaktionen hat Mehring mit immenser Sorgfalt ausgegraben. Keine spiegelt den ganzen Schmitt. Jede zeigt einen winzigen Teilausschnitt seines Ichs. Wie in einem Kaleidoskop. Wenn er - manche sehen in ihm ein Universalgenie - bleibende Spuren hinterlassen hat, dann als juristischer Provokateur.

Rüthers hält ihn für einen "Aphoristiker", der durch eine "lockere, situativ entstandene Abfolge von Begriffen, Positionen und Intentionen" auffällt. Mehrings Resümee klingt ähnlich: Schmitt habe ein "labyrinthisches Werk" hinterlassen, eine unübersichtliche Anzahl von Texten, "meist für Tag und Stunde fieberhaft in die Waagschale der Zeit geworfen". Er findet, dass sie "dennoch durchdacht auf ein geistiges, christliches Zentrum verweisen".

Mehrings Sisyphusarbeit verdient Anerkennung. Ihm ist es gelungen, die widersprüchlichen Züge Schmitts deutlich zu machen. Nolens, volens hat er den Umstrittenen dabei auf Normalmaß zurechtgestutzt. Jüngere Apologeten fehlen. Es sieht so aus, als ob das Interesse allmählich versiegt. Auch der eher milde Mehring ist nicht bereit, Schmitt "philosophische Weltfremdheit" zuzubilligen: Er habe gewusst, wie weit sein Einfluss reicht - bis zu den "Rassengesetzen", die er auch noch als "Verfassung der Freiheit" feierte.

Rüthers urteilt noch strenger. Er hält ihn "objektiv" für einen "Gehilfen, ja Mittäter des grausamsten Judenpogroms der Geschichte".

Schmitt blieb auch nach dem Holocaust der Alte. Er holte bereits 1947, wie Mehring herausfand, seine Hasstiraden wieder hervor: "Gerade der assimilierte Jude ist der wahre Feind." Was er meint, verrät seine einstige unmissverständliche Definition der Begriffe "Freund, Feind und Kampf": Sie bekämen ihren Sinn dadurch, "dass sie insbesondere auf die reale Möglichkeit der physischen Tötung Bezug haben und erhalten".

Im SS-Staat wurden diese Theorien des Staatsrechtlers blutige Realität. Da kommt ein Indiz zum anderen. Quer durchs Œuvre sticht im Selbstporträt Schmitts, an dem er emsig gemalt hat, ein Gesicht hervor: das eines furchtbaren Juristen.

Rolf Lamprecht berichtet seit 1968 von den Obersten Gerichtshöfen in Karlsruhe.

© SZ vom 04.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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