Manchmal ist auch Elias Bierdel erstaunt über die Aufmerksamkeit, die sein Fall erregt. So schickte ihm ein japanischer Oberpriester einen "goldenen Wind", eine telepathische Stärkung sozusagen, und ein Schweizer Frauenkloster ließ mitteilen, man bete täglich für ihn. Menschenrechtsorganisationen setzen da lieber auf eine politische Kampagne und bombardieren den italienischen Justizminister seit Monaten mit Mails und Postkarten, mehr als 5000 Menschen aus aller Welt haben einen Aufruf unterzeichnet, der für den Ex-Chef der Hilfsorganisation Cap Anamur und seinen Kapitän Stefan Schmidt Freispruch fordert, unter ihnen ist der Schriftsteller Günter Grass. Der Wind hat sich gedreht für Bierdel und Schmidt - vielleicht gerade noch rechtzeitig. Denn an diesem Mittwoch soll das Urteil gegen sie fallen.
Die beiden sind im italienischen Agrigent angeklagt, weil sie im Juni vor fünf Jahren 37 Afrikaner von einem überfüllten Schlauchboot gerettet hatten, das mit Motorschaden im Meer zwischen Libyen, Italien und Malta trieb. Sie brachten sie an die sizilianische Küste. Nach zähen Verhandlungen ließen die italienischen Behörden die Flüchtlinge drei Wochen später an Land, Bierdel und Schmidt wurden jedoch nicht als Retter gefeiert, sondern wegen Beihilfe zur illegalen Einreise angeklagt.
Der Staatsanwalt fordert vier Jahre Haft und jeweils 400.000 Euro Geldstrafe. Auch in vielen deutschen Medien kam Bierdel schlecht weg: Er habe aus der Rettung ein Publicity-Spektakel gemacht, um die europäische Flüchtlingspolitik anzuprangern und um Werbung für die Organisation Cap Anamur zu machen, lautete der Vorwurf. Sogar vom Verkauf von Filmmaterial der Aktion war die Rede. Die Retter standen als Geschäftemacher da.
Die meisten Vorwürfe konnten widerlegt werden: Ein Verkauf von Filmszenen hat nicht stattgefunden, zudem bestätigten die befragten Journalisten, dass nicht Bierdel sie an Bord geholt hatte, sondern sie aus eigener Initiative auf das Schiff gekommen waren. Fraglich bleibt allerdings, ob Bierdel mit seinem Vorgehen der Sache einen Dienst erwiesen hat: Er suchte die Konfrontation mit der Berlusconi-Regierung und provozierte damit eine harte Gegenreaktion.
Das Verfahren schleppt sich bereits seit drei Jahren hin. Selbst der Staatsanwalt hat sich schwergetan, aufzuzeigen, was Bierdel sonst hätte tun sollen, außer nach Italien zu fahren. Hätte er die Flüchtlinge nach Libyen zurückbringen und sie dem Potentaten Muammar el Gaddafi ausliefern sollen? Die Ankläger können den Vorwurf nur aufrechterhalten, indem sie ausführen, die Schiffbrüchigen seien nach einiger Zeit als "illegale Einwanderer" zu betrachten, ihre Einreise verstoße deshalb gegen das Gesetz.
Tatsächlich geht es der italienischen Regierung darum, Nachahmer abzuschrecken: Niemand soll auf eigene Faust Flüchtlinge auf hoher See aufnehmen und dann nach Italien bringen, so wie Bierdel es getan hat. Rom versucht vielmehr seit Jahren, möglichst wenige Migranten ins Land zu lassen. Bootsflüchtlinge werden bereits auf hoher See abgefangen und nach Libyen zurückgeschickt, wo sie in Lagern eingepfercht werden. Ob sie ein Recht auf Asyl hätten, werde nicht geprüft, kritisieren Menschenrechtsorganisationen.
Im Fall der 37 Afrikaner war dies ähnlich. 22 von ihnen erhielten später das Recht, aus humanitären Gründen in Italien zu bleiben. Als die Entscheidung fiel, waren sie allerdings schon abgeschoben worden.