Man muss schon zynisch sein, um diese Demontage genießen zu können. Zu sehen, wie sich der Gründer des Komitee Cap Anamur, Rupert Neudeck, und sein Nachfolger Elias Bierdel mit Dreck bewerfen. Zu ahnen, dass die 37 Afrikaner, die die Cap Anamur aus dem Meer gefischt hat, nicht nur abgeschoben werden, sondern danach wohl schon bald zum nächsten Versuch aufbrechen werden, und dann wird kein Rettungsschiff vor Italien kreuzen.
Platz gibt es da unten in Afrika
Wenn Italien seine Drohung wahrmacht und die Cap Anamur als Schleuserschiff verschrottet, wird die Aktion auch finanziell zum Fiasko, und ob die hochverdiente Organisation diesen Verlust an Glaubwürdigkeit überleben wird, weiß niemand.
Mehr noch: Bundesinnenminister Otto Schily findet, dass dies eine gute Gelegenheit ist, endlich mal über EU-Flüchtlingslager in Afrika zu reden, Platz genug gibt es da unten ja. Das Schlimmste aber ist, dass niemand, wirklich niemand darüber redet, worüber dringend geredet werden müsste: Wie Europa es fertig bringt, das hohe Gut der Menschenrechte im Inneren nicht nur als schöne Ergänzung zu den übrigen Segnungen dieses wunderbaren Kontinents zu betrachten, sondern als geradezu konstitutiv, als conditio sine qua non einer Staatengemeinschaft zu feiern, die Krieg, Hunger, Flucht und Vertreibung nur zu gut kennt.
Das Schweigen über die Toten
Wie es diese Errungenschaften in der ganzen Welt als normativen Zivilisationsfortschritt einklagt, aber dieselben hohen humanitären Standards in keiner Weise berührt sieht, wenn Tausende vor seiner Küste ertrinken. Dass alle, die eben darüber nie reden wollen, nun neu munitioniert werden, das schmerzt am meisten.
Und doch wundert man sich, wie rasch die Rührung über die nostalgische Wiederbelebung der Urszene der Cap Anamur, die Aufnahme Bedrängter aus aufgepeitschter See, in Empörung umschlagen konnte. Es mag auch damit zu tun haben, dass in den siebziger Jahren, als Rupert Neudeck Vietnamesen aus dem Wasser fischte, die Zahl der Hilfsbedürftigen ein paar Tausend nicht überstiegen hätte, hinter den 37 Afrikanern im Bewusstsein Europas aber potenziell der halbe schwarze Kontinent steht.
Alles passte perfekt zusammen
"Vagabundierende Ängste" nennt das der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter. Und ja, Cap Anamur hat italienische Behörden zu spät informiert, hat keinen deutschen Hafen angelaufen, hat aus welchen Gründen auch immer, Malta angesteuert, ohne dort einzulaufen.
Der schwerste Vorwurf aber ist nur um den Preis der Naivität zu halten: dass die Aktion inszeniert war.
Natürlich mag man nicht hören, dass die Cap Anamur möglicherweise tagelang herumschipperte, bis der Chef nebst Kamerateam eingeflogen werden konnte und sich an die Spitze der Aktion stellte.
Im Nachhinein meint man, das Trügerische gerade darin gespürt zu haben, dass alles zu perfekt zusammen passte: Die Flüchtlinge, die von günstigen Winden vor die Kameras getrieben wurden; die Konfrontation mit dem hartherzigen Berlusconi-Staat, und das Ganze auch noch kurz nachdem Europa gerade ein bisschen größer und vielfältiger geworden ist und seine Grenzen vielleicht ein bisschen verletzlicher.
Die Konkurrenz unter den Hilfsorganisationen ist groß. Um wahrgenommen zu werden, müssen sie eine Gesellschaft mit furchtbaren Nachrichten erschüttern, die durch eine Flut eben jener Nachrichten zusehends erschütterungsresistenter wird. Möglicherweise sind wir nicht mal hartherziger als früher, aber wer kennt schon alle Brandherde der Welt, und wer weiß tatsächlich noch, was sie ausgelöst hat?
Inszenierter Scheinwerfer auf den Konfliktherd
Dass die Flüchtlinge der Cap Anamur einhellig angaben, sie seien aus Darfur gekommen, aus einer Region, in der zwar seit Jahren gemordet und vertrieben wird, von der die allermeisten aber erst vor wenigen Wochen zum ersten Mal hörten, zeigt, wie schnell die Rückkoppelung zwischen dem hiesigen Publikum und dem dortigen Elend funktioniert.
Und so wird die Cap Anamur nicht abgetakelt, weil sie ihre Aktion vielleicht inszeniert hat, sondern weil sie uns vor Augen geführt hat, dass wir Konflikte ohne diese Inszenierung gar nicht mehr wahrnehmen können. Mehr noch: Dass die Grenze zwischen den Aktivisten und denen, die über ihre Arbeit berichten, zusehends schwerer zu ziehen ist. Greenpeace, einst der Schrecken der global players, ist inzwischen selbst ein Konzern, allerdings einer mit sinkenden Einnahmen.
Dieses ganze Anketten an Schiffe und Schornsteine seien die Leute ja irgendwie leid geworden, hatte einer der Regenbogenkrieger erklärt, aber was solle man machen, da man das nun mal am besten könne und Gewalt ablehne?
Protest im Internet
Ein Teil der Protestbewegung hat sich längst ins Internet abgesetzt, organisiert Demonstrationen via Mail-Verteiler und SMS-Alarm. Einer der ersten virtuellen Proteste waren die Sit-ins amerikanischer Aktivisten auf der Webseite des mexikanischen Präsidenten gegen die Massaker an den Zapatisten in Chiapas. Im Juni 2001 versuchten 13.000 Surfer, die Lufthansa-Webseite zu blockieren, um gegen die Abschiebung von Asylbewerbern zu protestieren.
Das Scheitern der Cap Anamur ist symptomatisch für die Dynamik der medialen Überbietung. Sollte es aber eine Diskussion über die Eskalation des Geschäftes mit dem Elend in Gang gesetzt haben, dann war es wenigstens nicht umsonst.