Die Sache schien eigentlich schon geregelt. Anfang Dezember hieß es aus der Koalition, man habe sich nun auch in letzten Detailfragen geeinigt, das Gesetz zur Cannabis-Legalisierung werde nun im Bundestag beschlossen. Von April an könne in Deutschland legal gekifft werden - der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis soll straffrei, der Eigenanbau von bis zu drei Pflanzen zum Eigenkonsum und die Gründung von Anbauvereinigungen möglich sein. Das Kabinett hatte das schon im August 2023 beschlossen.
Aber dann flog die Abstimmung über das Gesetz im Dezember doch wieder von der Tagesordnung. Eine rein kosmetische Entscheidung, hieß es damals: Man wolle die Legalisierung nicht mitten im Haushaltsstreit beschließen, wie sehe das denn aus. Aber nach Weihnachten, da werde alles eingetütet. Ganz bestimmt.
Immer mehr Sozialdemokraten sind gegen die Legalisierung
In dieser Woche nun tritt der Bundestag erstmals im neuen Jahr wieder zusammen. Und wieder hakt es mit der Verabschiedung des Cannabis-Gesetzes. Dass es jetzt auf die Tagesordnung komme, sei höchst unwahrscheinlich, heißt es in der SPD. Gegen die Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gibt es erbitterten Widerstand - aus den eigenen Reihen, vor allem von Innen- und Verkehrspolitikern. Immer mehr Sozialdemokraten sind gegen die Legalisierung. "Es ist absolut unklar, ob das noch etwas wird", heißt es aus der Partei. Im Klartext: Dem Cannabis-Gesetz droht das Aus.
Besonders ausgeprägt sind die Bedenken bei den Landesinnenministern, aber auch bei Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) - und in der SPD-Bundestagsfraktion wäre eine Mehrheit für den Gesetzesentwurf aktuell sehr unsicher. In Faesers Haus wird betont, man stelle sich nicht quer, aber es gebe halt klassische Sicherheitsargumente dagegen. Der Süddeutschen Zeitung liegt ein entsprechend kritischer interner Bericht vor, der im Auftrag der Innenministerkonferenz vom Bundeskriminalamt (BKA) federführend erstellt worden ist. Und der widerlegt eines der zentralen Argumente für die Legalisierung - eine Entlastung der Polizei. "In der Gesamtschau kann festgestellt werden, dass auf die Strafverfolgungs- und Ordnungsbehörden der Länder zusätzliche Aufgaben und Aufwendungen in Form von Personal- und Sachkosten zukommen werden", heißt es in dem Bericht.
So wird in dem Papier auch betont, dass im Zuge der Legalisierung deutlich mehr Arbeit im Bereich der Verkehrskontrollen auf die Polizei zukommen könnte. So steige "die Wahrscheinlichkeit, dass die Verkehrssicherheit beeinträchtigt wird". Fahrten unter Einfluss von Cannabis könnten zunehmen. "Insofern erscheint es sinnvoll, die Kontrolltätigkeit durch den Polizeivollzugdienst zumindest vorübergehend zu intensivieren, auch um deutlich werden zu lassen, dass Fahren unter dem Einfluss von Cannabis (und anderen Drogen) weiterhin verboten ist." Immerhin werde nun das ursprünglich von der Ampelkoalition genannte Ziel der Entlastung der Strafverfolgungsbehörden im aktuellen Gesetzentwurf nicht mehr explizit als Ziel der Cannabis-Legalisierung genannt.
Auch die beiden anderen wichtigsten Vorhaben Lauterbachs stehen auf der Kippe
Das BKA habe darauf hingewiesen, dass Polizeikontrollen weiter stattfinden müssen, sei es bezüglich der mitgeführten Besitzmenge von maximal 25 Gramm Cannabis oder der Konsumverbote, etwa an Schulen und Kitas sowie im Umkreis von 200 Metern um diese. All das bringe Kontrollerfordernisse mit sich, soll der Konsum von Cannabis doch auch in unmittelbarer Gegenwart von Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, verboten bleiben, ebenso in öffentlich zugänglichen Sportstätten, in Fußgängerzonen zwischen 7 und 20 Uhr und im Umfeld von Anbauvereinigungen. Zudem bleibt der Konsum im militärischen Bereich der Bundeswehr verboten.
Insgesamt werde immer noch eine jährliche Entlastung der Strafverfolgungsbehörden von geschätzt rund 7,9 Millionen Euro mit der Begründung genannt, dass sich mit der gesetzlichen Erlaubnis zum straffreien Cannabis-Besitz der Aufwand für Polizei- und Ordnungsbehörden sowie die Staatsanwaltschaften reduziere. Die Berechnung basiere auf den bisher jährlich erfassten 180 000 konsumnahen Cannabis-Delikten. Die Belastbarkeit dieser Berechnung müsse aber eindeutig infrage gestellt werden.
Aus Sicht von Grünen und Liberalen ist der neue Widerstand in der SPD unverständlich - die kleineren Koalitionspartner sehen in einer Cannabis-Legalisierung einen Prestigeerfolg, den die Ampel dringend brauchen könnte. Auch für Lauterbach ist die Sache peinlich, schließlich stehen mit dem Transparenzgesetz und der Krankenhausreform auch seine anderen beiden wichtigsten Vorhaben auf der Kippe, weil die Länder Widerstand leisten.
Noch in dieser Woche finden deshalb zwischen Lauterbach und seinen Fraktionskollegen Krisengespräche statt, um das Projekt zu retten. Im Bundesgesundheitsministerium heißt es dazu nur, man stehe "immer in intensiven Gesprächen mit den Fraktionen". Im Raum steht die Hoffnung, das Gesetz am Mittwochmorgen doch noch kurzfristig auf die Tagesordnung setzen zu können.
Die Aussichten darauf stehen allerdings denkbar schlecht - auch weil der Minister selbst von seinem Gesetzesentwurf nur mäßig begeistert ist. Zu Beginn der Legislaturperiode gefiel sich Lauterbach in der Rolle eines vermeintlichen Pioniers einer neuen Drogenpolitik. Weil seine ursprünglichen Ideen aber nicht mit den Vorgaben der EU vereinbar waren, musste er zahlreiche Abstriche machen. Zuletzt warnte Lauterbach immer offensiver vor den Gefahren, die mit Cannabiskonsum einhergingen. Aus seinem Umfeld heißt es nun: Ein Scheitern wäre zwar eine Niederlage - aber eine, mit der Lauterbach persönlich gut leben könnte.