Süddeutsche Zeitung

Cannabis-Legalisierung:Wann kann man in Deutschland legal einen Joint kaufen?

Den einen kann es nicht schnell genug gehen mit dem Anbau von Cannabis in Deutschland, andere warnen vor "großen Stolpersteinen". Sogar in der Ampelkoalition herrscht Uneinigkeit. In jedem Fall würde internationales Recht gebrochen.

Von Thomas Kirchner und Michaela Schwinn

Das mit dem Tempo ist in der Ampelkoalition so eine Sache. Die einen preschen vor, die anderen lassen sich lieber Zeit. So war es schon bei den Lockerungen der Corona-Maßnahmen. Und so scheint es auch bei der neuen Mammutaufgabe der Legalisierung von Cannabis zu sein. Während Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorsichtig von einem ersten Gesetzentwurf in der zweiten Jahreshälfte spricht, kann es Justizminister Marco Buschmann (FDP) gar nicht schnell genug gehen: Eine Legalisierung im Frühjahr 2023 sei möglich - vielleicht sogar schon früher.

Ist es realistisch, dass man in Deutschland 2023 legal einen Joint kaufen kann? Daran haben sowohl Experten als auch Mitglieder der Regierung große Zweifel. In Kürze will die Bundesregierung mit fachlichen Vorbereitungen beginnen. Zu besprechen gibt es viel: Woher soll das Cannabis kommen? Wie viel THC soll es enthalten? Wie viel wird es kosten? Wer darf es verkaufen?

Wie die Legalisierung in der Praxis aussehen soll, darüber scheint selbst in der Koalition wenig Einigkeit zu bestehen. Spricht man mit Christine Aschenberg-Dugnus, der gesundheitspolitischen Sprecherin der FDP, hat man den Eindruck, dass der Berg an Aufgaben zwar groß, aber in kurzer Zeit zu bewältigen sei. Sie "gehe stark davon aus", dass schon im Frühjahr des nächsten Jahres erste Joints legal verkauft werden, sagt sie der Süddeutschen Zeitung. "Wir werden darauf drängen." Die größte Herausforderung sei die Bürokratie, das geringste Problem der Anbau, so Aschenberg-Dugnus. Sie selbst habe vor einiger Zeit eine Cannabis-Anlage in Neumünster besucht, in einem weißen Schutzanzug, wie ein "Hochsicherheitstrakt" sei das gewesen, erzählt sie. Dort habe man ihr versichert, dass die Produktion schnell hochgefahren werden könne: "Vielleicht reicht es am Anfang nicht zu 100 Prozent", sagt sie. "Aber generell sollte der Anbau hier in Deutschland bleiben."

Eine große Schwierigkeit besteht darin, Lieferketten mit qualitätsgeprüftem Cannabis aufzubauen

Eine Legalisierung schon 2023? Da muss der SPD-Gesundheitspolitiker Dirk Heidenblut kurz schmunzeln, bevor er sagt: "Ich würde mich da auf frühestens 2024 festlegen." Wenn Ende dieses Jahres ein Gesetzentwurf vorliege, dann dauere es noch einmal einige Monate, bis das Gesetz umgesetzt würde, erst dann könne man mit dem Aufbau der Infrastruktur beginnen - was auch nicht auf die Schnelle gehe, so seine Einschätzung. Die größte Schwierigkeit bei der Legalisierung? "Da kann ich gar nicht nur einen Punkt benennen", sagt er. Aber eine der größten sei die Lieferkette: "Wo bekommen wir so schnell so viel legales, qualitätsgeprüftes Cannabis her?" Einen Anbau nur in Deutschland könne er sich nicht vorstellen: "Ich glaube nicht, dass wir hier demnächst riesige Cannabis-Felder haben."

Anbau, Vertrieb, Prävention - es sind viele Baustellen, die die Regierung jetzt angehen muss. Jedes einzelne dieser Themen ist komplex und birgt Fallstricke. Aber es gibt noch einen weiteren Punkt, der Experten Bauchschmerzen bereitet: die rechtlichen Grundlagen. Nach Ansicht von Juristen verstößt eine legale Abgabe von Cannabis, wie Deutschland es plant, gegen Völkerrecht und diverse EU-Vereinbarungen. Ist die Legalisierung also rechtlich überhaupt möglich? Und könnte sie am Ende daran scheitern?

Schon möglich, sagt Robin Hofmann. Der Assistenzprofessor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität in Maastricht wundert sich, warum bisher kaum ein Wort darüber verloren wurde, dass sich Deutschland mit der geplanten Legalisierung klar gegen internationales Recht stelle. Zum einen geht es dabei um das UN-Abkommen über Betäubungsmittel. Es wurde 1961 ins Leben gerufen, um die Verfügbarkeit von Drogen zu regulieren. "Auch bei einer rundum staatlich kontrollierten Produktion und Abgabe würde Deutschland gegen das Abkommen verstoßen", sagt Hofmann. Andere Länder wie Kanada oder Uruguay, in denen Cannabis legal ist, würden einen Vertragsbruch hinnehmen. Dass Deutschland das Abkommen einfach ignoriert, sei aber unwahrscheinlich - es müsste also austreten.

Wesentlich komplizierter werde es beim EU-Recht, sagt Bernhard Wegener, Professor für Europarecht an der Universität Erlangen-Nürnberg. Demnach sei in den EU-Staaten nur der private Gebrauch von Cannabis erlaubt. "Eine Legalisierung des Handels im größeren Umfang ist davon sicher nicht gedeckt", sagt er. Auch Hofmann warnt vor Konsequenzen: "Es besteht ein hohes Risiko, dass es zu einem Vertragsverletzungsverfahren kommt", sagt er. "Das landet dann beim Europäischen Gerichtshof, und wenn der keine 180-Grad-Wende in seiner Rechtsprechung macht, wird das deutsche Gesetz das Schicksal der Pkw-Maut teilen."

Eine Mehrheit auf europäischer Ebene scheint in weiter Ferne

Die einzige Lösung sei, den europäischen Rechtsakt zu ändern, sagt Wegener. "Aber ich bezweifle, dass man dafür entsprechende Mehrheiten bekommt." Es gebe zwar einige europäische Länder, die eine Legalisierung befürworteten, aber auch eine Menge Staaten, die das dezidiert ablehnten. "Also insgesamt ganz schön große Stolpersteine", fasst der Rechtsprofessor zusammen.

Stolpersteine, die dem kleinen Luxemburg wohl zu groß waren. Auch dort wollte die Regierung den Cannabis-Handel im großen Stil legalisieren und zum Vorreiter in Europa werden. Übrig geblieben ist eine "Legalisierung light": Erlaubt ist nur der Anbau für den Eigenbedarf - vier Hanf-Pflänzchen pro Haushalt. Der Grund für den Rückzug: die Unvereinbarkeit mit EU-Recht.

"Die Legalisierung ist eine hochkomplexe Angelegenheit", sagt Rechtsexperte Hofmann. "Es gibt wirklich gute Gründe dafür. Aber warum muss es jetzt so schnell gehen?" Er rät dazu, die Legalisierung erst mal in Modellregionen zu testen. Um herauszufinden, wie sich das Konsumverhalten verändert und wie der Schwarzmarkt reagiert. "Es geht hier schließlich um die Gesundheit, vor allem junger Menschen. Da würde dem Ganzen ein bisschen mehr Umsicht guttun."

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