Cannabis-Legalisierung:Mit einer Sporttasche voll Marihuana ins Taxi

Cannabis-Legalisierung: Im Vereinshaus ist Kiffen nicht ausdrücklich verboten: Die spanische Gesetzeslage ist da uneindeutig.

Im Vereinshaus ist Kiffen nicht ausdrücklich verboten: Die spanische Gesetzeslage ist da uneindeutig.

(Foto: Karin Janker)

In Spanien sind Cannabis-Clubs bereits Realität. Wie funktioniert das Modell für die Betreiber und Konsumenten? Und ist es wirklich ein Vorbild für Deutschland? Ein Besuch.

Von Karin Janker, Madrid

Eine Wohnstraße im Madrider Viertel Tetuán. Peruanisches Restaurant, Waschsalon, Autowerkstatt. Dazwischen ein Lokal ohne Schaufenster: schwere Metalltür, eine Klingel aus weißem Plastik mit Klebeband an der Hausmauer befestigt. Die Adresse erfuhr man vom Bekannten eines Bekannten, der hatte sie aus dem Internet. Nach dem Klingeln steht Luca in der Tür, Poloshirt, Skater-Hose, Pferdeschwanz, freundliches Lächeln: "Hola, bist du Mitglied?"

Luca und sein Kollege Khaled, beide Anfang 30, der eine in Italien geboren, der andere in den USA, betreiben hier einen von schätzungsweise 30 bis 40 registrierten Vereinen zum Cannabis-Konsum in der spanischen Hauptstadt. Dass ihr Cannabis Social Club legal ist, betonen sie, kramen sogar die Papiere heraus, die das dokumentieren. Selbst beim Finanzamt laufe alles ordentlich.

Hinter der schweren Metalltür liegt bereits ein würzig-krautiger Geruch in der Luft. Hier ist die Rezeption des Clubs, Nicht-Mitglieder dürfen nicht weiter. Wer Mitglied werden will, muss seinen Ausweis zeigen, eine Adresse in Spanien angeben und bestätigen, dass er bereits Konsument ist. Binnen fünf Minuten ist das erledigt, künftig darf man dann mit einem kleinen Chip eintreten.

Cannabis Social Clubs gibt es in Spanien seit den 1990er-Jahren, zuerst im Baskenland und in Katalonien, inzwischen auch im Rest des Landes. Sie sind ein Instrument, um regelmäßige Cannabis-Konsumenten vom Schwarzmarkt wegzulenken. So kam auch die deutsche Bundesregierung auf die Idee, das spanische Modell zu kopieren. In Spanien allerdings waren die Clubs keine Idee der Regierung. Im Gegenteil: Legalisierungsaktivisten haben hier ein Schlupfloch gefunden und arbeiten nun stetig an dessen Erweiterung. Daher mutet es zumindest abenteuerlich an, dass die Bundesregierung die Cannabis-Clubs nun zu ihrem Vorbild erkoren hat.

"Unser Club dient eigentlich nur dazu, die Produkte für unsere Mitglieder aufzubewahren. Sie können herkommen, sich entspannen und genießen", sagt Luca. Die Cannabis-Clubs, von denen es in Spanien heute etwa 1000 bis 2000 gibt, gelten als Privaträume nicht gewinnorientierter Organisationen, Vereinsheime gewissermaßen. Hier ist ebenso wie in privaten Wohnungen das Kiffen erlaubt. Oder zumindest nicht ausdrücklich verboten. Die spanische Gesetzeslage ist nicht eindeutig. Ein Gesetz, das Cannabis Social Clubs erlaubt, wie es in Deutschland nun angedacht ist, gibt es in Spanien jedenfalls nicht.

Manchmal spielen sie hier Playstation, aber viel öfter Schach

Luca und Khaled haben ihren Club vor zweieinhalb Jahren gegründet. Rund 500 Mitglieder haben sie in ihrer Kartei, vor allem bei Austauschstudenten sei der Club ziemlich beliebt. Luca und Khaled haben selbst im Ausland studiert, Philosophie und Tourismus der eine, Politikwissenschaften und internationale Beziehungen der andere. Inzwischen verbringen sie fast alle ihre Nachmittage und Abende hier, in ihrer Höhle, die sie über die Monate selbst renoviert und eingerichtet haben.

Hinter der zweiten Metalltür kommt der eigentliche Club: ein fensterloser Raum, die Wände in kräftigem Blau gestrichen, an der Decke leuchtet eine Schlange mit blauen LEDs. Im Raum verteilt stehen Sofas, Sessel und ein paar Tische mit Stühlen. Es läuft Dub, eine verlangsamte Version von Reggae. Auch die Videos, die in einer Ecke auf dem Fernseher laufen, sind wie in Zeitlupe: Ein Wolf schleicht durch eine Schneelandschaft, ein Auto fährt durch eine Videospielkulisse. Manchmal spielen sie hier Playstation, aber viel öfter Schach, sagt Luca.

Ein gechilltes Leben eigentlich. Aber vor eineinhalb Jahren stand plötzlich die Polizei im Club, mit Durchsuchungsbefehl. "Sie haben alles Cannabis mitgenommen, das wir hier hatten", erzählt Luca. Warum? Offenbar wurde ein Clubmitglied auf der Straße mit Marihuana erwischt und war dann so unvorsichtig zu sagen, wo er es her hatte. "Aber die Polizei konnte uns nichts anhaben, immerhin gibt es uns immer noch", sagt Luca und hebt seine Faust. Für ihn und Khaled ist der Club auch eine Form des Aktivismus. "Gras ist schon immer unsere Passion, und hier bringen wir Menschen aus aller Welt zusammen, die bei uns eine gute Zeit haben", sagt Khaled. "Es ist nicht viel anders, als eine Bar zu betreiben."

Ein Mann, groß gewachsen, um die 40, kommt herein. Er trägt Jogginghosen und ein schwarzes Basketball-Cap. Er klopft Luca zur Begrüßung auf die Schulter, der steht vom Sofa auf und geht hinter den Tresen, um die Bestellung aufzunehmen. "Heute ist nicht viel da, wir erwarten bald wieder eine Lieferung", sagt er entschuldigend. Hinter der Theke stehen acht Weckgläser: vier große fürs Marihuana, vier kleinere fürs Haschisch. Auf den Deckeln die Namen der Sorten: Popeye, Morgan Freeman, Mango Kush, Orange Haze.

"Unsere Preise liegen bei zehn bis 15 Euro pro Gramm", sagt Khaled. Das sei etwas höher als der Preis im Straßenverkauf, wo man eher zwischen vier und zehn Euro bezahle. "Aber dafür kennen wir die Genetik der Pflanzen unserer Produzenten, wir wissen, dass alles sauber und biologisch angebaut ist." Ihre Produkte stammen aus regionalem Anbau, direkt aus Madrid. Der Mann mit dem Cap sucht sich zwei Sorten aus, nimmt sich eines der langen Drehpapiere, die kostenlos bereitstehen, und setzt sich an einen Tisch, um sich einen Joint zu bauen. Danach wird er die vorgeschriebenen 20 Minuten abwarten, seine Sonnenbrille aufsetzen und wieder nach draußen gehen.

"Marihuana ist weder gut noch schlecht. Es ist eine Realität, mit der man umgehen muss"

Die Krux am Modell der Cannabis-Clubs in Spanien ist die Lieferung. Das Rauchen in den Räumen mag legal sein, der Besitz zum Privatkonsum ebenfalls. Aber irgendwo her muss die Ware ja kommen. Gemäß der Rechtsprechung darf man in Spanien bis zu 100 Gramm Marihuana oder 25 Gramm Haschisch für den Eigenkonsum zu Hause haben - deutlich mehr also, als Gesundheitsminister Karl Lauterbach plant -, aber der Transport der Droge in der Öffentlichkeit ist auch in Spanien strafbar. Wer im Park beim Kiffen erwischt wird, muss mit einer Geldstrafe rechnen. Wer mit einer größeren Menge Cannabis von der Polizei angehalten wird, riskiert eine Anklage wegen Rauschgifthandels.

"Die Clubs bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone", sagt Héctor Brotons. Der Anwalt leitet die Kanzlei Brotsanbert und ist auf das Thema Cannabis spezialisiert. Spaniens Betäubungsmittelgesetz stammt von 1967, aus der Zeit des Franquismus. 1978 wurde es von der demokratischen Verfassung eingeschränkt - so zumindest interpretieren es Brotons und seine Kollegen. Die Verfassung erlaubt demnach den Konsum in den eigenen vier Wänden und auch den privaten Cannabis-Anbau in kleinem Rahmen. "Auf dieser Basis organisieren die Clubs den gemeinsamen Einkauf für den Eigenkonsum auf nicht profitorientierter Basis", erklärt Brotons.

Cannabis verkaufen dürfen die Clubs demnach nicht, vielmehr holen die Mitglieder dort ihren Anteil ab. "Es gilt ein Limit von zwei Gramm pro Tag", so Brotons. Dies gelte noch als verantwortungsvoller Konsum. Der Rest sei Auslegungssache der Gerichte: So habe es im Jahr 2016 plötzlich eine höchstrichterliche Entscheidung gegeben, wonach die Clubs insgesamt illegal sein könnten. Allerdings entschieden weiterhin viele Richter zugunsten der Clubs, solange die sich an die Regeln halten.

Es ist also kompliziert. Die Direktive, die Anwalt Héctor Brotons ausgibt, klingt dagegen einfach: "Marihuana ist weder gut noch schlecht. Es ist eine Realität, mit der man umgehen muss." In Sachen Jugendschutz, auf den auch Gesundheitsminister Lauterbach pocht, zeigen die Zahlen des spanischen Gesundheitsministeriums, dass die Ausbreitung der Clubs zumindest keinen großen Einfluss hatte: Das Alter, in dem Spanier durchschnittlich ihren ersten Joint probieren, liegt heute wie schon 1994 bei etwa 15 Jahren. Und der regelmäßige Konsum bei Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren nimmt hier seit 2004 sogar wieder ab. Im Jahr 2021 haben knapp 15 Prozent der jungen Spanier im vergangenen Monat Cannabis konsumiert. Es ist eine Stagnation auf hohem Niveau: In Deutschland geben nur 3,5 Prozent der 12- bis 17-Jährigen an, im vergangenen Monat Cannabis konsumiert zu haben.

Brotons sieht eine Chance darin, wenn Deutschland tatsächlich eine Rechtsform fände, um Cannabis-Clubs zu legalisieren. Dann könnte das deutsche Gesetz sozusagen als Re-Import nach Spanien zurückkehren und auch hier für Rechtssicherheit für Clubbetreiber und Konsumenten sorgen. Luca und Khaled in ihrem Club haben die deutsche Entwicklung im Richtung Legalisierung ebenfalls genau im Blick. Den Nervenkitzel, den die regelmäßigen Cannabis-Lieferungen für sie bedeuten, würden sie sich lieber ersparen. "Wir nehmen dafür ein Uber-Taxi oder gehen zu Fuß mit einer Sporttasche", erzählt Khaled. Darin transportiere jeder etwa 100 Gramm Marihuana, ein Päckchen so groß wie eine Packung Nudeln. Es ist diese Menge, die Richter einem Konsumenten üblicherweise für den Eigenbedarf durchgehen lassen. Ob ihr Richter das auch so sieht, wenn sie eines Tages erwischt werden, wissen die beiden allerdings nicht.

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