Camp David:Als im Nahostkonflikt noch Hoffnung bestand

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Israels Ministerpräsident Menachem Begin, US-Präsident Jimmy Carter und der ägyptische Präsident Anwar al-Sadat feiern das historische Abkommen von Camp David am 17. September 1978 (Foto: dpa)

1978 schließen Israels Premier und Ägyptens Staatschef mit Hilfe des US-Präsidenten Frieden. Lawrence Wright dokumentiert die 13 Tage von Camp David in einem hervorragend recherchierten Buch.

Rezension von Christoph Dorner

Sogar Schach ist Diplomatie. Am Abend des fünften Verhandlungstages sitzen einander zwei polnische Auswanderer gegenüber: Zbigniew Brzezinski, Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter, und Israels Ministerpräsident Menachem Begin.

Dieser war 1940, als Chef der polnischen Betar-Bewegung, während einer Schachpartie vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet worden. Nachdem Begin aus dem Arbeitslager freigekommen ist, ist er 1946 an einem Anschlag auf das King-David-Hotel in Jerusalem beteiligt, bei dem mindestens 91 Menschen getötet werden.

Begin ist radikaler Zionist und Auftraggeber eines gescheiterten Attentats auf Konrad Adenauer, bevor er Israels Ministerpräsident wird. Dass er einmal an der Seite von Ägyptens Staatspräsident Anwar al-Sadat als Friedensnobelpreisträger in die Geschichte eingehen wird, ist an diesen ersten Tagen von Camp David im September 1978 nicht abzusehen.

"Tun Sie mir einen Gefallen und sorgen Sie dafür, dass Begin gewinnt", raunt der Stabschef des Weißen Hauses Brzeziński zu, nachdem Begin bereits mehrfach damit gedroht hat, die Verhandlungen von Camp David platzen zu lassen. Israels Außenminister wiederum wird später nicht von einem Schachspiel, sondern von einem Kampf sprechen.

Als Begin ihn für sich entschieden hat, wittern die Israelis eine List. Hat der Amerikaner absichtlich verloren, damit sich Israels halsstarriger Ministerpräsident erweichen lässt und die jüdischen Siedler von der strategisch so bedeutsamen Sinai-Halbinsel abzieht?

Anderntags fährt Carter mit Begin und Sadat nach Gettysburg, wo im amerikanischen Bürgerkrieg 50 000 Mann gefallen waren. Für die Unterhändler aus Israel und Ägypten soll es ein Wink mit dem Zaunpfahl der Geschichte sein: Ein Scheitern der Gespräche könne zu einem Weltkrieg führen, glaubt Carter. Doch so einfach Frieden schließen können Begin und Sadat nicht, noch nicht.

Sadat beriet mit Schmidt vor seiner Knesset-Rede

In seinem lesenswerten, weil hervorragend recherchierten Buch "Dreizehn Tage im September" rekonstruiert der amerikanische Journalist Lawrence Wright mit der ersten Camp-David-Konferenz eine der wenigen Hoffnung spendenden Etappen des Nahostkonflikts.

Die Weltöffentlichkeit blickt seinerzeit gebannt auf die Verhandlungen auf dem stark abgesicherten Landsitz des US-Präsidenten im Bundesstaat Maryland, wohin Carter die Staatsmänner aus Israel und Ägypten mit jeweils stattlichen Delegationen eingeladen hat.

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Sadat hatte die US-Friedensinitiative zuvor erst möglich gemacht, weil er ein Jahr zuvor nach Beratung mit Bundeskanzler Helmut Schmidt in der Knesset gesprochen hatte. Daraufhin hatte die arabische Welt, im Sechstagekrieg von Israels Armee düpiert und im Jom-Kippur-Krieg in Schach gehalten, die diplomatischen Kontakte mit Ägypten abgebrochen. Auch die Palästinensische Befreiungsorganisation verurteilte die Reise scharf.

Als Sadat, dessen Hitler-Bewunderung in jungen Jahren in der deutschen Übersetzung des Buches zumindest einer kritischen Anmerkung bedurft hätte, im September 1978 in den USA ankommt, gilt er längst als Volksverräter.

Selbst die ägyptische Delegation ist gegen den diplomatischen Alleingang ihres Staatspräsidenten, dem es um sein politisches Erbe geht. "Ich mache mir große Sorgen um Sadats Leben", sagt Jimmy Carter am Morgen des zehnten Verhandlungstages zu seiner Frau Rosalynn. Und tatsächlich wird Sadat nicht mehr lange leben. Drei Jahre nach dem Camp-David-Abkommen wird er während einer Militärparade in Kairo von Islamisten erschossen.

Lawrence Wright: Dreizehn Tage im September. Das diplomatische Meisterstück von Camp David. Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle. Verlag Konrad Theiss Darmstadt 2016. 415 Seiten, 29,95 Euro. E-Book: 23,99 Euro. (Foto: N/A)

Lawrence Wright, der für sein Buch über die Vorgeschichte der Terroranschläge des 11. September 2001 den Pulitzer-Preis gewann, hat sich für "Dreizehn Tage im September" durch die umfangreiche Memorabilien-Literatur des Nahostkonflikts gearbeitet. Er hat jüdische und arabische Archive ausgewertet und mit etlichen Zeitzeugen Interviews geführt.

Die Carters überließen Wright ihre Tagebücher. Wie es dem Autor mit diesem Material gelingt, die angespannte Atmosphäre von Camp David auferstehen zu lassen, ist verblüffend.

Das Buch ist formal in die 13 Verhandlungstage von Camp David untergliedert. Durch Exkurse in die wendereichen Biografien der drei Staatsmänner entfaltet sich so etwas wie eine szenische Nacherzählung des Nahostkonflikts im ausgehenden 20. Jahrhundert.

Wagemut als Schlüssel für die Einigung

Wright sieht in ihrem Wagemut, der freilich mangelndem politischen Rückhalt geschuldet ist, den Schlüssel für die Einigung von Camp David. Mit Carter, Begin und Sadat sitzen auch Vertreter der drei Weltreligionen am Verhandlungstisch, schreibt der Autor im Prolog des Buches: "Der Glaube dieser Männer an ihre Traditionen befähigte sie, an die Rechtmäßigkeit ihres Anliegens zu glauben, doch gleichzeitig stellte religiöses Denken das größte Hindernis für den Frieden dar. Das Vorhandensein göttlicher Gebote, die keinen Kompromiss duldeten, lenkte immer noch das Denken dieser Männer, die teils in der modernen säkularen Welt lebten und teils in der Welt von Prophezeiung und Offenbarung."

Die Ambivalenz der Einigung bei diesem gleichsam national-ethischen wie territorialen Konflikt kann Wright damit nicht umfassend erklären.

Israel und Ägypten waren seinerzeit kriegsmüde. Begin und Sadat mussten auch deshalb von ihren starren Verhandlungspositionen abweichen, weil sie keinen Bruch mit den USA riskieren wollten, die beiden Seiten milliardenschwere finanzielle Zusagen gemacht hatten.

Sadat gab sich deshalb damit zufrieden, dass Israel sich schrittweise aus dem Sinai zurückzieht und Verhandlungen über ein Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung zustimmte, die Begin freilich bald mit einer aggressiven Politik gegen die PLO unter Jassir Arafat konterkarieren sollte. Im Gegenzug schied mit Ägypten der mächtigste Gegner der arabischen Kriegskoalition gegen Israel aus. "Ich habe gerade das großartigste Dokument in der jüdischen Geschichte unterzeichnet", zitiert Wright Israels Ministerpräsident am Ende der Verhandlungen.

Dass die Bestimmungen des Friedensvertrages, der ein halbes Jahr später in Washington geschlossen wurde, seitdem nicht verletzt wurden, sieht Lawrence Wright trotz der zwiespältigen Auswirkungen auf die Region als Erfolg der Diplomatie.

"Es ist unmöglich, den Wert von Frieden zu ermessen, bis er durch Krieg beendet wird", schreibt er zum Abschluss eines Buches, das sich etwas mehr für das psychologische Kammerspiel dreier Politiker interessiert als für eine Fortschreibung des eigentlichen Dramas: die Aussichtslosigkeit eines Friedens im Nahen Osten.

© SZ vom 28.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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