Bush wird 60:Ein Stehplatz in der Geschichte

"Die Leute halten ihn für einen Versager": George W. Bush sucht nach seiner historischen Bedeutung - angesichts seiner Bilanz stößt er nur auf vernichtende Urteile.

Reymer Klüver

Dieser dunstverhangene Morgen am Potomac verheißt einmal mehr kein großer Tag zu werden in der Präsidentschaft des George W. Bush. Aber wie viele große Tage hat ein Präsident überhaupt?

Und erst recht, wie viele große Tage wird dieser noch haben, der 43. Präsident der Vereinigten Staaten? In den gut fünf Jahren seiner Amtszeit hat er das Land so tief gespalten wie in hundert Jahren vor ihm kaum ein anderer Mann im Weißen Haus.

Wie viel Größe vermag ein Präsident noch zu vermitteln, dem in der Welt Ablehnung und Hass entgegenschlagen, der im eigenen Volk immer weniger Zuspruch findet, ja, dem selbst seine Parteigänger zusehends den Rücken kehren?

21 Schuss donnern die Kanonen vom grauen, alten Fort McNair im Südosten Washingtons, Salut für den Oberbefehlshaber, und drei Mal nach jedem dumpfen Knall rollt das Echo über den trägen Fluss. Immerhin, das gibt es nicht jeden Tag.

Es ist das erste Mal, dass ein Präsident dabei ist beim Kommandeurswechsel der Küstenwache. Und im weißen Festzelt am Ufer des Potomacs haben Fahnenträger, weiße Uniformen, weiße Handschuhe, das Sternenbanner vor der Rednertribüne aufgepflanzt. Nun spielen sie die Hymne, und Bush steht, wie stets bei diesem Ritual, die rechte Hand flach auf dem blauen Anzugstoff in Höhe des Herzens.

Gerade noch hat er Blickkontakt zu Bekannten in den ersten Reihen gesucht. Jetzt aber schweifen seine Augen ins Nirgendwo, und der Anflug eines Lächelns umspielt sein Gesicht, als verspüre er körperlich die Würde des Moments und die Autorität seines Amtes.

Er hadert, er kokettiert

Sein Besuch im Arsenal der Küstenwache soll natürlich zeigen, wie wichtig auch diese Truppe geworden ist bei der Abwehr ungeahnter Gefahren im Krieg gegen den Terror.

Und es ist ein Kompliment für deren neuen Chef, einen schnauzbärtigen Seebären, der nach dem Hurrikan Katrina die Aufräumarbeiten an der Golfküste in die Hand genommen hatte, weil die zivilen Nothelfer der Regierung kläglich versagten.

So etwas vergisst Bush nicht. Und doch ist sein Besuch mehr als eine nette Geste.

An diesem schwülen Morgen lässt sich vielmehr ein Präsident beobachten, der nicht einfach nur vorgegebene Wege abmisst, sondern angetreten ist, die Welt zu formen nach eigenem Willen. Und sei es durch die öffentliche Belobigung eines kernigen Küstenwachenchefs.

60 Jahre alt wird George W. Bush an diesem Donnerstag. Und er hadert, er kokettiert ein bisschen damit.

"Die ersten von rund 78 Millionen Baby Boomern werden in diesem Jahr 60", hatte er bereits Ende Januar in seiner jährlichen Rede an die Nation im Kongress gesagt. Dazu zähle auch er: "Dieser Einschnitt ist mehr als eine persönliche Krise. Es ist eine nationale Herausforderung."

Was natürlich auf die 78 Millionen potenziellen Rentenbezieher gemünzt war. Aber dieser Satz lässt sich eben auch ein wenig anders verstehen.

Denn Bush ist, gut zwei Jahre vor Ablauf seiner zweiten Amtszeit, mit dem beschäftigt, was die Amerikaner legacy nennen: mit seinem Platz in der Geschichte.

Wenn es nach der US-Öffentlichkeit geht, ist das Urteil bereits gesprochen. "Die Leute halten ihn, geschichtlich gesehen, für einen Versager", stellt Karlyn Bowman mit fast klinischer Kühle fest.

Sie ist eine angesehene Washingtoner Analystin politischer Umfragen und arbeitet beim konservativen American Enterprise Institute. Selbst Bushs Parteigänger beschönigen die Lage also nicht.

Nun ist es fast von historischer Gesetzmäßigkeit, dass die Männer im Weißen Haus in ihrer zweiten Amtszeit straucheln.

Ein Stehplatz in der Geschichte

Harry Truman und Lyndon Johnson zogen es vor, nicht noch ein weiteres Mal anzutreten, obwohl es ihnen, die das Amt nach dem Tod ihrer Vorgänger ererbt hatten, vom Gesetz her möglich gewesen wäre.

Dwight Eisenhower schied in Bitternis, Richard Nixon wurde aus dem Amt gejagt. Ronald Reagan und Bill Clinton mussten schwerste Skandale durchkämpfen. George W. Bush aber strauchelt nicht, er ist dem Boden schon gefährlich nah.

Er habe sein politisches Kapital nun verdient, hatte er nach der Wiederwahl im November 2004 triumphiert. "Jetzt habe ich vor, es auszugeben." Das hat er getan - und es verspielt.

Seine Reform der Rentenversicherung - kläglich gescheitert. Die Reaktion auf Hurrikan Katrina - bis heute ein Desaster. Der Versuch, amerikanische Hafenrechte nach Arabien zu verscherbeln - eine grobe Fahrlässigkeit.

Und zuletzt der Aufstand der eigenen Leute gegen seine Einwanderungspolitik. Im Äußeren entspannt sich zwar das Verhältnis zu den Europäern, in der kommenden Woche ist er zum zweiten Mal innerhalb eines guten Jahres in Deutschland. Aber die Beziehungen mit China und Russland sind frostig.

Gegen den Nuklearchaoten in Nordkorea und die zündelnden Iraner findet Bush kein Rezept, für Israel und Palästina nimmt er sich keine Zeit. Und alles, aber auch alles wird vom Blutvergießen im Irak überlagert.

Der Fluch des 11. September

Es ist eine bemerkenswerte Bilanz des Scheiterns, und nur noch ein gutes Drittel der Amerikaner ist mit Bushs Arbeit zufrieden. Karlyn Bowman, die Umfrageexpertin, erwartet nicht, dass sich das ändert.

"2004 verlor er seine demokratischen Wähler, 2005 die Unabhängigen, und jetzt erodiert die konservative Basis." Nichts ist übrig vom Versprechen, Reagans konservative Revolution zu vollenden und den Republikanern auf Jahrzehnte die Macht zu sichern.

Im Gegenteil, im Herbst müssen sie zittern, nicht eine Kammer im Kongress oder gar beide an die Demokraten zu verlieren. Allenfalls die Berufung zweier erzkonservativer Richter am Supreme Court ist bleibendes Vermächtnis.

Der Kommentator James Pinkerton hat eine Erklärung, zumindest für einen Teil des Ungeschicks.

Ein Stehplatz in der Geschichte

Er tritt als Politikexperte im Lieblingssender der Rechten auf, Fox News, und kennt Bush noch aus den Tagen, da er Junior genannt wurde und sie gemeinsam Wahlkampf für seinen Vater machten.

"George W. Bush ist von Natur aus ein moderater Bursche, kein Extremist", zu dem sei er erst im Amt geworden, sagt Pinkerton und schlägt ein vernichtendes Gedankenexperiment vor: "Wäre 9/11 nicht passiert, würde er als ein ordentlicher, konservativer Präsident durchgehen."

Die Steuersenkungen, der Ausstieg aus dem Klimaschutzabkommen von Kyoto. "Das finden die Leute gut, schauen Sie aus dem Fenster", sagt Pinkerton und weist auf die lange Reihe geparkter Geländewagen vor seinem Apartment in Rosslyn, zwei, drei Meilen vom Weißen Haus entfernt. Bush sei "perfekt" auf innenpolitische Herausforderungen vorbereitet gewesen.

Doch dann hätten ihn die Anschläge zum Außenpolitiker gemacht. "Und da ist er dem Peter-Prinzip zum Opfer gefallen", als falscher Mann steht er in der Hierarchie ganz oben. Bush habe die Idee der Neo-Konservativen übernommen, die Welt nach dem 11. September 2001 neu zu ordnen. "Das ist jenseits seiner Fähigkeiten als Person und unserer Fähigkeiten als Nation."

Michael Lind ist ein Texaner in der fünften Generation, wie er mit augenzwinkerndem Stolz sagt, und Fellow in der New America Foundation, einem liberalen Think Tank in Washington.

Er hat ein viel beachtetes Buch über Bush, den Texaner, geschrieben und glaubt, dessen Denkweise einschätzen zu können. "Er ist stur und überzeugt von der Richtigkeit seiner Auffassungen." Er ist einer, den sie in Texas einen straight shooter nennen, einer, der sagt, was er denkt, und tut, was er sagt.

Lind glaubt, dass Bush sich mit dieser Geisteshaltung "überidentifiziert" hat, wie er sich ausdrückt, weil er als Sohn eines Ostküstenunternehmers in Texas aufwuchs: "Auch wenn dein Vater ein reicher Yankee war - du hättest es nie zugegeben."

Texanische Camouflage

Und noch eines sagt Lind: "Das Problem der Linken ist es, dass sie sich Bush nur als Dummkopf vorstellen können, völlig abhängig von Beratern." Das Gegenteil sei der Fall.

"Der macht sich sehr wohl seine Gedanken." Und er fügt mit feinem Lächeln hinzu: "Die Ironie ist doch, dass es um unser Land so schlecht bestellt ist, gerade weil Bush alles selbst durchdacht und entschieden hat."

Noch mehr als zwei Jahre wird Bush im Weißen Haus die Entscheidungen treffen. Doch die Suche nach seinem Platz in der Geschichte hat schon begonnen.

Brent Scowcroft, der Sicherheitsberater von Vater Bush und ein Freund der Familie, hütet sich, auch in kleinem Kreis persönlich zu werden. Aber für die Außenpolitik des Juniors hat er nur einen vernichtenden Satz über: "Das ist Wilsonismus mit dem Schwert."

Woodrow Wilson war der Reformdemokrat und Präsident mit Sendungsbewusstsein, der die Völker von der blutigen Wirrnis des Ersten Weltkriegs mit Demokratie nach US-Muster heilen wollte - so wie Bush der Welt Amerikas Freiheiten bringen will. "Aber man kann Demokratie nicht verordnen", sagt Scowcroft, der alte Realist.

"Er ist in vielem wie Johnson, der letzte Texaner im Weißen Haus", doziert dagegen der konservative Pinkerton. Auch der habe ein Präsident für Amerikas Innerstes sein wollen und habe sich doch im außenpolitischen Schlamassel von Vietnam wiedergefunden, in einer Rolle, die ihm nicht behagen konnte und die er nicht gesucht hatte. Da ist vielleicht mehr dran, als Bush es wahrhaben will.

Man muss ihn nur beobachten, neulich zum Beispiel bei der Pressekonferenz in Wien, wo er selbst Guantanamo zum Thema macht und dann doch die Zornesröte in ihm aufsteigt, als die Journalisten nicht davon ablassen, und sein Kiefer seltsam zu mahlen beginnt und er sich ganz offenbar zusammenreißt, um nicht zu explodieren.

Ein Stehplatz in der Geschichte

Da stellt sich dann das Gefühl ein, dass es in dem mächtigsten Mann der Welt seltsam brodelt, dass er trotz aller zur Schau gestellter derb-texanischer Lockerheit tief drinnen verletzbar ist.

Wie der Schulbub George W. im vornehmen Internat von Andover, den der Lehrer zurechtwies wegen eines falsch gebrauchten Wortes. Und dabei hatte er in dem Aufsatz geschildert, wie fürchterlich der Krebstod seiner Schwester die Familie heimgesucht hatte.

Je länger er in Washington ist, hat David Ignatius von der Washington Post vor ein paar Wochen festgestellt, desto stärker werde Bushs texanischer Akzent.

"Das ist Camouflage", schreibt der Kolumnist, "aber sie verbirgt nicht mehr viel. Dieser Präsident ist nicht mit sich im Reinen" - so wie Johnson es nicht mehr gewesen sei, als immer mehr Amerikaner in Vietnam umkamen und er keinen Weg fand, das Sterben zu beenden.

Nach außen hin aber kennt Bush Zweifel nicht, gerade nicht beim Thema, das die Nation wie kein anderes beschäftigt. Da vernimmt man über die nun 2500 toten US-Soldaten im Irak nur Sätze wie den am Memorial Day, dem amerikanischen Volkstrauertag Ende Mai: "Ihr höchstes Opfer war nicht vergebens."

Bush selbst sucht offenkundig ebenfalls den Vergleich mit präsidentiellen Vorgängern. Selten, eigentlich nie redet er von Reagan.

Eine Nummer zu groß

Zu lebendig ist bei konservativen Parteigängern wohl die Erinnerung, zu niederschmetternd fiele der Vergleich aus. Vor ein paar Monaten hat Bush eine Biografie Theodore Roosevelts gelesen. T. R., der Amerikas Außenpolitik mit dem big stick militärischer Stärke versah, scheint aber ebenfalls eine Nummer zu groß zu sein.

Erst vor ein paar Wochen brachte Bush dann Truman ins Spiel, weil auch der in seiner zweiten Amtszeit wegen eines unpopulären Krieges ins Umfrageloch rauschte und nicht mehr herausfand - in der geschichtlichen Perspektive aber zusehends als einer der Großen gilt.

Und im weißen Festzelt am trägen Fluss bei der Küstenwache, merkt der Präsident an, dass er ja nicht der erste George W. im höchsten Amt Amerikas sei, eine Anspielung auf den alten George Washington, den ersten Präsidenten der Republik.

Aber das ist dann doch ein Scherz. Die Leute lachen jedenfalls. Ein müdes Lachen.

Eine Frau sagt gelangweilt, dass er den Gag bei jeder Rede mache. Es ist kein großer Tag für George W. Bush. Wieder nicht.

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