Süddeutsche Zeitung

Burschenschaftstreffen in Innsbruck:Eine Stadt wehrt sich

Sie können so viele Protestlieder singen, wie sie wollen: Die Türen der Messe in Innsbruck bleiben für ein Treffen des rechten Dachverbandes Deutscher Burschenschaften geschlossen. Die Entscheidung der Stadt ist überraschend - und könnte in Österreich für eine Wende im Umgang mit den Bünden sorgen.

Von Antonie Rietzschel, Innsbruck

"Die Gedanken sind", singen die Burschenschafter - das "frei" geht in Pfiffen und Buhrufen unter. Die etwa 80 Sänger, mit Band vor der Brust und samtenen Kappen auf dem Kopf, bewegen weiter ihre Münder. Als wollten sie damit erreichen, dass die gläsernen Türen der Messehalle nach dem Sesamöffnedich-Prinzip doch noch für sie aufschwingen. Eigentlich wollte der als rechts geltende Dachverband der Deutschen Burschenschaften (DB) an diesem Wochenende hier ein Symposium zu Jugendarbeitslosigkeit in Europa abhalten. Mitten in Innsbruck.

Die Veranstaltung war seit Mai angemeldet. Doch die Messegesellschafter rangen sich erst in letzter Minute dazu durch, den Vertrag aufzulösen, obwohl sie damit das Risiko einer Vertragsstrafe eingingen. Zu den Gesellschaftern gehören unter anderem die Stadt Innsbruck und das Land Tirol. Die Entscheidung ist bemerkenswert: Sie wurde in einem Land getroffen, in dem sich Burschenschafter bisher treffen konnten, ohne auf größeren Widerstand zu stoßen. Treibende Kraft der Absage war zudem eine Bürgermeisterin aus dem bürgerlichen Lager.

Verschlossene Türen

In Eisenach, wo alljährlich der Burschentag stattfindet, regiert eine linke Bürgermeisterin. Doch sie hat sich bisher nicht getraut, den bestehenden Vertrag aufzulösen - wegen der drohenden Strafzahlungen. So werden sich auch 2014 die 70 im Dachverband verbliebenen Bünde in Eisenach treffen.

Doch in Innsbruck bleiben an diesem Wochenende die Türen der Messehalle verschlossen - trotz des Protestgesangs. Den Burschenschaftern bleibt nichts weiter übrig, als mit ihren Plakaten in die bereitstehenden Busse zu klettern, die sie in ein Hotel im Gewerbegebiet bringen. Ihr Symposium müssen sie nun außerhalb des Zentrums abhalten. "Nach der Absage der Stadt haben sich Betreiber verschiedener Veranstaltungsorte gemeldet", sagt DB-Sprecher Walter Tibutsch. Es war vor allem er, der in den Medien gegen die Bürgermeisterin schimpfte und Konsequenzen ankündigte. Unter anderem warf er ihr Amtsmissbrauch vor.

An Christine Oppitz-Plörer prallen diese Vorwürfe ab. Die Innsbrucker Bürgermeisterin hat in den vergangenen Tagen vor allem positive Reaktionen auf ihre Entscheidung erhalten. 40 E-Mails, in denen sich die Bürger für ihren Mut bedankten. Sogar ein Blumenstrauß mit handgeschriebener Dankeskarte kam in ihrem Büro an. Auf der Straße drückten ihr Menschen die Hand. Die 45-Jährige sitzt in einem Café - weiße Kostümjacke, ein passendes Tuch um den Hals gebunden. Das kurze blonde Haar ist sorgfältig frisiert. "Uns war wichtig zu zeigen, dass wir in städtischen Räumen keine Gruppen wollen, die sich nicht von ihrer Forderung nach einem Ariernachweis distanzieren und die Staatsgrenzen von Österreich und Deutschland nicht anerkennen", sagt die Bürgermeisterin. Der starke Rechtsruck, den der Dachverband der Deutschen Burschenschaften in den vergangenen Jahren durchgemacht hat, ist ihr nicht entgangen:

  • Der Antrag zur Einführung eines "Arier-Nachweises" über die Deutschstämmigkeit von Mitgliedern der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczecks zu Bonn hatte im Juni 2001 für Aufregung gesorgt. Christian Becker, damals noch "Alter Herr" der Raczecks, gründete daraufhin die Initiative "Burschenschafter gegen Neonazis".
  • Während des Burschentags in Eisenach im Juni 2012 stellte Beckers Initiative einen Antrag zur Auflösung des Dachverbandes. Rechtsextremismus solle nicht länger geduldet und offiziell finanziert werden, hieß es in der Begründung. Doch der Vorstoß scheiterte. Noch während des Burschentages traten fünf Führungsmitglieder zurück. Auslöser war die Wiederwahl des Vorstandsmitgliedes Norbert Weidner zum "Schriftleiter" der Dachverbands-Zeitung Burschenschaftliche Blätter, der den Widerstandskämpfer Bonhoeffer als Verräter bezeichnet hatte. Weidner wurde mittlerweile wieder abgesetzt.
  • Christian Becker wurde im September dieses Jahres wegen "verbandsschädigendem Verhalten" aus seiner Burschenschaft ausgeschlossen. Auf dem Blog der Initiative "Burschenschafter gegen Neonazis" prangert er bis heute rechtsextreme Tendenzen in Studentenverbindungen an.
  • Auf einem außerordentlichen Burschentag in Stuttgart wurde im November 2012 die Wiener Teutonia zur vorsitzenden Burschenschaft des Dachverbandes gewählt. Ihr wird vorgeworfen, nationalistische Bestrebungen zu verfolgen. Anfang der 90er Jahre veröffentlichte sie ein Flugblatt mit der Überschrift "Deutschlands Verstümmelung" - darunter ist eine Karte von Deutschland und Österreich nach dem ersten Weltkrieg zu sehen. Ein Bundesbruder soll sich in jüngster Vergangenheit bei der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) engagiert haben, einem rechtsextremen Vertriebenenverband, der auch jährlich den Trauermarsch in Dresden veranstaltet.

37 liberale Burschenschaften haben mittlerweile aus Protest den Verband verlassen. Die Burschenschaftliche Gemeinschaft - ein Zusammenschluss von Bünden innerhalb des Dachverbandes, deren deutsche Mitgliedsbünde teilweise vom Verfassungsschutz beobachtet werden - hat die Führung übernommen. Die rechten Tendenzen innerhalb der DB sind immer wieder Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Während ihres Parteitages vor wenigen Wochen beschloss, die SPD, dass Parteimitglieder nicht im DB sein dürfen.

Innsbrucks Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer glaubt, dass es dieser öffentliche Druck in Deutschland war, der den Dachverband für sein Treffen nach Österreich ausweichen ließ. "Bei uns stehen diese Gruppen nicht unter Beobachtung. Dazu kommt, dass wir in Österreich vor ihrem Treiben lange Zeit die Augen verschlossen haben", sagt sie. 1994 hatte der damalige Bürgermeister von Innsbruck während eines ähnlichen Treffens noch die Grußworte gesprochen.

Offene politische Unterstützung erhalten die Burschenschaften aber mittlerweile nur noch von der rechtspopulistischen FPÖ. Experten bezeichnen sie als akademisches Rückgrat der Partei. Jeder dritte FPÖ-Nationalratsabgeordnete soll Burschenschafter sein, davon jeder Zweite Mitglied in einer deutschnationalen Studentenverbindung. Während des Symposiums des Verbandes zur Jugendarbeitslosigkeit spricht Reinhard Bösch, der für die FPÖ im Nationalrat sitzt. Er bezeichnete die Bürgermeisterin Innsbrucks "als Teil jener geistigen Brandstifter, die in unserer Gesellschaft Intoleranz und Hass auf Andersdenkende den Boden bereiten."

"Beginn einer Wende"

Beim Bündnis "Innsbruck gegen Faschismus" ist man froh, dass die Bürgermeisterin trotz der Anfeindungen an ihrer Entscheidung festgehalten hat. "Wir haben fast nicht mehr daran geglaubt, dass sie es durchzieht. Aber sie hat es getan", sagt Claudia Schütz. Die 28-Jährige ist Sprecherin des Bündnisses, das sich anlässlich des Verbandstreffens gegründet und die Stadt darauf hingewisen hat, wer in der Messe tagen soll.

Für den Tag des Burschenschafter-Treffens haben sie eine Demonstration organisiert. Sie endet dort, wo auch Stunden zuvor die Burschen "Die Gedanken sind frei" angestimmt haben: vor den Türen der Messe. 2000 Teilnehmer sind gekommen. Die Demonstration verläuft weitestgehend friedlich. "Wir haben uns die Stadt zurückgeholt", sagt Schütz. Sie glaubt, dass von Innsbruck aus ein Signal in den Rest des Landes gesendet werden kann, sich stärker mit rechtsextremen Umtrieben in Burschenschaften auseinanderzusetzen. "Das ist erst der Anfang - auch für die Stadt." Und auch Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer ist sich sicher, dass sich etwas ändern wird. "Innsbruck kann der Beginn einer Wende sein."

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