Gäbe es einen Wettbewerb, den unbekanntesten Staatsführer der Welt zu bestimmen, Ibrahim Traoré hätte gute Chancen. Hauptmann der Armee von Burkina Faso war er bisher, kein sonderlich hoher Rang, der in der Bundeswehr auch dem eines Stabsveterinärs entspricht. Traoré hat seit einigen Jahren mit der Armee an vorderster Front gegen den sich ausbreitenden islamistischen Terror gekämpft, aber selbst in der Hauptstadt Ouagadougou dürfte den 34-Jährigen bis vor einer Woche kaum jemand gekannt haben.
Am Freitag putschte sich Hauptmann Traoré an die Macht in dem westafrikanischen Land mit etwa 22 Millionen Einwohnern. Ganz klassisch gingen er und seine Mitstreiter vor; der Fernsehsender wurde besetzt, dazu die wichtigen Kreuzungen, es brauchte offenbar gar nicht viel. Es ist der zehnte Staatsstreich des Militärs seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1960, dazu kommen vier Versuche und ein populärer Volksaufstand. Der Putsch von Traoré ist zudem ein Coup innerhalb eines Coups, da sein Vorgänger Paul-Henri Damiba ja erst im Januar auf identische Weise an die Macht gekommen war.
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Als am Freitag die ersten Schüsse zu hören waren und das Staatsfernsehen plötzlich zeitlose Dokumentationen sendete, tat Damiba das drohende Unheil noch als "Stimmungsschwankungen innerhalb des Militärs" ab. Ein paar Tage später war er schon im Exil in Togo.
In der Hauptstadt begrüßten ein paar Hundert, womöglich Tausende Menschen den neuen Machthaber, der sich bisher offenbar Interimspräsident nennt. Die überschaubare Begeisterung für einen bisher völlig unbekannten Hauptmann ist wohl vor allem Ausdruck der Enttäuschung über das Wirken des abgesetzten Putschisten Damiba. Der hatte versprochen, die Sicherheitslage im Land zu verbessern. Burkina Faso leidet seit Jahren unter dem sich ausbreitenden islamistischen Terror, der vor allem aus dem Nachbarland Mali hinüberschwappt. Etwa zwei Millionen Menschen sind auf der Flucht, mehrere Tausend sind ums Leben gekommen. Kurz vor dem Putsch sollen 27 Soldaten bei einem Angriff eines Al-Qaida-Ablegers getötet worden sein.
Demonstranten schwenken russische Fahnen
Traoré, so heißt es jetzt, sei für seinen Mut an der Front bekannt. "Alles, was zählt, ist, dass sich die Sicherheitslage verbessert", sagte er ein paar Tage nach dem Putsch, hatte aber sonst kein konkretes Konzept zu bieten. Den Kampf gegen den Terror hatte bereits sein Vorgänger als oberste Priorität erklärt. Aber er hat wenig Fortschritte gemacht. Der abgesetzte Damiba hatte selbst jahrelang an der Front gedient und über diese Zeit ein ziemlich ernüchterndes Buch geschrieben, das wenig Hoffnung machte, dass der Kampf gegen den Terror gewonnen werden kann. Er schrieb, dass durch die Fokussierung auf militärische Mittel bestenfalls Symptome behandelt würden, oft aber Öl ins Feuer gegossen werde.
Was sein Nachfolger anders machen will, bleibt unklar. Man kann davon ausgehen, dass die Bereitschaft der internationalen Partner, sich in Burkina Faso zu engagieren, durch den zweiten Putsch innerhalb eines Jahres nicht gerade gestiegen ist. Traoré hatte in den ersten Tagen des Umsturzes gezielt auf die antifranzösische Stimmung in der Bevölkerung gesetzt, die die ehemalige Kolonialmacht für die desolate Lage des Landes verantwortlich macht. Sein Vorgänger halte sich in einer französischen Kaserne auf und plane mit der Hilfe von Paris seine Rückkehr, hatte Traoré anfangs behauptet.
Einige Demonstranten legten daraufhin Feuer vor der französischen Botschaft. Manche von ihnen schwenkten russische Flaggen und forderten ein Engagement Russlands. So wie im Nachbarstaat Mali, wo sich Frankreich zurückgezogen hat und das Militärregime bei der Bekämpfung der Islamisten auf die Söldner der Wagner-Truppe setzt. Diese kündigte am Dienstag aber an, vorerst keine weiteren Rekruten für Einsätze in Afrika einzustellen, um sich ganz auf den Krieg gegen die Ukraine zu konzentrieren. Vielleicht auch deshalb hat Traoré nun wieder freundliche Töne an Frankreich ausgesandt und versprochen, innerhalb von zwei Jahren zu einer zivilen Regierung überzugehen.
Was er bis dahin vorhat, bleibt unklar. Dem französischen Auslandsradiosender RFI sagte er sogar: "Wir haben kein spezifisches Ziel." Sein Vorgänger Damiba lag daher womöglich gar nicht so falsch, als er von "Stimmungsschwankungen" in der Armee sprach. Einige Soldaten, die an der Front gegen die Terroristen kämpfen, sollen schon länger keinen Sold mehr bekommen haben. Am Sonntag hielt Traoré in Militärkleidung ein Treffen mit Ministerialbeamten, das im Internet übertragen wurde. Ob die Schulen bald wieder öffnen können, wurde er gefragt. Er konnte die Frage letztlich nicht beantworten.