Süddeutsche Zeitung

Vollverschleierung in den Niederlanden:Ein Verbot, das schwer durchsetzbar ist

  • Nach 14 Jahren Debatte ist die Vollverschleierung in den Niederlanden nun verboten.
  • Das Verbot gilt für öffentliche Gebäude wie Krankenhäuser oder Ämter sowie für den öffentlichen Verkehr. Es sieht Bußgelder von mindestens 150 Euro vor.
  • Offen ist, ob und inwieweit es durchgesetzt wird.

Von Thomas Kirchner

In den Niederlanden gilt seit Donnerstag das sogenannte Burkaverbot. Es ist ein Teilverbot, Folge eines Kompromisses nach einer 14 Jahre währenden politischen Debatte. "Gesichtsbedeckende" Kleidung darf demnach in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäusern, Pflegeheimen, Ämtern, Polizeistationen oder auch Bussen und Bahnen nicht mehr getragen werden.

Betroffen sind islamische Kleidungsstücke - wie die Burka und vor allem der Niqab, der einen Schlitz für die Augen offenlässt - sowie Sturmhauben und Integralhelme. Im öffentlichen Raum, auch auf Bahnsteigen oder in Taxis, ist die Verschleierung weiterhin gestattet. Es gehe nur um Orte, wo Kommunikation nötig sei, wo man sein Gesicht zeigen müsse, erklärte die Regierung.

In den Medien wird intensiv darüber diskutiert, ob und wie das Verbot befolgt wird. Das Innenministerium rief Stadtverwaltungen und Polizei dazu auf, es durchzusetzen. Sicherheitsbeamte sollen verschleierte Frauen zunächst auffordern, ihr Gesicht zu zeigen. Wenn sie sich weigern, kann ihnen der Zugang zu öffentlichen Gebäuden untersagt werden, es drohen Geldstrafen von mindestens 150 Euro. In den Niederlanden wird geschätzt, dass etwa 150 Frauen regelmäßig und weitere 200 gelegentlich einen Niqab tragen.

Femke Halsema, die grüne Bürgermeister Amsterdams, hatte im vergangenen Jahr angekündigt, die Umsetzung habe keine Priorität für ihre Stadt. Andere große Städte äußerten sich ähnlich. Die Universitätskrankenhäuser kündigten an, dass sie weiterhin jedem helfen würden. Auch die niederländische Bahn und öffentliche Nahverkehrsbetriebe wollen verschleierte Passagiere dulden. "Wir stoppen keine Straßenbahn oder Metro wegen einer Burka", sagte Pedro Peeters, der Vorsitzende der Nahverkehrsbetriebe. Das oberste Ziel sei Deeskalation und der ungehinderte Fluss des öffentlichen Verkehrs.

In der Praxis läuft es vermutlich darauf hinaus, dass Übertretungen lediglich registriert und nicht geahndet werden. Die Verkehrsbetriebe selbst können die Buße auch nicht eintreiben und müssten die Polizei rufen, was sie wohl selten tun werden. Die Zeitung AD erinnerte allerdings daran, dass jeder Bürger, der einen Übertritt bemerke, selbst tätig werden könne. So gebe es das Instrument des "Bürgerarrests", das es erlaube, einen Verdächtigen, der fliehen wolle, "auf dem Boden festzuhalten", bis die Polizei kommt. Muslime warnten in den sozialen Medien, hier sei ein Unglück in Zeitlupe zu beobachten.

Das Verbot geht auf die Initiative des Islamkritikers Geert Wilders zurück. Ihm war es zu Beginn seiner politischen Karriere im Jahr 2005 überraschend gelungen, eine Mehrheit im Parlament dafür zu gewinnen. Über die konkrete Ausgestaltung wird seither gestritten, mehrere Regierungen taten sich schwer damit, ein Gesetz vorzulegen. Wilders hatte ein völliges Verbot für die Vollverschleierung im öffentlichen Raum verlangt, wie es 2010 in Belgien und 2011 in Frankreich erlassen wurde. Auch Österreich und Dänemark haben Verbote erlassen. In Deutschland dagegen gibt es bislang nur vereinzelt und beschränkte Verbote zum Beispiel für den öffentlichen Dienst in Hessen.

Die Niederlande sind gespalten, was das Burkaverbot betrifft. Einerseits sehen sie darin einen ungebührlichen Eingriff in die Freiheit des Einzelnen und vor allem in die Religionsfreiheit, die in dem Land traditionell hochgehalten wird. Früher galt, dass sich der Staat nicht einmischen solle in die abgeschlossene Welt der religiösen Gemeinschaften.

Durch die Migration hat sich das geändert. Sie hat die Sorge um den Zusammenhalt im Land befördert. Alexander van Hattem, Abgeordneter der Wilders-Partei PVV, ist nicht der Einzige, der in der Vollverschleierung einen "Stinkefinger für die westliche Gesellschaft" sieht. Außerdem wenden sich viele gegen die Vollverschleierung als Symbol der Unterdrückung von Frauen im Islam. "Durch das Gesicht entsteht eine Verbindung zwischen Menschen", sagt die französische Feministin Élisabeth Badinter. "Wenn das Gesicht verborgen bleibt, wird Brüderlichkeit unmöglich." Auch deshalb fand das Gesetz 2016 eine Mehrheit im Parlament. Dagegen stimmten neben zwei muslimischen Abgeordneten nur die Grünen und die linksliberale D66.

Amnesty International kritisierte, das Unbehagen einiger weniger oder selbst einer Mehrheit könne eine so weitgehende Beschränkung der Meinungs- und Religionsfreiheit nicht rechtfertigen. In einer Petition nennen 5700 Unterzeichner das Burkaverbot "diskriminierend", es schließe die Verschleierten aus zentralen Bereichen der Gesellschaft aus. Im Namen des Kampfes gegen Unterdrückung würden Frauen auf diese Weise erst recht unterdrückt.

Auch der Staatsrat hatte vor einigen Jahren von dem Verbot abgeraten. Man sehe "keine dringende Notwendigkeit, die eine Einschränkung der Religionsfreiheit rechtfertigen könnte", schrieb das höchste Beratungsorgan der Regierung in einem Gutachten, es handle sich um "Symbolpolitik".

Islamische Organisationen und Parteien kündigten an, eventuell ausgesprochene Bußen bezahlen zu wollen. In Frankreich wurden seit 2011 etwa 2000 Bußen verhängt. Einen großen Teil davon hat der algerische Geschäftsmann Rachid Nekkaz übernommen, der auch in den Niederlanden einspringen will.

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