Süddeutsche Zeitung

Bundesweite Statistik:268 Neonazis, dringend gesucht

Die Mitglieder der Terrorgruppe NSU blieben jahrelang von der Polizei unentdeckt. Das warf Fragen auf, unter anderem: Wie viele solcher Fälle gibt es noch? Jetzt liefert die Bundesregierung eine Antwort.

Von Tanjev Schultz

Bundesweit werden 268 Neonazis gesucht, gegen die Haftbefehle vorliegen. Dies ergibt sich aus der aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linken. Die Auskunft beruht auf Daten vom Oktober 2013. Wenige Monate zuvor lag die Zahl der gesuchten Neonazis bei 220, Anfang 2012 nur bei 160. Die Methoden für die Statistik wurden seitdem verbessert.

Als die Terrorgruppe NSU entdeckt wurde und herauskam, dass sich drei Neonazis jahrelang vor der Polizei versteckt hatten, tauchte die Frage auf, ob es noch andere solcher Fälle gibt. Die Behörden hatten zunächst keine Antwort, was im November 2011 zu einer peinlichen Situation im Innenausschuss des Bundestags führte. Dort hatte der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger wissen wollen, ob die Behörden noch von weiteren untergetauchten Neonazis wüssten. Daraufhin begann bei den Chefs der Sicherheitsbehörden das große Stottern.

Ziemlicher Datenwust

In den folgenden Monaten versuchten die Innenminister von Bund und Ländern, Klarheit zu bekommen. Das war und ist allerdings nicht so einfach: Es gibt bei Polizei und Verfassungsschutz einen ziemlichen Datenwust. Die Kriterien, nach denen Personen mal hier, mal dort auftauchen, mussten erst vereinheitlicht werden. Es gibt unterschiedliche Dateien, in denen amtsbekannte Rechtsextremisten auftauchen können. Sie haben sperrige Abkürzungen wie "INPOL-Z" oder "IFIS". Mehrmals musste die Statistik neu justiert werden, weshalb die aktuellen Zahlen mit den früheren Ergebnissen nicht mehr vergleichbar sind. Der technische und personelle Aufwand für die Statistik sei "hoch" gewesen, teilt die Regierung mit.

Die Linken-Politikerin Ulla Jelpke bemängelt jedoch, auch die jetzt vorgelegten Zahlen seien nur "unregelmäßige Momentaufnahmen". Noch immer sei es nicht möglich, "in Echtzeit" zu erfahren, wie viele Neonazis sich einer Festnahme entziehen. Dies werde dem Ernst des Themas nicht gerecht.

Laufend neue Haftbefehle

Die meisten Straftäter tauchen nach kurzer Zeit wieder auf, nur wenige verschwinden dauerhaft und entziehen sich über längere Zeit dem Zugriff der Behörden. Wenn es heißt, 268 Rechtsextremisten werden wegen bisher nicht vollstreckter Haftbefehle gesucht, bedeutet das also nicht, dass alle diese Personen im "Untergrund" leben. Laufend kommen neue Haftbefehle dazu, während sich andere erledigen. Leider fehlen in der Antwort der Regierung Angaben über das Datum der Haftbefehle.

Besonders viele gesuchte Neonazis gibt es in den Bundesländern Bayern und Nordrhein-Westfalen (jeweils mehr als 40), aber auch in Baden-Württemberg, Sachsen und Hessen (jeweils 20 oder mehr).

Gegen einige Neonazis liegen gleich mehrere Haftbefehle vor; insgesamt sind es 332. In 69 Fällen geht es um Straftaten mit "politischer Motivation", in 55 Fällen um Gewaltdelikte. Es spielen auch zahlreiche andere Delikte eine Rolle: von Computerbetrug, Trunkenheit im Straßenverkehr bis zu Diebstahl und Rauschgift-Delikten. Ein Haftbefehl wegen terroristischer Aktivitäten liegt dagegen in keinem der 332 Fälle vor.

Auch zu gesuchten, polizeibekannten Linksextremisten gibt es übrigens eine Zahl: Es sind - Stand Oktober 2013 - 87 Personen.

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