Süddeutsche Zeitung

Bundeswehrreform:Ziel erfasst, Ziel verfehlt

Verteidigungsministerin von der Leyen will die Bundeswehr vergrößern - und verpasst gleich die erste Wegmarke. Immerhin: Die Bewerberzahlen steigen.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Bei ihrem Vorhaben, die Bundeswehr wieder zu vergrößern, hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) das erste wichtige Etappenziel verfehlt. Die Zahl der Zeit- und Berufssoldaten lag Ende vergangenen Jahres nach Angaben des Verteidigungsministeriums bei 168 342. Vorgesehen sind nach den Vorgaben der jüngsten Bundeswehrreform allerdings 170 000 - und von der Leyen hatte diese Marke im Mai vergangenen Jahres, als sie ihre Pläne für eine Vergrößerung der Bundeswehr vorstellte, noch einmal als erstes Zwischenziel ausgegeben, das bis Ende des Jahres erreicht sein sollte.

Im Vergleich zum Plan fehlen der Ministerin 1658 Soldaten

Von dort aufbauend, wollte die Ministerin bis 2023 etwa 7000 zusätzliche Dienstposten schaffen, um dann auf 177 000 Zeit- und Berufssoldaten zu kommen. Zudem sollen bis 2023 etwa 4400 zivile Beschäftigte hinzukommen. Insgesamt lag die Obergrenze der Bundeswehr bislang bei 185 000 Soldaten. Zum 31. Dezember des Vorjahres gab es aber nur 177 608 aktive Soldaten, freiwillig Wehrdienstleistende eingeschlossen. Die Ministerin will künftig keine starre Obergrenze mehr.

Von der Leyens Pläne für die sogenannte "Trendwende Personal" waren voriges Jahr mit breiter Aufmerksamkeit aufgenommen worden, da sich die Bundeswehr seit dem Ende des Kalten Krieges in einem permanenten Schrumpfungsprozess befand. Entsprechend aufmerksam dürfte nun in der Truppe registriert werden, dass bereits die erste Wegmarke nicht erreicht wurde. Von der Leyen gab die Zahl der Zeit- und Berufssoldaten am Freitag im Bundestag bekannt und kommentierte: "Wir brauchen mehr, gar keine Frage." Allerdings gehe es insgesamt bergauf.

Tatsächlich ist die Zahl der Zeit- und Berufssoldaten seit Mitte des vergangenen Jahres gewachsen. Damals hatte sie mit 166 523 den bislang tiefsten Stand erreicht. Besonders erfreulich nannte von der Leyen die wachsende Zahl der Soldatinnen, die im vergangenen Jahr erstmals über 20 000 lag. Auch in weiteren Bereichen konnte das Ministerium auf positive Trends verweisen. So stieg 2016 die Zahl der Bewerber für militärische Stellen im Vergleich zu 2015 um drei Prozent - was zu einem guten Teil an den Frauen lag, bei denen die Bewerbungen um zehn Prozent stiegen. Insgesamt rückläufig waren die Bewerberzahlen bei den Offizieren und den freiwillig Wehrdienstleistenden - wobei es bei den Offizieren bislang eher keine Probleme gibt, genügend Nachwuchs zu gewinnen. Weiterhin Probleme gibt es hingegen trotz der insgesamt gestiegenen Bewerberzahlen vor allem bei Spezialisten und Fachkräften. Hier muss sich die Bundeswehr angesichts der demografischen Entwicklung auf einen noch schärferen Wettbewerb mit der Wirtschaft einstellen.

Auf diese Lage reagiert das Ministerium bereits seit einiger Zeit mit umfangreichen Werbemaßnahmen. Besondere Aufmerksamkeit hatte im vergangenen Jahr die Youtube-Serie "Die Rekruten" erlangt, die den Alltag junger Soldaten zeigt und es zuletzt auf fast 270 000 Abonnenten und fast 40 Millionen Aufrufe brachte.

Kritik an der Personalpolitik des Ministeriums kam vom Bundeswehrverband. "Wir bleiben bei der Auffassung von vor über einem Jahr: Es fehlen über 15 000 Soldaten nur für das Füllen der aktuellen Streitkräftestruktur, und zwar heute", sagte der Vorsitzende, Oberstleutnant André Wüstner. Mit der Cyberkriegführung und Zusagen an die Nato seien zwischenzeitlich noch zusätzliche Herausforderungen hinzugekommen. "Daher muss erneut aufgestockt und dies planerisch im Haushalt ab 2018 verankert werden", sagte Wüstner. "Im Bereich der Fachkräfte muss der Rahmen für Berufssoldaten schnellstens erweitert werden."

Um zu wachsen, werde man "die Anstrengungen noch deutlich intensivieren müssen"

Allerdings warnte Wüstner davor, bei den Bemühungen um mehr Personal wahllos zu werden. Die vom Ministerium angeschobene Überlegung, die Bundeswehr für EU-Ausländer zu öffnen, habe "in der Truppe, aber viel mehr bei Verbündeten, für enormes Unverständnis gesorgt". Hier gebe es "einerseits in Punkto Eid, Führungskultur oder Gesetzesrahmen noch viele offene Fragen", sagte der Verbandsvorsitzende. "Andererseits wollen mehrere EU-Länder wie beispielsweise die Polen nicht, dass wir ihnen Personal abwerben", so Wüstner, der das Ministerium hier besonders scharf kritisierte: "Eine Idee, die wenig durchdacht war, aber zumindest für mediale Aufmerksamkeit sorgte - manchen reicht das ja schon."

Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels sagte: "Man hat im vergangenen Jahr gesehen, wie schwierig es allein schon ist, das auf dem Papier vorgesehene Personal zu bekommen." Um zu wachsen, werde das Ministerium "die Anstrengungen noch deutlich intensivieren müssen", so Bartels. Vor allem müsse man "das ganze Potenzial der nächsten Jahrgänge voll ausschöpfen, inklusive der jungen Frauen und der jungen Menschen mit Migrationshintergrund".

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SZ vom 21.01.2017
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