Bundeswehreinsatz in Afghanistan:Blutiger Krieg um die Wahrnehmung

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Propaganda-Erfolge erzielen Afghanistans Aufständische vor allem, wenn sie der Isaf mit spektakulären Aktionen schwere Verluste zufügen. Dazu verwenden sie jetzt verstärkt Sprengfallen. Die deutschen Soldaten in Afghanistan sind jedoch nicht nur deshalb verunsichert.

Peter Blechschmidt

In Afghanistan wird nicht nur mit militärischen Mitteln gekämpft. Von einem war of perception, einem Krieg der Wahrnehmung, sprach vor kurzem ein hoher deutscher General, der mehr als 20 Monate am Hindukusch im Einsatz war. Damit meint er den Versuch beider Seiten, der Aufständischen wie der Nato-geführten Afghanistan-Truppe Isaf, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Und dabei geht es gleichermaßen um die Bevölkerung in Afghanistan wie um die Menschen in den Staaten, die Soldaten für Isaf stellen.

Hilfe vom großen Verbündeten: Mit eigenen Minenräumern unterstützen US-Truppen die Bundeswehr im Norden Afghanistans. (Foto: ddp)

Die Aufständischen in Afghanistan, die so einfach wie falsch gerne alle mit dem Etikett Taliban versehen werden, erzielen vor allem dann Propaganda-Erfolge, wenn sie der Isaf mit spektakulären Aktionen wieder einmal schwere Verluste zufügen. Als besonders wirksames Mittel haben sich dabei Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen, sogenannten Improvised Explosive Devices (IED), erwiesen, die in den vergangenen drei Wochen vier Bundeswehr-Soldaten das Leben gekostet haben.

Schon seit geraumer Zeit registrieren Isaf-Oberkommando und Bundeswehrführung, dass die Aufständischen ihre Strategie geändert haben. Statt die ausländischen Soldaten in offene Gefechte zu verwickeln, legen sie vermehrt Sprengfallen. Die Zahl der IED-Anschläge im Norden hat im ersten Halbjahr 2011 um 45 Prozent zugenommen. Hinzukommen verstärkt Attacken durch Selbstmordattentäter. Auch die Fälle, in denen tatsächliche oder als solche getarnte Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte hinterrücks ihre westlichen Kameraden angreifen, werden mehr.

Das hat zwei Ursachen. Die eine ist der seit dem vorigen Jahr massiv angewachsene militärische Druck der Isaf auf die Aufständischen. Nahezu pausenlos sind im Norden, wo ein Bundeswehr-General nicht nur fast 5000 deutsche, sondern auch mindestens ebenso viele amerikanische Soldaten befehligt, Isaf-Verbände im Einsatz. Gemeinsam mit der afghanischen Armee setzen sie die im vorigen Jahr entwickelte Strategie des sogenannten Partnerings um, mit der Gebiete nicht nur von Aufständischen befreit, sondern auch dauerhaft gehalten werden sollen.

Hinzukommen fast jede Nacht Kommando-Operationen von Spezialkräften gegen mutmaßliche Taliban-Führer. Meist sind es Amerikaner oder Briten, die diese capture-or-kill-Operationen (gefangennehmen oder töten) ausführen. In den ersten vier Monaten dieses Jahres gab es laut einer Isaf-Statistik in ganz Afghanistan mehr als 1400 solcher Spezialeinsätze, bei denen fast 1000 mutmaßliche Aufständische, sowohl Führer als auch Mitläufer, getötet und mehr als 2000 gefangen genommen wurden. Neben der physischen Schwächung des Gegners haben diese Aktionen das Ziel, der Bevölkerung zu zeigen, dass sich Kooperation mit den Taliban nicht auszahlt.

Umgekehrt wollen die Aufständischen mit ihren Anschlägen nicht nur westliche Soldaten töten, sondern auch die einheimische Bevölkerung verunsichern. Seht her, Isaf kann euch nicht schützen, lautet ihre Botschaft. Dass dabei, so jedenfalls die Lesart von Isaf, 85 Prozent der zivilen Opfer auf das Konto der Taliban-Anschläge gehen, dringt offenbar nicht ins Bewusstsein der Bevölkerung. Hier müsse man durch konsequente Informationsarbeit gegensteuern, hat der Isaf-Befehlshaber, der US-General David Petraeus, jüngst verfügt.

Überzeugungsarbeit muss speziell die Bundeswehrführung aber auch bei den eigenen Soldaten leisten. Sie sind verunsichert durch die Angriffe aus den Reihen der afghanischen Sicherheitskräfte, durch Gerüchte über die zunehmende Unterwanderung von Armee, Polizei und Geheimdienst durch Sympathisanten der Aufständischen und auch durch Berichte der Bild-Zeitung. Diese schrieb etwa am Donnerstag, dass die deutschen Soldaten, die am 2. Juni mit ihrem Schützenpanzer Marder auf ein IED fuhren, durch falsche Informationen der afghanischen Polizei in eine Falle gelockt worden seien. Dabei starb ein Soldat, fünf wurden schwer verwundet. "Das deckt sich nicht mit unserm Lagebild", sagte am Donnerstag ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin.

Generalmajor Hans-Werner Fritz, bis zum Februar dieses Jahres Kommandeur in Nord-Afghanistan, versichert, zum Partnering gebe es keine Alternative. Das sähen auch die Soldaten so. Mitunter scheint es, als hätten auch Führer und Geführte in Afghanistan sehr unterschiedliche Wahrnehmungen.

© SZ vom 17.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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