Süddeutsche Zeitung

Bundeswehreinsatz im Inneren:Technokraten der Gewalt

Die Idee ist nicht totzukriegen, doch 300 Jahre Militärgeschichte zeigen: Werden Soldaten im Inneren eingesetzt, endet dies in Unterdrückung und Mord.

Martin Kutz

Die Idee ist nicht totzukriegen. Oft schon haben CDU und CSU sie vertreten, immer wieder sind die Gegenargumente genannt worden, nun aber kommt der Bundesverteidigungsminister erneut damit. Franz Josef Jung verlangt, das Grundgesetz zu ändern, um der Bundeswehr auch den Einsatz im Inneren zu ermöglichen - damit die Bundeswehr immer dann eingreifen könne, "wenn die Polizei nicht handeln kann, da sie beispielsweise gar nicht am Ort des Geschehens ist". Vielleicht hilft ihm ein Blick in die Geschichte. Dieser zeigt grundsätzliche Funktionsbedingungen von Militär sowie die prinzipiellen Probleme militärischen Handelns.

Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges fehlte in Zentraleuropa die staatliche Autorität, partikulare Gewalten dominieren, es gab "Privatarmeen", unstrukturierte Gewalthaufen sowie religiös begründeten Krieg. Raub, Mord, exzessive und kriminelle Gewalt gegen unbeteiligte Zivilisten und Zerstörungen waren alltäglich. Gewalt war unberechenbar, unspezifisch, politisch kontraproduktiv und irrational - garantierte aber den Gewalttätern das Überleben, in vielen Fällen sogar Macht und Reichtum.

Im 17. Jahrhundert begannen die großen Territorialherren in Europa dies zu bekämpfen. Gegen die privatisierte Gewalt kamen sie nur mit selbstorganisierter Gewalt an. Dazu brauchten sie eine Organisation, die sich vollständig ihren Bedingungen unterwarf. So entstand aus den privat organisierten Gewalthaufen: Staatenmilitär. Das stehende Heer war die Lösung des Problems. Erstens konnte dadurch vom Monarchen kontrollierte und kontrolliert einsetzbare Gewalt organisiert werden. Zweitens konnte durch die Dauerpräsenz funktionstüchtiger Truppen die Gewalt anderer unterdrückt werden. Private Gewalt wurde als kriminell deklariert, staatliche Gewalt hingegen rechtlich legitimiert.

Am Ende dieser einige Jahrzehnte dauernden, schwierigen Entwicklung stand das neuzeitliche Militär. Es war einheitlich organisiert und bekleidet, mit einheitlichen Waffen ausgerüstet, nach einheitlichen Maßstäben trainiert und im Einsatz so auch geführt. Dieses Militär setzte Gehorsam und Disziplin durch, was in jungen Gesellschaften stets extrem schwierig ist.

Damals wie übrigens auch heute in den neuen Einsatzgebieten der Bundeswehr hatten und haben wir es mit einem Durchschnittsalter von rund 25 Jahren zu tun. Kinder und Jugendliche dominieren. Aus der Jugendpsychologie ist bekannt, dass es Anfälligkeit für radikale Ideologien, religiöse Weltsichten, Gewalt- und Allmachtsphantasien besonders bei Menschen in der Altersgruppe von 14 bis 24 Jahren gibt. Und sie stellt die wichtigste Rekrutierungsgruppe für die Warlords und Terror-Organisationen von heute und die Kriegsunternehmer von damals dar.

Nur mit brutalen Strafsystemen und der Offiziersausbildung in den Kadettenanstalten mit ihren menschenverachtenden Erziehungsmethoden war es zwischen 1650 bis 1750 möglich, Gehorsam, Disziplin und Unterwerfung unter das Militärsystem zu erzwingen. Voraussetzung dafür war, dass es den Fürsten gelang, die Kirche dazu zu bringen, diese neue, streng militärische Ordnung religiös zu legitimieren. Militär wurde dadurch auch ein Instrument, die "gottgewollte" politische und gesellschaftliche Ordnung zu stützen.

Seine wichtigste Funktion war und blieb, Gewalt einzuhegen. Der Militärstaat Preußen hat von seiner Gründung 1701 bis zum ersten Revolutionskrieg 1793 nur ganze zwölf Jahre Krieg geführt. Hauptfunktion der Armee war, abzuschrecken. Auch in den zurückliegenden 60 Jahren haben die Industriestaaten - so stark bewaffnet, dass sie zur Auslöschung allen Lebens befähigt sind - untereinander keine Kriege geführt. Wesentliche Voraussetzung dazu war und ist, dass Militär sich auf den Krieg nach außen spezialisiert hat, gegen Militär anderer Staaten und dass es nach seinen dafür entwickelten Prinzipien handelt.

Ein Ergebnis der Revolutionen zwischen 1789 und 1848 sowie der industriellen Revolution bestand darin, dass die alten Eliten das Militär als Schutzschild ihrer Interessen benutzten. Die Folge: Bürgerkrieg und Bürgerkriegsmentalität. Dies wiederum löste den Kampf liberaler Kräfte für eine Demokratisierung des Militärs aus, mit dem Ziel, seinen Einsatz im Inneren unmöglich zu machen.

Gelungen ist das in Deutschland vor 1945 nicht, und in der DDR haben die Nationale Volksarmee sowie die Betriebskampftruppen diese unselige Tradition bis 1989 fortgeführt. Für die demokratische Entwicklung Deutschlands und für die Modernisierung der deutschen Politik- und Gesellschaftsordnung haben weder Bürgerkrieg noch Bürgerkriegsdrohung auch nur die geringste positive Wirkung gehabt. In seiner nationalsozialistisch-rassistischen Ausweitung führte diese Mentalität in die totale Katastrophe.

Es gibt in der deutschen Geschichte keine einzige positive Erfahrung aus dem bewaffneten Einsatz von Militär im Inneren. Immer endete es in politischer Unterdrückung oder im Morden, selbst als Sozialdemokraten zu Beginn der Weimarer Republik die Freikorps zur Niederschlagung der revolutionären Bewegung einsetzten. Das oft zu hörende Argument, im Gegensatz zu früher trügen nun Demokraten die Verantwortung für den Einsatz im Inneren, ist also historisch schon durch die Rolle von Friedrich Ebert und Gustav Noske widerlegt.

Es trägt aber noch aus einem anderen, einem strukturellen Grund nicht: Wie kam es denn, dass das Militär im 18. Jahrhundert nur zur Eindämmung von Gewalt da war, im 19. und 20. Jahrhundert aber zum Bürgerkrieg und zur Führung des totalen Krieges benutzt wurde? Der Grund dafür ist ein wenig beachtetes Phänomen: die gewalttechnokratische Grundorientierung militärischer Praxis. Seit man gelernt hat, dass militärische Gewalt zu beliebigen Zwecken völlig rational (im Sinne von: frei von Emotionen) eingesetzt werden kann, gibt es ein technokratisches Denk- und Verhaltensmuster, in dem der Einsatz von Gewalt nur noch eine Frage militärischer Zweckmäßigkeit ist. Darin eingebaut ist die Grundtendenz zur Eskalation, zur Entgrenzung von Gewalt, wenn im ersten Anlauf die militärischen Ziele nicht erreicht werden. Das gilt auch für den Einsatz im Inneren. Politische, vielleicht sogar moralisch ehrenwerte Absichten gehen da leicht verloren. Glaubt der verantwortliche Minister wirklich, diese Tendenz im Extremfall beherrschen zu können? Es wäre Illusion.

Martin Kutz war bis 2004 Wissenschaftlicher Direktor an der Führungsakademie der Bundeswehr. Sein Buch "Deutsche Soldaten" (2006) ist die erste große Kulturgeschichte des deutschen Militärs.

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SZ vom 13.08.2009/dmo
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