Süddeutsche Zeitung

Kampf gegen den IS:Das syrische Abenteuer der Bundeswehr

Aus Solidarität mit Frankreich zieht Deutschland in den Kampf gegen den IS. Die Risiken sind unkalkulierbar.

Von Stefan Braun und Daniel Brössler, Berlin/Brüssel

Der Krieg im Nahen Osten hat endgültig auch Deutschland erreicht. Mit der Entscheidung der Bundesregierung, sich am Luftkrieg gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) zu beteiligen, wird die Bundeswehr deutlich mehr als bisher Teil des gefährlichen Konflikts. Zahlreiche offene Fragen machen den Einsatz zum riskanten Unterfangen. Wie lautet das genaue Kriegsziel? Trägt die rechtliche Grundlage? Wer zählt zu den Waffenbrüdern, und wer hat das Kommando? Außerdem natürlich: Auf welche Dauer muss sich die Bundeswehr einstellen?

Bei vielen Abgeordneten im Bundestag werden in diesen Tagen böse Erinnerungen wach. Ob Unionspolitiker oder Parlamentarier von SPD, Grünen und Linken - viele fürchten eine Wiederholung des Irakkriegs der USA vor gut zehn Jahren. Dort stand am Ende kein wirklicher Frieden, sondern Chaos. Damals wurde ein großes Land zerbombt, eine staatliche Struktur komplett zerstört, ohne dass die Krieg führenden Nationen, allen voran die USA, einen Plan gehabt hätten, wie sie das Land nach dem Krieg stabilisieren und aufbauen würden. Deshalb gilt der Waffengang unter dem früheren US-Präsidenten George W. Bush im deutschen Parlament als Warnung, was auf keinen Fall noch einmal passieren darf.

Die Verletzung Frankreichs zwingt die Deutschen zu einem Bekenntnis

Und doch ist nun eingetreten, was vor wenigen Wochen für die Bundesregierung, die Parteien und die deutsche Bevölkerung undenkbar gewesen wäre. Der 13. November, der Terror von Paris, hat für Frankreich die Welt erheblich verändert. Und die Not und Verletzung des engsten europäischen Partners zwingt auch die Deutschen zu einem Bekenntnis.

Bislang konnte man sich auf die durchaus sinnvolle und bisher erfolgreiche Unterstützung der Kurden im Nordirak beschränken. Nach der Bitte Frankreichs ist das allerdings nicht mehr genug. Staatspräsident François Hollande forderte substanzielle Waffenhilfe. Hätte die Bundeskanzlerin sich verweigert, hätte das unabsehbare Konsequenzen gehabt - auch für die Europäische Union. Unfähig, den Flüchtlingsansturm gemeinsam zu meistern, leidet die EU unter einer massiven Vertrauenskrise. Tiefe französische Enttäuschung über ihre engsten Partner kann sie sich nicht leisten.

Europa soll der Terrormiliz Islamischer Staat einig entgegentreten. Deshalb hat Frankreich erstmals den EU-Bündnisfall nach Artikel 42.7 des Lissabon-Vertrages aktiviert. Doch wann kann eine Terrormiliz als besiegt gelten? Das Ziel ist vermutlich bescheidener. Mithilfe von Luftangriffen einerseits und den Wiener Verhandlungen andererseits soll wenigstens das Chaos in Syrien beendet werden.

Wie die Strategie im Detail aussehen könnte, hat Präsident Hollande bisher aber nicht erkennen lassen. Er sprach diese Woche nicht nur mit Angela Merkel, Großbritanniens Regierungschef David Cameron und Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi; er flog rund um die Welt, um auch Amerikaner und Russen für einen gemeinsamen Kampf zu gewinnen. Und nur einen Tag nach der Entscheidung von Berlin redete Frankreichs Außenminister Laurent Fabius am Freitag erstmals davon, man könne mangels anderer Bodentruppen für eine Weile auch an der Seite syrischer Regierungstruppen kämpfen. Plötzlich sieht es so aus, als stehe Deutschland Seite an Seite mit Russland und dem syrischen Diktator Baschar al-Assad.

Nach wie vor gilt: Die Koalition gegen den IS wird von den USA geführt

Nun besteht Paris immer noch auf dessen Rücktritt, stellt sich aber dessen Truppen als mögliche Verbündete in einem Bodenkrieg vor. Offenbar sieht Frankreich keine anderen Möglichkeiten. Wirklich ausgereift wirken diese Überlegungen nicht. Das zeigt, wie groß die Unwägbarkeiten für die Verbündeten bleiben.

Wohl auch deshalb treten hochrangige deutsche Offiziere dem Eindruck entgegen, die Bundeswehr stelle sich in den Dienst einer von Frankreich geführten Mission. Das stimmt noch am ehesten für die Fregatte, die im Mittelmeer den Flugzeugträger Charles de Gaulle schützen soll. Ansonsten gilt: Die Koalition gegen den IS wird von den USA geführt - von Kuwait und Tampa in Florida aus. Dieser Koalition werden die deutschen Aufklärungstornados mit Informationen helfen - eine wichtige Unterstützung für alle Verbündeten. Allerdings: In Deutschland sind der Beteiligung an Auslandseinsätzen klare Grenzen gesetzt, sie ist nur in einem System kollektiver Verteidigung erlaubt.

Die Bundesregierung beruft sich auf das Selbstverteidigungsrecht Frankreichs nach Kapitel VII der UN-Charta und erinnert an die UN-Sicherheitsratsresolution 2249 vom 20. November, in der alle Mitgliedstaaten zum Kampf gegen den IS aufgerufen werden. Nur enthält diese Resolution eben gerade keinen Verweis auf Kapitel VII. Bleibt noch der EU-Beistandsartikel 42.7. Ob das reicht, werden eines Tages wohl die Karlsruher Richter entscheiden.

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SZ vom 28.11.2015/pamu
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