Bundeswehreinsätze:Köhler: Krieg für freien Handel

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Imperialistische Töne von Horst Köhler? Der Bundespräsident schwadroniert über Auslandsmissionen deutscher Soldaten - und bricht ein Tabu. Die Aufregung ist groß, doch das Staatsoberhaupt sieht sich nur falsch verstanden.

Wolfgang Jaschensky

Horst Köhler wollte wohl ein Signal an die Soldaten senden: Ich stehe hinter euch, Deutschland steht hinter euch. Deshalb besuchte das deutsche Staatsoberhaupt vergangene Woche die deutschen Truppen in Afghanistan. Der Bundespräsident flog allerdings nur nach Masar-i-Sharif und ließ sich in Kabul nicht blicken.

Köhler, der Imperialist? Ein Interview des Bundespräsidenten irritiert nicht nur die Opposition. (Foto: ddp)

Die afghanische Regierung war - vorsichtig formuliert - irritiert. Köhlers Fernbleiben war ein diplomatischer Affront. Die Visite sei vergleichbar mit einem Besuch Obamas in einer US-Kaserne in Deutschland, ohne Kanzlerin Angela Merkel zu treffen, hieß es in Kabul.

Und auch in Masar-i-Sharif hinterließ Köhler einen eher schlechten Eindruck. Im Gespräch mit den Soldaten zog er indirekt deren Siegeszuversicht in Zweifel.

Doch diese Irritation und der diplomatische Fauxpax dürften den Bundespräsidenten wohl weniger verfolgen als ein Interview, dass er am Rande des Truppenbesuches einem Reporter des Deutschlandradios gegeben hat.

Köhler spricht in dem Interview über die Motive für seine Reise (er wolle genauer wissen, was die deutschen Soldaten bewegt) und über den Respekt, den die Truppen in Afghanistan verdient hätten. Dann will der Reporter wissen, ob der Einsatz ein neues Mandat brauche - und ob ein neuer politischer Diskurs notwendig sei.

Köhler verneint die Notwendigkeit eines Diskurses - und legt dann genau dafür die Grundlage.

Der Bundespräsident im O-Ton: "Meine Einschätzung ist aber, dass wir insgesamt auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen - negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen."

Der Satz lässt eigentlich keine Zweifel am Inhalt zu. Das, was Köhler hier als deutsches Staatsoberhaupt formuliert, ist einen gewaltiger Tabubruch: Krieg oder zumindest militärische Gewalt zur Durchsetzung von wirtschaftliche Interessen! Wollte Köhler das wirklich sagen? Schwingt sich der bislang eher harmlose Horst zum Imperialisten auf wie weiland Wilhelm II., der für das Reich Kolonien, kurz: einen "Platz an der Sonne" beanspruchte? Macht der Präsident also auf Kaiser Horst I.?

In der bisherigen Debatte ging vielen der Einsatz am Hindukusch schon zu weit, obwohl er mit der Verteidigung der deutschen Sicherheit gerechtfertigt worden ist.

Entsprechend entsetzt ist die Opposition von den Äußerungen des Bundespräsidenten. "Köhler schadet der Akzeptanz der Auslandseinsätze der Bundeswehr", sagte Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag zu Spiegel Online. Deutschland führe in Afghanistan keinen Krieg um Wirtschaftsinteressen, es gehe dort um die Sicherheit Deutschlands. Wer anderes behaupte oder fordere, "redet der Linkspartei das Wort. Wir wollen keine Wirtschaftskriege", so Oppermann.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin äußerte die Hoffnung, Köhler habe sich nur vergaloppiert. Andernfalls stünde der Bundespräsident mit dieser Äußerung nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. "Wir brauchen weder Kanonenbootspolitik noch eine lose rhetorische Deckskanone an der Spitze des Staates", so Trittin.

Grünen-Fraktionsvize Frithjof Schmidt hält die Äußerungen des Bundespräsidenten für "brandgefährlich". "Sie entsprechen weder der Rechtsgrundlage noch der politischen Begründung des Afghanistan-Einsatzes", sagte Schmidt. Die Ausführungen Köhlers offenbarten ein für das Präsidentenamt inakzeptables Verständnis von Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.

"Ein Krieg um Einfluss und Rohstoffe"

Die vor kurzem neu gewählte Chefin der Linkspartei, Gesine Lötzsch, forderte nach Köhlers Worten, den Krieg sofort zu beenden. Köhler habe "die Katze aus dem Sack gelassen" und gesagt, worum es wirklich gehe - nämlich um wirtschaftliche Interessen. Dies untermauere die Forderung ihrer Partei, den "Krieg unverzüglich zu beenden".

Linken-Co-Chef Klaus Ernst sagte, Köhler habe nur ausgesprochen, was nicht zu leugnen sei. "In Afghanistan riskieren Bundeswehr-Soldaten Gesundheit und Leben für die Exportinteressen riesiger Konzerne." Die laute Kritik der SPD solle nur von der Verantwortung der Sozialdemokraten für dieses militärische Abenteuer ablenken. "Das ist kein friedenssichernder Einsatz, sondern ein Krieg um Einfluss und Rohstoffe." Das Grundgesetz erlaube der Bundeswehr aber keine Wirtschaftskriege.

Lötzsch geißelte außerdem Äußerungen Köhlers, man müsse sich an Tote im Krieg gewöhnen. Weder sie persönlich, noch ihre Partei sei bereit das zu akzeptieren.

Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz mühte sich um Schadensbegrenzung und räumte ein, Köhler habe sich wohl "etwas missverständlich" ausgedrückt. Das Interesse Deutschlands an freien Handelswegen stehe in keinem Zusammenhang mit dem Militäreinsatz in Afghanistan, stellte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages im Deutschlandfunk klar. Dort gehe es um die regionale und internationale Sicherheit.

Keine Klarstellung

FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff monierte, Köhler sei absichtlich oder unabsichtlich missverstanden worden. Schon das Weißbuch der Regierung von 2006 beinhalte, dass der Schutz der Transportwege für eine außenhandelsorientierte Nation zwingend notwendig sei. Als Beispiel führte sie die Anti-Piraterie-Mission vor der Küste Somalias.

So will sich nun auch der Bundespräsident verstanden wissen. Die Afghanistan-Mission sei nicht gemeint gewesen, sagte Präsidenten-Sprecher Steffen Schulze. Köhler habe als Beispiele für die Begründung militärischer Einsätze auch die Verhinderung regionaler Instabilität und den Schutz freier Handelswege genannt, sagte der Sprecher.

Ob er wirklich sagen wollte, was er gesagt hat, ist bislang nicht klar.

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