Süddeutsche Zeitung

Chronik:Wo im Ausland die Bundeswehr im Einsatz war und ist

Bereits seit 1960 leistet die Bundeswehr Katastrophenhilfe im Ausland. 1994 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass auch bewaffnete Einsätze legitim sein können. Ein Überblick.

Von Markus C. Schulte von Drach

An humanitären Hilfsaktionen außerhalb Deutschlands beteiligt sich die Bundeswehr schon lange. 1960, fünf Jahre, nachdem Deutschland wieder Streitkräfte aufgestellt hatte, flog die Luftwaffe erstmals Hilfsgüter nach Marokko, wo die Stadt Agadir durch ein Erdbeben zerstört worden war. In den Jahren darauf wurden Bundeswehrsoldaten zur Katastrophenhilfe in Algerien, Italien, Äthiopien, Namibia und in Iran eingesetzt.

1994 entschied das Karlsruher Verfassungsgericht, dass auch bewaffnete Einsätze im Ausland legitim sein können - etwa im Rahmen des Verteidigungsbündnisses Nato.

Derzeit sind Bundeswehrsoldaten an zehn Missionen beteiligt, von denen einige schon vor Jahren begonnen haben.

Eine chronologische Übersicht

1990 - Zweiter Golfkrieg

Eine erste tatsächlich militärische Aufgabe vor dem Hintergrund eines Krieges außerhalb Deutschlands übernahmen Bundeswehrsoldaten im August 1990: Nachdem der Irak unter dem Diktator Saddam Hussein kurz zuvor Kuwait besetzt hatte, erließen die Vereinten Nationen Resolutionen, die sich als Legitimation für ein militärisches Vorgehen gegen den Aggressor interpretieren ließen. Ein Bündnis unter US-Führung befreite Kuwait im sogenannten Zweiten Golfkrieg.

Die Bundesregierung in Bonn schickte zum Zeichen der Solidarität Schiffe zum Aufspüren und Räumen von Minen ins Mittelmeer, um die im Kriegseinsatz befindlichen Verbündeten zu entlasten (Operation Südflanke). Anfang 1991 wurden deutsche Kampfflugzeuge in die Türkei verlegt, um das Nato-Mitglied vor Angriffen aus dem Irak zu schützen. Nach der Befreiung Kuwaits 1991 baten die USA Deutschland um Hilfe beim Räumen von Minen im Persischen Golf. Dieser Einsatz galt als humanitäre Hilfeleistung für Kuwait. Ebenfalls eine Hilfsaktion war die Versorgung kurdischer Flüchtlinge in Anatolien und im Iran durch die Bundeswehr. Von 1991 bis 1996 transportierten Bundeswehrflugzeuge und -hubschrauber UN-Waffeninspektoren im Irak.

1991 bis 1993 - Kambodscha

Nachdem Vietnam die "Roten Khmer" in Kambodscha gestürzt hatte, kam es zum Bürgerkrieg. 1991 wurde ein Friedensvertrag vereinbart, das Land kam übergangsweise unter die Verwaltung der Vereinten Nationen. Die Bundeswehr errichtete in Phnom Penh ein Feldlazarett zur Versorgung von UN-Mitarbeitern und Zivilisten, in dem schließlich etwa 150 deutsche Sanitätssoldaten im Einsatz waren. Damit war erstmals ein größeres deutsches Truppenkontingent im Ausland aktiv.

1992 bis 2012 - ehemaliges Jugoslawien

Das Auseinanderbrechen Jugoslawiens führte zu Kämpfen insbesondere zwischen Serben, Kroaten und muslimischen Bosniern, es kam zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen. Von 1992 an beteiligte sich die Bundeswehr an einer Luftbrücke nach Sarajewo, Schiffe wurden in die Adria gesandt, um als Nato-Mitglied ein von den UN legitimiertes Embargo gegen die ehemaligen jugoslawischen Staaten durchzusetzen. 1995 wurde die Bundeswehr zur Unterstützung der Blauhelme der Unprofor eingesetzt, die seit 1992 Zivilisten in Bosnien-Herzegowina und Kroatien vor serbischen Verbänden beschützen sollten.

Bundeswehrsoldaten waren ab Ende 1995 als Teil der Nato-Friedenstruppe Ifor, dann 1996 als Teil der Nato-Schutztruppe Sfor im Einsatz, die die Unprofor-Mission ablösten. 2004 beendete die Nato ihre Operation, die Verantwortung für die Stabilität in Bosnien übernahm die Europäische Union, die weiterhin auch deutsche Soldaten in Bosnien einsetzen konnte. Im Herbst 2012 verließen die letzten Bundeswehrsoldaten, die noch als Berater der bosnischen Streitkräfte gearbeitet hatten, das Land.

1994 bis 2009 - Georgien

Um eine Sicherheitszone zwischen Georgien und Abchasien zu überwachen begann 1993 die UN-Mission Unomig, an der sich Deutschland seit 1994 mit einigen Militärbeobachtern beteiligte. Das Mandat wurde vom UN-Sicherheitsrat 2009 nicht mehr verlängert.

1993 bis bis 1994 - Somalia

Als es am Horn von Afrika durch den Bürgerkrieg in Somalia zur humanitären Katastrophe kam, schickten die Vereinten Nationen 1992 im Rahmen der Mission Unosom II Blauhelmsoldaten in das Land. 1993 wurden Nachschub- und Transportbataillons der Bundeswehrsoldaten nach Somalia geschickt mit der Aufgabe, andere UN-Truppen logistisch zu unterstützen und humanitäre Hilfe zu leisten. Zwei Transportflugzeuge waren in Kenia stationiert. Im März 1994 verließen die meisten UN-Truppen Somalia, auch die Bundeswehr zog ihre Soldaten ab.

1994 - Ruanda

Nach dem Bürgerkrieg und dem Völkermord an den Tutsi durch die Hutu in Ruanda, der durch eine Tutsi-Armee aus Uganda beendet worden war, flogen Ende des Jahres Bundeswehrtransporter Hilfsgüter zur Versorgung von Flüchtlingen in das Land. Sie waren Teil der UN-Mission Unamir.

Um die jugoslawische Armee zu zwingen, sich aus dem überwiegend von Albanern bewohnten Kosovo zurückzuziehen, wo es zu Menschenrechtsverletzungen gekommen war, flogen Nato-Flugzeuge Angriffe auf Jugoslawien, das zu dieser Zeit nur noch aus Serbien und Montenegro bestand, und dort auch auf Ziele in der Hauptstadt Belgrad. Da es dafür kein UN-Mandat gab und auch kein Nato-Bündnisfall vorlag, ist der Angriff völkerrechtlich umstritten. Die Befürworter, zu denen auch die Bundesregierung gehörte, rechtfertigten ihn als humanitären Kriegseinsatz. Beim ersten "scharfen" Einsatz deutscher Kampfflugzeuge im Ausland zerstörten Tornados mit Raketen etliche Radarstationen der jugoslawischen Armee.

1999 bis heute - Kosovo

Im Sommer 1999, nach den Luftangriffen der Nato auf Jugoslawien, beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, im Kosovo Nato-Soldaten als Sicherheitstruppen einzusetzen. Kfor-Truppen, zu denen auch Bundeswehrsoldaten gehören, halten seitdem Sicherheit und Ordnung im Kosovo aufrecht. Die Zahl der deutschen Soldaten beträgt inzwischen weniger als 100.

2001 bis 2003 - Mazedonien

Nachdem die Vereinten Nationen die rechtlichen Grundlagen geschaffen hatten, begann die Nato in Mazedonien damit, die von albanischen Gruppen freiwillig abgegebenen Waffen einzusammeln und zu zerstören. Die Nato-Truppen, zu denen Bundeswehrsoldaten gehörten, hatten außerdem den Auftrag, EU- und OSZE-Beobachter zu schützen.

2001 bis heute - Anti-Terror-Mission im Mittelmeer

Nach den Anschlägen vom 11. September beschloss die Nato, durch verstärkte Präsenz im Mittelmeer terroristische Aktivitäten gegen den Seeverkehr zu verhindern und aufzuklären. An der Operation Active Endeavour waren auch deutsche Fregatten, Schnellboote und U-Boote beteiligt. 2016 wurde die Operation durch die Mission Sea Guardian abgelöst, an der ebenfalls die deutsche Marine beteiligt ist.

Der Terrorangriff auf die USA am 11. September 2001 wurde in der Nato als Bündnisfall betrachtet, es begann die Operation Enduring Freedom unter US-Führung mit dem Ziel, Terrorismus weltweit zu bekämpfen - zum Beispiel auch durch Angriffe auf Ausbildungseinrichtungen von Terroristen. Mehrere Tausend Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten waren beteiligt. Die Deutschen unterstützten andere Staaten logistisch, am Horn von Afrika waren verschiedene Schiffe und Boote der Marine im Einsatz. Insbesondere amerikanische und britische Streitkräfte wurden in Afghanistan eingesetzt, wo die Taliban-Regierung gestürzt wurde.

2002 bis heute - Afghanistan

Nach dem Sturz der Taliban in Afghanistan begann mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrates der Einsatz internationaler Truppen, um mit Gewalt den Frieden im Land durchzusetzen und zu sichern. An der Mission Isaf unter Führung der Nato waren auch mehrere Tausend deutsche Soldaten beteiligt. 2013 wurde die Verantwortung für die Sicherheit im Land an die afghanische Regierung zurückgegeben, 2014 wurde der Isaf-Einsatz beendet. Bis heute beteiligen sich deutsche Soldaten an der Mission zur Ausbildung der afghanischen Armee, Resolute Support. Das Mandat gilt für bis zu 1300 Soldaten. In Afghanistan sind insgesamt 58 Soldaten der Bundeswehr gestorben, davon 35 im Kampf.

2003 - Kongo

Als es 2003 zu Unruhen in der Demokratischen Republik Kongo kam, unterstützte die Bundeswehr UN-Truppen dort durch Lufttransporte von Uganda aus.

2003 - Mazedonien

Um EU- und OSZE-Beobachter in Mazedonien zu schützen, schickte die Nato einige Hundert Soldaten in das Land - darunter auch Bundeswehrsoldaten.

2004 bis heute - Sudan/Südsudan

Die Afrikanische Union richtete 2004 eine Mission ein, die die Einhaltung einer Waffenstillstandsvereinbarung zwischen der Regierung des Sudan und Rebellen in Darfur überwachen sollte. Die Bundeswehr unterstützte die Mission der afrikanischen Friedenstruppen gemeinsam mit anderen Nato-Staaten logistisch. Seit 2007 beteiligt sich die Bundeswehr insbesondere mit Militärbeobachtern an der UN-Mission Unamid, die den Waffenstillstand überwacht. Im Südsudan ist die Bundeswehr seit 2011 beteiligt an der UN-Mission Unmiss, die die Zivilbevölkerung schützen und die Menschenrechtssituation überwachen soll.

2006 - Kongo

Um zu verhindern, dass es bei den Parlamentswahlen im Kongo Kämpfe zwischen verfeindeten Parteien gab, entsandten Deutschland und andere Staaten Soldaten im Rahmen eines UN-Mandats dorthin.

2006 bis 2009 - Kambodscha

Spezialisten der Bundeswehr halfen in Kambodscha in diesen Jahren dabei, Minen zu räumen.

2006 bis heute - Libanon

Deutsche Schiffe unterstützen seit 2006 die Truppen der UN-Mission Unifil im Libanon, indem sie Teile der Seeraumüberwachung vor der Küste übernehmen. Ihre Aufgabe ist insbesondere, den Waffenschmuggel zu unterbinden. Darüber hinaus beteiligen sich Bundeswehrsoldaten an der Ausbildung der libanesischen Marine.

2008 bis heute - Horn von Afrika

Zum Schutz der Nachbarstaaten Somalias vor Piraten hat die Bundeswehr im Rahmen der EU-Mission Atalanta Soldaten in der Region im Einsatz, etwa in Dschibuti, die logistische Unterstützung leisten und mit einem Aufklärungsflugzeug Piraten aufspüren.

2011 - Libyen

Als es während des Arabischen Frühlings auch in Libyen zu Aufständen kam, beteiligte sich die Bundeswehr an der Evakuierung von Zivilisten.

2013 bis heute - Westsahara

Im Rahmen der UN-Mission Minurso beteiligen sich einige Bundeswehrsoldaten an der Überwachung des Waffenstillstands zwischen Marokko und den Rebellen von "Frente Polisario". Ziel der Mission ist ein Referendum über den Status der Westsahara, die zu 80 Prozent von Marokko kontrolliert wird.

2014 bis 2015 - Chemiewaffenvernichtung Mittelmeer

Nachdem die syrische Armee im Bürgerkrieg Chemiewaffen eingesetzt hatte, wurde der Druck auf Diktator Baschar al-Assad so groß, dass er sich bereit erklärte, diese Chemiewaffen vollständig vernichten zu lassen. Das dafür eingesetzte US-Spezialschiff Cape Ray wurde durch eine Fregatte der deutschen Marine beschützt.

2012 bis 2016 - Türkei

Nachdem es während des syrischen Bürgerkriegs auch zu Kämpfen im Nachbarland Türkei gekommen war, bat das Nato-Mitglied um Unterstützung. Die Bundeswehr stationierte zwei Flugabwehrsysteme vom Typ Patriot und die Mannschaften zu ihrer Bedienung in der Türkei. Das Mandat des Bundestags dafür endete Anfang 2016.

2012 vertrieben französische Soldaten die islamischen Fundamentalisten und Terroristen, die Teile Malis unter Kontrolle gebracht hatten. 2013 beschloss der UN-Sicherheitsrat einen Blauhelmeinsatz im Rahmen der Mission Minusma. Deutschland beteiligte sich anfänglich nur mit Transportflugzeugen der Bundeswehr, und einem kleinen Kontingent von Soldaten. 2016 wurden mehrere Hundert Soldaten als Bodentruppen nach Mali gesandt, die vor allem Aufklärung betreiben, aber auch Kampfhubschrauber der Bundeswehr waren im Einsatz. Im Rahmen der europäischen Trainingsmission EUTM bilden Bundeswehrsoldaten außerdem die malische Armee aus.

2014 bis 2015 - Zentralafrikanische Republik

Nach einem Putsch in der Zentralafrikanische Republik 2013 kam es zu Kämpfen zwischen Christen und Muslimen. Der UN-Sicherheitsrat autorisierte eine Operation der EU, die 2014 etwa 1000 Soldaten in das Land schickten - darunter auch einige Bundeswehrsoldaten.

2015 bis 2016 - Liberia

Nach dem Ende des Bürgerkriegs in Liberia wird die UN-Friedensmission Unmil ins Leben gerufen, an der sich 2015 und 2016 auch Bundeswehrsoldaten beteiligten.

2015 bis heute - Syrien und Irak

Seit den Terroranschlägen in Paris 2015 unterstützt die Bundeswehr den Kampf der internationalen Koalition gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS). So sind deutsche Aufklärungsflugzeuge vom Typ Tornado im Einsatz. Außerdem arbeiten deutsche Soldaten als Ausbilder der irakischen Streitkräfte.

2016 bis heute - Ägäis

Die Bundeswehr beteiligt sich mit Schiffen an den Nato-Missionen zur Unterstützung der griechischen und türkischen Küstenwachen sowie der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Es geht darum, Schiffe und Boote mit Flüchtlingen aufzuspüren.

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