In seinem Abwehrkampf gegen eine Wehr- oder Dienstpflicht wählt Philipp Türmer ein martialisches Bild. Es könne doch jetzt nicht darum gehen, möglichst viele Leute in Deutschland für den Schützengraben zu rekrutieren; der Bundeswehr sei mit 18-Jährigen, die kaum ein Sturmgewehr bedienen können, nicht geholfen. „Wir werden das nicht über die Mann-Stärke gewinnen können“, sagt der Juso-Chef. Stattdessen brauche es „hoch spezialisierte Kräfte für die Bundeswehr“.
Nun ist Türmer in etwa so lange SPD-Mitglied (seit 2012) wie die Wehrpflicht ausgesetzt ist. Er hat auch die prägenden Erfahrungen eines Wehr- oder Zivildienstes nicht gemacht. Allerdings sagen sie auch bei der Bundeswehr inzwischen, man brauche beides.
Wegen der Komplexität neuer Waffensysteme, der Entwicklung bei Drohnen und der zunehmend satellitengestützten Kampfführung und Logistik würden einerseits bestens ausgebildete Soldaten gesucht. Aber im Kalten Krieg gehörte neben den technischen Fähigkeiten zur Abschreckung gegen die Sowjetunion eben anderseits auch die personelle Stärke. Dank der Wehrpflicht gab es früher eine große Reserve, zudem verpflichteten sich viele anschließend als Berufssoldaten.
Die Truppe ist inzwischen auf 181 000 Soldaten geschrumpft
Während Russlands Präsident Wladimir Putin eine Aufstockung auf 1,5 Millionen aktive Soldaten angeordnet hat, schrumpft die Truppe in Deutschland, einem der wichtigsten Nato-Staaten, derzeit eher. Aktuell gibt es 181 000 Soldaten und 34 000 aktive Reservisten. Bei jungen Soldaten, die einen Dienst beginnen, liegt zudem die Abbrecherquote bei 27 Prozent.
Doch Türmer macht für den SPD-Nachwuchs deutlich, dass er eine neue Art der Pflicht in den Koalitionsverhandlungen mit der Union nicht akzeptieren werde. Als kleinster gemeinsamer Nenner liegt der vom Kabinett, aber nicht mehr vom alten Bundestag beschlossene Vorschlag von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) für ein weitgehend freiwilliges Wehrdienstmodell vor. Schon er hätte gern mehr Pflicht dabeigehabt, wurde aber auch von der SPD ausgebremst.
Verpflichtend ist in diesem Modell nur, dass alle, die 18 Jahre alt werden, einen Fragebogen ausfüllen, unter anderem zum Fitnesszustand, und ankreuzen, ob sie einen freiwilligen Wehrdienst leisten wollen. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst André Wüstner, hält das für zu wenig. „Klar ist, dass weder die notwendige Aufwuchsfähigkeit noch die Bildung einer leistungsfähigen Reserve ohne eine neue Art der Wehrpflicht, vergleichbar mit dem schwedischen Modell, zu erreichen ist“, sagt er. Bei dem neuen Nato-Mitglied gibt es neben einer Musterung auch die Möglichkeit, geeignete Kandidaten für einen Wehrdienst zu verpflichten, wenn es zu wenig Freiwillige gibt.
Mehrere Hunderttausend Wehrpflichtige könnte die Bundeswehr nicht aufnehmen
Die Gesellschaft müsse wieder verstehen, dass eine Wehrpflicht nicht zum Krieg führe, sondern der Abschreckung diene und damit dem eigenen Leben in Frieden und Freiheit, sagt Wüstner. Gesucht wird nun ein adäquates Modell, denn eine komplette Wiedereinsetzung der Wehrpflicht mit mehreren Hunderttausend Wehrpflichtigen, wie sie die Union fordert, ist für die Bundeswehr gar nicht zu stemmen.
Eine neue Idee kommt von den Grünen. Bayerns Fraktionschefin Katharina Schulze und ihr Kollege Florian Siekmann schlagen einen verpflichtenden „Freiheitsdienst“ vor, der nicht wie eine Dienstpflicht nur für 18-Jährige greifen soll. Ihnen schwebt vor, dass alle Frauen und Männer irgendwann zwischen 18 und 67 Jahren sechs Monate Dienst leisten – entweder bei der Bundeswehr oder auch im Bevölkerungsschutz, bei Feuerwehr oder Hilfsorganisationen.
Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) unterstützt das. Zugleich hätte sie gern mehr Frauen im Dienst, gerade bei der Bundeswehr. Es sei nicht mehr zeitgemäß, dass nur Männer adressiert werden. „Ich finde, man muss alle Geschlechter gleichermaßen ansprechen“, sagte Högl im Deutschlandfunk. Aber wegen der dafür notwendigen Grundgesetzänderung sei das bei den Mehrheiten im neuen Deutschen Bundestag nur schwer zu realisieren.