Bundeswehr :Welche Krieger braucht das Land?

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Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, hat den Vorschlag am Mittwoch abgeräumt. (Foto: Friedrich Bungert)

Die Bundeswehr soll „kriegstüchtig“ werden, das beeinflusst auch ihr Selbstverständnis. Deshalb sollten frühere Wehrmachtsoffiziere zu Vorbildern erklärt werden. Nun wurde der Vorschlag wieder gekippt – ein Militärhistoriker findet das falsch.

Von Georg Ismar, Berlin

Da ist zum Beispiel Brigadegeneral Friedrich Beermann. Er war Front- und Lehroffizier im Zweiten Weltkrieg und prägte später in der Bundesrepublik den Begriff vom „Staatsbürger in Uniform“. Er saß als erster General für die SPD von 1969 bis 1975 im Bundestag. Beermann gehört zu 24 Offizieren mit Wehrmachtvergangenheit, die nun wegen besonderer Verdienste beim Aufbau der Bundeswehr zu militärischen Vorbildern erklärt werden sollten – bis es hierzu, von ganz oben angeordnet, nun einen veritablen Rückzieher gab.

Es geht dabei um ergänzende Informationen zum Traditionserlass der Bundeswehr von 2018. Dieser besagt in Punkt 3.4.1, dass die Aufnahme einzelner Angehöriger der Wehrmacht in das Traditionsgut der Bundeswehr grundsätzlich möglich sei. Voraussetzung dafür seien immer eine Einzelfallbetrachtung sowie ein sorgfältiges Abwägen. „Dieses Abwägen muss die Frage persönlicher Schuld berücksichtigen und eine Leistung zur Bedingung machen, die vorbildlich oder sinnstiftend in die Gegenwart wirkt, etwa die Beteiligung am militärischen Widerstand gegen das NS-Regime oder besondere Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr.“

Es wird versucht, Verteidigungsminister Pistorius aus der Sache herauszuhalten

Generalleutnant Kai Rohrschneider hat sich wie kaum jemand sonst mit der Gründergeneration der Bundeswehr befasst. Er ist im Verteidigungsministerium Abteilungsleiter Einsatzbereitschaft und Unterstützung Streitkräfte. Am 12. Juli gab er eine „Weisung zur Herausgabe der ergänzenden Hinweise zu den Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege der Bundeswehr“. In diesen ergänzenden Hinweisen sind auch konkret jene 24 Offiziere aufgeführt, die fortan als Beispiel für militärische Exzellenz dienen sollen, da in der Zeitenwende nach dem russischen Krieg gegen die Ukraine die Bedeutung von Kriegstüchtigkeit gestiegen sei.

Doch am Mittwoch dieser Woche wurde das von Generalinspekteur Carsten Breuer wieder kassiert. „Die ergänzenden Hinweise haben Zweifel an der Wertebindung des Traditionsverständnisses der Bundeswehr aufkommen lassen“, heißt es in dem Schreiben, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Er setze sie „mit sofortiger Wirkung außer Kraft“. Breuer, ohnehin von vielen in der Bundeswehr kritisch gesehen, hatte jedoch zuvor selbst die ergänzenden Hinweise „vor Veröffentlichung zur Kenntnis genommen“, wie das Ministerium auf SZ-Nachfrage nun einräumen muss. Zugleich wird versucht, Minister Boris Pistorius (SPD) aus der Sache herauszuhalten: „Eine Befassung der politischen Leitung erfolgte dem gegenüber nicht.“

„Mehr Wehrmacht wagen“, titelte die „taz“

Ein hochrangiger Bundeswehrvertreter glaubt, dass man kalte Füße bekommen habe. So gab es nach Rohrschneiders Rundschreiben einen kritischen Text in der linken taz mit der Überschrift „Mehr Wehrmacht wagen“. Und die russische Botschaft schrieb bei X, dass „frühere Nazis wieder als ‚Helden‘ in Deutschland gefeiert werden“. Namentlich wird kritisiert, dass zu den Personen Brigadegeneral Heinz Karst, der an der Ostfront kämpfte, Oberst Erich Hartmann, „der mehrere Dutzend sowjetische Flieger abschoss“, und „Konteradmiral Erich Topp, NSDAP-Mitglied und SS-Mann“, gehörten.

Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums betont dazu: Die Rücknahme sei aufgrund einer Betrachtung verschiedener Faktoren erfolgt. „Einzelne Anlässe sind hier nicht zu gewichten.“ Interessant ist übrigens, dass bisher eine strikte Linie zu NVA-Soldaten gezogen wird, da diese eine sozialistische Diktatur unterstützt hätten. Im Erlass von 2018 wird aber betont, grundsätzlich sei auch die Aufnahme von Angehörigen der NVA in das Traditionsgut der Bundeswehr möglich. Zu berücksichtigen sei jedoch die Frage nach persönlicher Schuld, und Bedingung sei eine Leistung, „die vorbildlich oder sinnstiftend in die Gegenwart wirkt, etwa die Auflehnung gegen die SED-Herrschaft oder besondere Verdienste um die Deutsche Einheit“.

„Bedürfnis unserer Soldaten nach Vorbildern mit Kampferfahrung“

Für den Militärhistoriker Sönke Neitzel von der Universität Potsdam ist der Rückzieher falsch. Es gebe nun einmal gerade bei Soldaten der Kampftruppen das Bedürfnis nach Vorbildern, auf die sie sich beziehen können. „Das Grundproblem der Bundeswehr ist, dass sie seit 70 Jahren auf der Suche nach sich selbst ist“, sagt er im Gespräch mit der SZ. Es habe 40 000 frühere Wehrmachtssoldaten in der Bundeswehr gegeben. „Natürlich gab es da eine gewisse Kontinuität.“ Rohrschneider sei „einer der klügsten Generale, den die Bundeswehr hat und zweifelsohne der historisch belesenste“. Mit dessen Personenliste habe er kein Problem. Ohne diese Leute wäre die Bundeswehr nicht so kriegstüchtig gewesen im Kalten Krieg.

„Das sind Leute, die sich um die Bundesrepublik und das Grundgesetz verdient gemacht haben. Wenn ich das nicht akzeptiere, dann muss ich die Tradition am 3. Oktober 1990 beginnen lassen“, betont Neitzel. Erich Topp habe er noch persönlich kennengelernt. Er sei einer der erfolgreichsten deutschen U-Boot-Kommandanten gewesen, habe sich komplett von der Zeit losgesagt, Fehler eingestanden.

Diese Generation sei natürlich nicht mit einer weißen Weste aus dem Krieg zurückgekommen. „Aber das ist Teil unserer Geschichte, und sie kannten den Krieg. Wenn wir dem Bedürfnis unserer Soldaten nach Vorbildern mit Kampferfahrung entsprechen wollen, werden wir keine besseren Beispiele finden“, meint Neitzel. „Füllen wir diese Lücke nicht, werden sich die Soldaten selbst ihre Tradition suchen oder zur AfD abwandern.“

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