Gesetzentwurf zur Wehrpflicht:Post von der Bundeswehr

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Boris Pistorius bei einem Besuch des Panzerbataillons 203 der Bundeswehr. (Foto: Ann-Marie Utz/DPA)

Trotz aller Turbulenzen in der Koalition hat das Kabinett ein Kernprojekt von Verteidigungsminister Pistorius auf den Weg gebracht, den neuen Wehrdienst. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Georg Ismar, Sina-Maria Schweikle, Berlin

Es ist ein zeitlicher Zufall. Aber ausgerechnet am Tag, an dem die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus feststeht, hat das Bundeskabinett zwei wichtige Bausteine für die Neuausrichtung der deutschen Verteidigungspolitik beschlossen, inmitten einer tiefen Koalitionskrise. Zum einen stehen nun die Details fest für die dauerhafte Stationierung einer deutschen Kampfbrigade an der Nato-Ostflanke in Litauen, zudem beschloss man die Einführung eines neuen freiwilligen Wehrdienstes, um mehr Soldaten und Reservisten zu gewinnen. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat sich sehr eingesetzt, musste aber Abstriche machen.

Trotzdem zeigt er sich an diesem Mittwoch zuversichtlich: „Damit reagieren wir auf die veränderte Bedrohungslage in Europa“, sagte er. Junge Männer und Frauen, die 18 Jahre alt werden, würden sich künftig wieder häufiger mit sicherheitspolitischen Fragen auseinandersetzen und überlegen, welchen Beitrag sie zur Sicherheit Deutschlands leisten könnten. „Die Bundeswehr wird alles dafür tun, dass sie die Ausbildung als Bereicherung in ihrem Leben wahrnehmen werden“, so der Verteidigungsminister.

Was ist nun geplant?

In der 118. Sitzung des amtierenden Bundeskabinetts ist der „Gesetzentwurf zur Modernisierung wehrersatzrechtlicher Vorschriften und zur Einführung eines neuen Wehrdienstes“ beschlossen worden. Stimmen Bundestag und Bundesrat zu, soll das von Mai 2025 an greifen. Der einzige Pflichtanteil ist, dass alle jungen Männer eines Jahrgangs, die 18 Jahre alt werden, einen Fragebogen ausfüllen müssen, mit Angaben zu ihrer körperlichen Fitness und ob sie sich einen freiwilligen Wehrdienst vorstellen können. Sie werden per Brief angeschrieben, darauf findet sich ein QR-Code, um zu dem Musterungsfragebogen zu gelangen, der in 15 Minuten ausgefüllt werden kann. Geplant sind etwa zehn Fragen. Pro Jahrgang sollen 350 000 Männer erreicht werden, auch die derzeit rund 330 000 Frauen eines Jahrgangs bekommen den Brief. Aber für sie bleibt das Ausfüllen freiwillig. Männer, die den Fragebogen nicht ausfüllen, bekommen hingegen eine Mahnung und müssten dann ein Bußgeld zahlen, wenn sie der Aufforderung nicht Folge leisten. Die Höhe des Bußgelds und sonstige Sanktionen stehen aber noch nicht fest.

Ab welchem Jahrgang greift das?

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass diejenigen „einer Verpflichtung zur Abgabe einer Bereitschaftserklärung unterworfen werden“, die nach dem 31. Dezember 2006 geboren wurden – also alle ab 2007 geborenen Männer in Deutschland. Wer ankreuzt, dass er sich so einen Wehrdienst vorstellen kann, wird zu einer eingehenderen Musterung eingeladen. Statt der früheren Kreiswehrersatzämter könnte das zunächst in den regionalen Personalzentren in Berlin Düsseldorf, München und Hannover erfolgen. Danach würden die geeignetsten Kandidaten ausgewählt. 2025 sollen zusätzlich zu bisher bestehenden Dienstangeboten 5000 Männer und Frauen zusätzlich einen Wehrdienst freiwillig ableisten, von 2026 an dann mindestens 10 000 pro Jahr, das soll stetig weiter aufwachsen.

Wie lange dauert der Dienst?

Der neue sogenannte Basiswehrdienst kann mit einer Dauer von sechs bis maximal 23 Monaten absolviert werden, geplant ist ein Sold von 1800 bis 2000 Euro monatlich. Der Schwerpunkt wird auf der infanteristischen Ausbildung liegen. Zum einen erhofft man sich, dass sich ein gewisser Prozentsatz danach dauerhaft verpflichten lässt. Zugleich werden alle Absolventen die Reserve stärken, die durch die Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 deutlich geschrumpft und zum Teil als überaltert gilt. Wegen der Bedrohungslage mit Russland ist es geplant, dass die Zahl der deutschen Soldaten und Reservisten auf rund 460 000 steigen soll – davon rund 200 000 Berufs- und Zeitsoldaten, der Rest Reservisten. Bisher kommt man auf maximal 360 000. Es sollen also mithilfe des neuen Modells 100 000 Männer und Frauen zusätzlich gewonnen werden, die zum Dienst an der Waffe in der Lage sind.

Was ist Pistorius besonders wichtig?

Zwar hätte er gern auch ein Pflichtelement gehabt, wenn sich nicht genug Freiwillige melden, doch damit scheiterte er am Widerstand in der SPD. Aber besonders wichtig ist für ihn, dass das Modell wieder eine systematische Wehrerfassung ermöglicht. Er kritisiert, dass mit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 auch alle Strukturen einer Wehrerfassung verschwunden seien, man also gar nicht wisse, wen man im Verteidigungsfall einziehen könne. Kommt es zum Verteidigungs- und Spannungsfall, kann der Bundestag die Wehrpflicht sofort wieder einsetzen – dann würden auch alle ab 2007 geborenen, geeigneten Männer kontaktiert, die man dank des Fragebogens in der Datenbank hat – die aber einen freiwilligen Dienst abgelehnt hatten. Sie könnten dann nicht mehr ohne Weiteres sagen, dass sie keinen Wehrdienst leisten wollen – aber genaue Details von Rekrutierungen müssten erst noch geklärt werden.

Was ist der Unterschied zum Modell in Schweden?

Das schwedische Beispiel ist zum Vorbild geworden, Pistorius hat es sich auch selbst vor Ort angeschaut. „In Schweden sind fünf Elemente verpflichtend“, sagt Jonas Hård af Segerstad, schwedischer Militärattaché in Berlin. Zum einen die persönliche Begutachtung und Prüfung der jungen Frauen und Männer, die um ihren 18. Geburtstag herum ein Anschreiben von der Wehrdienstbehörde erhalten und darin aufgefordert werden, einen digitalen Fragebogen auszufüllen. Hier werden also Männer und Frauen gleichermaßen in die Pflicht genommen. Dieser enthält rund 40 Fragen zur körperlichen und geistigen Gesundheit, zur Schulbildung, zu persönlichen Interessen, zu eventuellen Vorstrafen und zur persönlichen Einstellung zur militärischen Grundausbildung. „Nichtbeantwortung oder Lügen sind strafbar und werden mit einer Geldbuße geahndet“, sagt Hård af Segerstad. Nach der Auswertung erhält ein Teil der Jugendlichen erneut Post, diesmal mit der verpflichtenden Aufforderung zur Musterung. Am Ende werden die 8000 geeignetsten ausgewählt. Wer die Grundausbildung nicht antritt, muss mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu einem Monat rechnen.

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