Jahresbericht des Wehrbeauftragten:"Bundeswehr als Ganzes bemerkenswert wenig einsatzfähig"

Bundeswehr: Kampfschwimmer bei der Marine

Kampfschwimmer bei einer Einsatzübung in der Nähe von Eckernförde.

(Foto: Carsten Rehder/dpa)
  • Im vergangenen Jahr war der Haushalt des Verteidigungsministeriums von 38,5 auf 43,2 Milliarden Euro erhöht worden.
  • Trotzdem sei die Einsatzbereitschaft der Waffensysteme schlecht wie in den Jahren 2017 und 2018. Außerdem fehlt es an persönlicher Ausrüstung für die Soldaten.
  • Auch beim Personal ist die Lage angespannt: Etwa 20 000 Dienstposten bei den Unteroffizieren und Offizieren sind unbesetzt, der Luftwaffe fehlen Fluglehrer für den Eurofighter.

Von Mike Szymanski, Berlin

Trotz zusätzlicher Haushaltsmilliarden für die Truppe kommt die Bundeswehr nicht wirklich vom Fleck. "Für die enormen Kosten, die Deutschlands Steuerzahler für ihre Streitkräfte aufwenden, ist die Bundeswehr als Ganzes bemerkenswert wenig einsatzfähig", kritisiert Hans-Peter Bartels, der Wehrbeauftragte des Bundestages, in seinem Bericht für das Jahr 2019.

Der Wehrbeauftragte, in geheimer Wahl vom Bundestag gewählt, wacht über den Zustand der Bundeswehr. Er ist zugleich Ansprechpartner für die Belange der Soldaten und wird deshalb auch als Anwalt der Soldaten betrachtet. Seinen Ausführungen kommt daher besondere Bedeutung zu.

Seit Jahren wächst der Etat der Verteidigungsministeriums. Im vergangenen Jahr war der Haushalt von 38,5 sogar auf 43,2 Milliarden Euro erhöht worden. "Nie stieg der Verteidigungshaushalt nach 1990 innerhalb eines Jahres so kräftig", heißt es im Bericht. 2020 sind es schon mehr als 45 Milliarden Euro. Dennoch kommt Bartels zu einem bitteren Befund: "Gerne würde ich über eine durchgreifende, spürbare Verbesserung der Bedingungen für den Dienst unserer Soldatinnen und Soldaten berichten", sagt er. Aber diese seien bisher "ausgeblieben".

Bartels: "So tun als ob - das muss Grenzen haben"

Die Einsatzbereitschaft der Waffensysteme war schlecht wie in den Jahren 2017 und 2018. "Bei der Mangelverwaltung wird es auf absehbare Zeit bleiben, länger als geplant." Es dürfe jedoch nicht als normal angesehen werden, wenn Panzergrenadiere, anstatt mit ihrem Schützenpanzer zu üben, im Gelände aus einem Kleinbus stiegen: "So tun als ob - das muss Grenzen haben", führt Bartels aus. Teils sind von den Waffensystemen nicht einmal 40 Prozent des Geräts einsatzbereit.

Verärgert reagiert der Wehrbeauftragte darauf, dass es den Soldaten immer noch an persönlicher Ausrüstung fehlt trotz anderslautender Bekundungen aus der Ministeriumsspitze. Vor einem Jahr hatte Bartels ein Sofortprogramm gefordert, damit sich die Lage bessert. Passiert ist jedoch wenig. "Nicht zu verstehen ist, dass es bisher nicht einmal gelungen ist, die Soldatinnen und Soldaten komplett mit neuer persönlicher Ausrüstung auszustatten, etwa mit Schutzwesten." Nur auf Drängen des Wehrbeauftragten sei durchgesetzt worden, statt lediglich 5000 Schutzwesten im Jahr 10 000 Stück anzuschaffen. "Bekleidung, Gefechtshelme, Rucksäcke, Nachtsichtgeräte - alles kommt zu langsam und in zu geringen Stückzahlen", moniert Bartels.

Vorgesetzte: Soldaten seien "dicker, schwächer und dümmer"

Beim Personal bleibt die Lage ebenfalls angespannt. Weiterhin gibt es etwa 20 000 offene Dienstposten bei den Unteroffizieren und Offizieren. Der Luftwaffe fehlen beispielsweise Fluglehrer für den Eurofighter, auch weil es in den vergangenen Jahren zu Kündigungen gekommen war. Engpässe zeigen sich genauso im Sanitätsdienst, wo Ärzte fehlen. Der Wehrbeauftragte erhielt Berichte, wonach in Sprechstunden beim Truppenarzt nur noch akute Notfälle behandelt wurden, andere Patienten wurden mit dem Status "Krank auf Stube" weggeschickt. Sie sollten am Folgetag wiederkommen.

2019 hat sich die Bewerberlage stabilisiert. Die Bundeswehr hat seit dem 1. Dezember 2018 unter anderem die Kriterien für die Musterung gelockert, die erfüllt werden müssen, um Soldat werden zu können. Laut Bericht des Wehrbeauftragten würde bei Truppenbesuchen von Vorgesetzten bemängelt, die Soldaten seinen "dicker, schwächer und dümmer" als früher.

Das Verteidigungsministerium habe eingeräumt, dass es weniger Ausmusterungen gibt. Nach den neuen Regeln seien 82 Prozent der Bewerber als "dienstfähig" eingestuft worden. In den drei Jahren zuvor waren es um die 75 Prozent. Diese Zahlen ließen laut Bericht des Wehrbeauftragten zwar nicht das allgemeine Urteil zu, dass die Neuen schlechter seien. Dass aber in einigen Fällen der Eindruck entstehen könne, der eine oder andere Soldat wäre früher wohl nicht eingestellt worden, lasse sich "durchaus nachvollziehen".

Zahl der rechtsextremistischen Verdachtsfälle steigt deutlich

Der Zahl der rechtsextremistischen Verdachtsfälle, denen der Militärische Abschirmdienst nachgeht, ist 2019 deutlich von 270 auf 363 gestiegen. Ein Schwerpunkt liegt mit etwa 20 Verdachtsfällen bei der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK). Bartels schreibt in seinem Bericht: "Möglicherweise könnte stärkere Dienstaufsicht dazu beitragen, derartige Fälle zu vermeiden." Im Fall der KSK-Einheit habe das Ministerium bereits reagiert und einen zusätzlichen Dienstposten geschaffen. Ein Stabsoffizier soll sich stärker um das Thema Innere Führung kümmern.

Insgesamt haben 45 Soldaten wegen extremistischer Verfehlungen die Bundeswehr 2019 verlassen müssen. Bereits bei der Einstellung schaut die Bundeswehr nach früheren Rechtsextremismusfällen deutlicher hin. Die seit dem 1. Juli 2017 eingeführte Sicherheitsüberprüfung habe sich bewährt, heißt es im Bericht. Seither wurde 52 Bewerbern die Ausbildung an der Waffe verweigert.

Bei seinen Empfehlungen geht der Wehrbeauftragte in diesem Jahr einen Schritt weiter als in früheren Jahren. Den vor Jahren bereits unter Ursula von der Leyen angestoßenen Reformen, die unter dem Stichwort "Trendwenden" laufen, noch Zeit zu geben, genügt nach Auffassung von Bartels nicht mehr. "Es ist nicht nur zusätzliches Geld nötig, ebenso wichtig ist die innere Reform", erläutert Bartels. Strukturen würden teilweise grundsätzlich nicht mehr passen: "Die radikale Zentralisierung aus der Ära des Schrumpfens ist kontraproduktiv geworden." Bartels will wieder mehr Kompetenzen und Verantwortung dort, wo die Aufträge erfüllt werden, bis hinunter in die Bataillone, Brigaden und Geschwader. Was zu geschehen habe, sei im Ministerium bekannt.

Bis Ende 2018 hätten sich Hunderte Führungskräfte auf Wunsch der damaligen Ministerin Ursula von der Leyen mit der Frage befasst, wie Innere Führung heute auszusehen habe. Der Abschlussbericht würde jedoch vom Ministerium auch unter ihrer Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) unter Verschluss gehalten. Bartels zitiert in seinem Jahresbericht aus einer ihm vorliegenden Entwurfsfassung - ein an sich eher ungewöhnlicher Vorgang: "Fehlendes Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der eigenen Organisation ist in allen Bereichen der Bundeswehr spürbar", heißt es demnach im Bericht.

An anderer Stelle moniert Bartels eine "Neigung zur Überorganisation" und führt als Beispiel 42 zusätzliche hochrangig besetzte Leitungsgremien an, die seitens des Ministeriums geschaffen worden seien. Es kompliziert zu machen, präge die Mentalität in der Führung. Gerade im Beschaffungswesen wünscht sich Bartels ein Umdenken, es müsse nicht immer die "Design-Lösung" sein, die angeschafft werde. Er plädiere, wenn es nicht gerade etwa um einen neuen Kampfpanzer gehe, beim Einkauf für das "Ikea-Prinzip" - "aussuchen, bezahlen, mitnehmen".

Für Bartels ist es bereits der fünfte Jahresbericht. An deutlichen Worten hat er es auch in seinen früheren Berichten nicht fehlen lassen. Im Mai endet Bartels' erste Amtszeit. Ob es eine zweite für ihn gibt, ist noch nicht geklärt. Bartels ist zwar Sozialdemokrat, doch der Wehrbeauftragte soll überparteilich agieren. Von Unionsseite wird eine Verlängerung über Mai hinaus jedoch in Frage gestellt. Die Verteidigungsexperten der Oppositionsparteien FDP und Grüne hingegen stellen sich hinter den Sozialdemokraten. Bartels will weitermachen.

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