Bundeswehr:Soldat als Beruf

Ursula von der Leyen will die Streitkräfte aufstocken, das ist auch nötig. Die Frage ist nur, woher sie qualifizierte Leute nehmen will - schon jetzt mangelt es allerorten an Fachleuten.

Von Christoph Hickmann

Ursula von der Leyen hat die Angewohnheit, auch vergleichsweise simple politische Vorgänge mit Begriffen zu belegen, die aus der Power-Point-Präsentation eines Marketing-Vorstandsassistenten stammen könnten. Die Tatsache etwa, dass die Bundeswehr wieder größer werden soll, heißt bei ihr "Trendwende Personal", was natürlich gleich viel innovativer klingt als "größere Truppe". Abgesehen von derlei Begrifflichkeiten, zielt ihr Vorhaben jedoch grundsätzlich in die richtige Richtung: In den nächsten Jahren will die Ministerin Tausende zusätzliche Stellen für Soldaten (und, mindestens ebenso wichtig: Zivilisten) schaffen.

Selbstverständlich darf man einwenden, dass die Bundeswehr, bevor sie wächst, vielleicht an der einen oder anderen Stelle effizienter werden könnte - die Armee unterscheidet sich da nicht von anderen Großorganisationen. Insgesamt allerdings stemmt diese seit dem Kalten Krieg immer weiter geschrumpfte Truppe derzeit von Marine-Einsätzen über Missionen wie in Mali und Afghanistan bis zum Beistand für die Nato-Partner im Osten eine erhebliche Breite an Aufgaben. Hinzu kommen immer wieder Ad-hoc-Aufträge wie zuletzt die Flüchtlingshilfe. Will man dieses Spektrum erhalten, führt kaum ein Weg an mehr Personal vorbei. Zumal die bis vor Kurzem noch gültige Obergrenze von 185 000 Soldaten ohnehin nie an den tatsächlichen Aufgaben orientiert war - sondern eine relativ willkürlich gegriffene Zahl, die vor allem dem Ziel dienen sollte, kräftig zu sparen.

Wo will von der Leyen die zusätzlichen Leute hernehmen

Nur: Wo will von der Leyen die Leute hernehmen, fünfeinhalb Jahre nachdem die Wehrpflicht ausgesetzt wurde? Zwar verweist ihr Ministerium auf steigende Bewerberzahlen, vor allem bei den Frauen. Außerdem soll ein Großteil des zusätzlichen Personals durch interne Umbauten gewonnen werden - unter anderem indem mehr Zeitsoldaten als Berufssoldaten übernommen werden. Doch erstens wird sich die Bewerberlage durch den demografischen Wandel noch verschärfen. Zweitens mangelt es in bestimmten Bereichen bereits jetzt an Personal.

Das trifft beispielsweise die Marine, einst ein attraktives Ziel für junge Menschen, die etwas von der Welt sehen wollten. In Zeiten aber, in denen sich die Welt auch per Billigflieger entdecken lässt, überlegt man es sich lieber zweimal, ob man wirklich mehrere Monate auf See sein will. Dass dem Ministerium all diese Schwierigkeiten bewusst sind, belegen allein die jüngst kursierenden Vorschläge, die Bundeswehr für EU-Ausländer und Schulabgänger ohne Abschluss zu öffnen.

Doch wie sinnvoll ist es eigentlich, wenn in einer Gesellschaft, in der allenthalben vor dem drohenden Fachkräftemangel gewarnt wird, die Armee in verschärfte Konkurrenz zur Wirtschaft tritt? Die Frage stellt sich am drängendsten in jenem Bereich, in dem es die Bundeswehr bereits jetzt am schwersten hat, hoch qualifizierte Interessenten zu finden: Auf allen Kanälen sucht sie nach Spezialisten für die Abwehr von Cyber-Bedrohungen.

Doch zum einen können die Unternehmen besser zahlen. Zum anderen hat die Wirtschaft hier selbst noch einiges aufzuholen, weshalb es gesamtgesellschaftlich gar nicht unbedingt wünschenswert wäre, wenn sich die Bundeswehr nun dauerhaft die besten Köpfe sicherte. Und so weit wie in den USA, wo aus der militärischen Forschung ständig zivil nutzbare digitale Innovationen entstehen, ist man hierzulande lange nicht. Immerhin entsteht gerade an der Bundeswehr-Universität München ein Studiengang zur "Cybersicherheit", samt Forschungszentrum.

Bis die Bundeswehr ihre eigenen Leute ausgebildet hat, müssen für den Cyber-Sektor intelligentere Lösungen her. In Estland beispielsweise, das vor einem Jahrzehnt massiven Cyberattacken ausgesetzt war, kooperiert die Armee bei diesem Thema intensiv mit der Wirtschaft. Dort stellen die Unternehmen den Streitkräften ihre Spezialisten immer wieder punktuell zur Verfügung. Und auch im Bundesverteidigungsministerium existiert ein bereits recht weit gediehenes Konzept für eine sogenannte Cyber-Reserve. Bei allen Schwierigkeiten, was etwa Geheimhaltung und Sicherheitsüberprüfungen angeht: Sollte daraus etwas werden, hätten möglicherweise alle etwas davon, die Unternehmen und die Truppe.

Trotzdem wird die Bundeswehr auch künftig nicht allein aus IT-Soldaten vor dem Rechner bestehen. Stattdessen wird sie weiterhin junge, körperlich belastbare Leute brauchen, die ein Gewehr bedienen und möglichst flink aus einem Schützenpanzer klettern können - also genau jenes Personal, von dem man nach 1990 meinte, es immer weiter reduzieren zu können. Bis von der Leyens "Trendwende Personal" nun tatsächlich vollzogen ist, wird es einige Zeit dauern.

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