Bundeswehr:Signal an Russland

Bundeswehr Soldaten legen mit dem Minenverlegesystem 85 während des Nato Großmanöver "Trident Juncture" Panzerminen vom Typ DM-31 in Norwegen, 2018

Kein Krieg, nur eine Übung. Deshalb sind auch die Panzerminen vom Typ DM31, die Soldaten der Bundeswehr während des Großmanövers "Trident Juncture" nördlich von Norwegens Hauptstadt Oslo im Boden vergraben, nur Attrappen.

(Foto: Mike Szymanski)

Die Nato probt in norwegischen Wäldern den Ernstfall: Was tun, wenn ein Bündnispartner angegriffen wird? Soldaten der Bundeswehr üben nun wieder an Waffen, die aus der Zeit des Kalten Kriegs stammen.

Von Mike Szymanski, Rena

Wenn Oberfeldwebel André B. den Boden aufritzt, dann tut er dies mit chirurgischer Präzision. Hinterher sieht es so aus, als habe er mit dem Finger eine schmale Spur in der Erde gezogen. Und niemand ahnt, was der Soldat unter der Oberfläche verpflanzt hat. Per Knopfdruck senkt der Oberfeldwebel den Pflug ab. Die Spitze gräbt sich in den kalten Boden Norwegens. Dann macht es: klack, klack, klack.

Das ist das Geräusch, wenn sich die Metallhalterung unter dem Sitz des Soldaten öffnet und das Gerät die tellerrunden, grünen Panzerminen freigibt. Eine nach der anderen rutscht in den Boden, bevor zwei Metallschaufeln, geformt wie Hände, den kleinen Graben wieder mit Erde verschließen. So wühlt sich der Bundeswehrlaster, der den Oberfeldwebel auf seinem einachsigen Minenverleger hinter sich herzieht, im Schritttempo durchs holprige Feld.

Es ist nur eine Übung, kein Krieg, und die Mine ist nur eine Attrappe. Das ist die gute Nachricht, auch für den Oberfeldwebel. Die Nato führt ihre Großübung "Trident Juncture" in Norwegen durch. Sie spielt den Fall nach, dass ein Bündnispartner angegriffen wird. Offiziell startet das Manöver am 25. Oktober. Mit etwa 50 000 Soldaten wird es das größte seit Ende des Kalten Krieges sein. Die Deutschen sind mit etwa 10 000 Soldaten beteiligt, gut 5000 sind schon im Camp bei Rena untergebracht, einem riesigen Truppenübungsplatz zwei Autostunden nördlich von Oslo. Es geht um Training für den Bündnisfall. Es geht aber auch um ein Signal an Russland. 2014 hatte Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektiert. Seither geht in Sicherheitskreisen die große Unsicherheit um. Die Bedrohung - sie ist wieder da. Die Bundeswehr sah sich veranlasst, sogar ihre Minenverleger wieder aus dem Depot zu holen, wo sie seit 2011 standen. Sie waren schon ein Fall für die Verschrottung gewesen.

Soldat André B. ist einer der Ersten, der 2017 wieder am "Minenverlegesystem 85" ausgebildet wurde. Der Oberfeldwebel dachte sich: "Ui, kennt man ja nicht. Was Neues!" Aber das trifft nur auf Soldaten wie ihn zu, 35 Jahre alt. Die Älteren kennen das Gerät sehr wohl. Sie wissen auch, dass nach ein, zwei Stunden im Einsatz der Rücken schmerzt. André B. aber kam zu einer Zeit zur Bundeswehr, als viele auf den Frieden in Europa vertrauten und sich die Soldaten etwa auf Einsätze im fernen Afghanistan vorbereiteten.

Landes- und Bündnisverteidigung, wofür der Minenverleger steht wie kaum ein anderes System, war in den Hintergrund geraten. Minen - das waren Waffen aus dem Kalten Krieg, für den Kalten Krieg. Es existierten detaillierte Pläne, wo entlang der innerdeutschen Grenze Minensperren errichtet werden sollten, um im Kriegsfall russische Panzer zu stoppen. Die Älteren in der Bundeswehr, Soldaten wie Kompaniefeldwebel Marcus H., 50, erinnern sich auch noch an die "Sperrmittelhäuser" in den Wäldern, in denen die Minen gelagert wurden. Das wäre Stoff für Erzählungen von früher, abends, wenn die Soldaten zusammensitzen. Aber durch Russlands Verhalten ist das heute wieder Teil der Übung.

André B.s drahtigen Oberkörper wirft es jedenfalls auf dem Gerät ganz schön hin und her. Abgase kriegt er voll ins Gesicht.

In einem der Bundeswehrmagazine erschien im Dezember ein Beitrag über den Minenverleger, ein etwas skurriler, er sollte von launiger Natur sein. Darin richtet sich der Minenverleger in Form eines Briefes an die Truppe: "Man hat mich nach einer längeren Ruhepause nun wieder geholt, weil man mich für Sperren braucht und einfach weil ich nie wirklich weg war. 'Paradigmenwechsel' habe ich gehört war der Grund." Der Beitrag schließt mit den Worten: "Euer Minenverleger." Im Moment verfügt das Heer über vier solche Geräte. Dem Magazin zufolge sollen es einmal 23 werden.

So viel zum Ernst der Lage. Die Hemmungen fallen, der Krieg zeigt sich wieder von seiner hässlichsten Seite: Kaum eine Waffe gilt als hinterhältiger als die Mine, die oft Jahre nach dem Krieg noch Tod und Leid über die Zivilbevölkerung bringt. Deutschland ist dem Ottawa-Abkommen von 1997 beigetreten, das die Herstellung, die Lagerung und den Einsatz von Antipersonenminen verbietet. Panzerabwehrminen wie jene vom Typ "DM-31", die Oberfeldwebel André B. unter die Erde bringt, fallen nicht darunter. Sie entschärfen sich automatisch nach 40 Tagen. Ihr Einsatz sei rechtlich geprüft, heißt es bei der Truppe. Oberfeldwebel André B. sagt: "Was wäre, wenn wir nicht da wären?" Aber dazu müsste man sich konsequenterweise auch vorstellen, dass es Krieg gibt. Das fällt auch dem Oberfeldwebel schwer.

Brigadegeneral Ullrich Spannuth, 54, ist Kommandeur der Deutschen im Camp bei Rena. Das Manöver ist der letzte große Stresstest, bevor die Bundeswehr von Januar 2019 an unter ihm die Führung der schnellen Eingreiftruppe der Nato übernehmen wird. Die sogenannte VJTF (Very High Readiness Joint Task Force) wurde im Zuge der Ukraine-Krise aufgestellt und ist ebenfalls ein Element der Abschreckungsstrategie gegen Russland. Spannuth, ein Schrank von einem Mann, sagt, es gehe bei der Übung darum zu zeigen, dass die Nato notfalls auch mit militärischen Mitteln in der Lage sei, Bündnispartner zu schützen. "Wir sagen nicht nur, dass wir das können. Wir zeigen vor allem, dass wir das können."

"Wir sagen nicht nur, dass wir das können. Wir zeigen vor allem, dass wir das können"

Aus dem gesamten Heer hat die Ausrüstung für diese Übung in Norwegen zusammengeklaubt werden müssen - von persönlicher Ausrüstung bis hin zum Panzer. So sehr war die Truppe heruntergespart worden. In Norwegen trifft man auf Soldaten, die nach langer Zeit mal wieder sagen, sie hätten, was sie bräuchten. Am Nachmittag hört man das dumpfe Knallen vom Panzerschießen bis ins Camp. Spannuth sagt, er erlebe seine Soldaten hoch motiviert. Er übernachtet mit ihnen in den Mannschaftszelten, obwohl er ein Einzelzimmer hätte haben können. Das Manöver lässt die Soldaten Soldaten sein. Den Preis dafür kennt der Brigadegeneral: Das Material fehlt jetzt an anderer Stelle in Deutschland.

Wer bisher glaubte, die von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) betriebene Rückbesinnung auf Bündnis- und Landesverteidigung sei vor allem Ankündigungspolitik, kann sich in Norwegen vom Gegenteil überzeugen. Die Truppe ist auf diesem Feld längst wieder angekommen. Die Sprengkommandos üben, Bäume am Straßenrand so geschickt mit Explosionen zu Fall zu bringen, dass sie hinterher Straßen blockieren. Eine Attraktion sind die Amphibienfahrzeuge der Kompanie aus Zeiten des Kalten Krieges. Vom Feldweg kommend klappen sie, noch in der Fahrt, ihre seitlichen Schwimmkörper ab. So steuern sie direkt in den Fluss. Auf dem Wasser schließen sie sich zu Fähren zusammen, die dann in Windeseile Laster und Panzer ans andere Ufer transportieren. Seit einiger Zeit tourt der Verband, bei den Soldaten bewundert wie eine Rockband, von Militärübung zu Militärübung durch Europa.

Die Bundeswehr der Zukunft? Sie imponiert in Norwegen ausgerechnet mit ihrem Gerät aus der Vergangenheit. Und Oberfeldwebel André B.? Der hat seinen Minenverleger jetzt so genau auf den Boden abgestimmt, dass er tatsächlich nur noch einen Strich in der Landschaft hinterlässt.

Zur SZ-Startseite
Moorbrand 18.09.2018

Meppen
:Wenn die Bundeswehr ein Moor in Brand steckt

In der Natur herrscht Rauchverbot, aber das Militär testet Munition im Moor? Nachdem die Bundeswehr in der Nähe von Meppen auf 800 Hektar einen Brand ausgelöst hat, ist das Ende der Löscharbeiten noch nicht absehbar und die Kritik wächst.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: