An diesem Montagnachmittag wird in der obersten Etage des Verteidigungsministeriums ein ungewöhnlicher Besucher erwartet. Es ist ein junger Unteroffizier. Einer, der sehr genau hingehört hat, wenn seine Kameraden angeblich rechtsextreme oder NS-verherrlichende Sprüche machten in den vergangenen Jahren. Dutzende Kameraden hat er schon angezeigt. So viele vertrauliche Tipps auf rechte Umtriebe hat er abgegeben - und penibel dokumentiert - wie noch kein Bundeswehrsoldat je zuvor.
Der Soldat heißt Patrick J., er ist 31 Jahre alt, und eingeladen hat ihn Staatssekretär Gerd Hoofe, ein langjähriger Begleiter der Ministerin Ursula von der Leyen (CDU). Aber es könnte ein frostiger Termin werden. Denn die Bundeswehr ist gerade dabei, diesen Unteroffizier hinauszuwerfen. Eine unehrenhafte Entlassung ist beschlossen. Am 15. Juni soll bereits sein letzter Tag sein, so berichtet der Spiegel. Die Vorgesetzten von Patrick J. meinen demnach, es fehle ihm an der "charakterlichen Eignung". Zum einen wegen einer Geldstrafe von 1500 Euro, die er kürzlich wegen "Missbrauchs der Befehlsbefugnis" bekommen hat; was noch nicht rechtskräftig ist. Vor allem aber wegen seiner vielen, angeblich häufig falschen Neonazi-Verdächtigungen.
Auf der Spur von Reichsbürger-Kontakten und Neonazi-Tattoos
Soll hier ein unbequemer Whistleblower entsorgt werden? Der Fall wirft für manche die Frage auf, wie ernst es der Bundeswehr ist mit der Überwindung jenes "falsch verstandenen Korpsgeistes", den die Verteidigungsministerin im Sommer 2017 kritisiert hatte. Deshalb hat sich ihr Staatssekretär eingeschaltet. Als er von dem beabsichtigten Rauswurf hörte, hat er Patrick J. zum Gespräch gebeten, er hat sich die Akten kommen lassen und will sich nun selbst ein Bild machen.
Andererseits warnen Soldatenvertreter schon länger vor einem Klima der Gesinnungsschnüffelei in der Truppe. Das war ihre Sorge, als Ursula von der Leyen im Sommer 2017 begann, die Kasernen nach Nazi-Devotionalien durchsuchen zu lassen, und der Bundeswehr ein "Haltungsproblem", eine Nähe zu rechtem Gedankengut, vorwarf. Patrick J. nun, der auf eigene Faust Dossiers über die echte oder vermeintliche Gesinnung von Kameraden anlegte: Ist er einer jener Geister, die sie rief?
Seine Geschichte beginnt im Jahr 2016. Nach einem Jurastudium kehrte Patrick J. damals zurück zur Bundeswehr. Für einen Feldwebellehrgang kam er ins schwäbische Pfullendorf. Dort, hinter den Mauern der Staufer-Kaserne, soll es Scheinerschießungen gegeben haben, "wie mir zugetragen wurde", so erzählt er. Daraufhin habe er zu sich selbst gesagt: "Wenn es stimmt, dann ist die Person nicht mehr tragbar. Wenn es nicht stimmt, ist es eine Verleumdung. Die muss aufgeklärt werden." Die Staatsanwaltschaft sah damals zwar keine Belege für Scheinerschießungen. Patrick J. habe sich des Falles dann aber selbst angenommen, sagt er.
Bundeswehr:Eine Schande
Schon wieder wird die Bundeswehr von Rechtsextremismus-Fällen erschüttert. Wer solch eine Haltung verniedlicht, sollte keinen Platz in der Truppe haben.
Er hat im Netz über einzelne Kameraden recherchiert, wie ein Privatermittler. Dann hat er daraus eine Art Masterarbeit erstellt, mit einem politischen Theorieteil vorneweg - und vielen Beispielen dahinter. Darin beschreibt er, wie ein Stabsunteroffizier, der auf Facebook im Pullover einer rechten Szenemarke posierte, mit Rechtsextremisten vernetzt sei. Bei Facebook sei er befreundet mit Leuten, die das KZ Auschwitz mit Legosteinen nachbauten. Bei einem weiteren Kameraden, einem Oberstabsgefreiten, fand Patrick J. Facebook-Kontakte zu sogenannten Reichsbürgern. Zu Leuten also, die die Gültigkeit der Bundesrepublik anzweifeln. Dieser Oberstabsgefreite kommentierte am 26. August 2016 in dem sozialen Netzwerk: "Wir sind eh alle Staatenlos ... Auf uns kann jederzeit geschossen werden .... Das einzigste was wir sind, sind dumme Arbeiter die einer großen GmbH angehören."
Patrick J. analysierte auch die Tattoos einzelner Kameraden, stets in seiner eigenen, eigenwilligen Ermittlersprache: "Auf Grund der vorliegenden Fakten ist davon auszugehen, dass die gegenständliche Tätowierung somit bereits zum Zeitpunkt der Musterungsuntersuchung, welche einer Einstellung in die deutschen Streitkräfte zwingend vorgelagert ist, vorgelegen hatte." Insgesamt kommt Patrick J.s "Berichtsentwurf zum Phänomenbereich Rechtsextremismus in der Bundeswehr" am Ende auf 147 Seiten, 285 Fußnoten, zahlreiche farbige Screenshots, ein Literatur- sowie ein Personenregister.
Unbeliebt bei den Kameraden
Bei den Kameraden hat ihn das nicht beliebt gemacht. Einer der Angezeigten drehte den Spieß um. Er zeigte Patrick J. an. Der Vorwurf: Patrick J. habe ihn einmal ohne dienstlichen Grund strammstehen lassen - ein "Missbrauch der Befehlsbefugnis", was Patrick J. allerdings bestreitet. Trotzdem bekam er eine Geldstrafe.
Die Vorgesetzten von Patrick J. reagierten offenbar abweisend auf dessen Vorwürfe. Lediglich der Geheimdienst der Bundeswehr, der Militärische Abschirmdienst (MAD), zeigte sich offen und nahm die Stoffsammlung von Patrick J. dankend an. Einiges davon sei wertlos, befanden die Geheimdienstler, vieles längst bekannt oder juristisch haltlos. Mit manchem Hinweis aber - das bestätigte der Dienst der Süddeutschen Zeitung - habe Patrick J. dazu beigetragen, dass man mutmaßlichen Rechtsextremisten in Uniform neu auf die Spur gekommen sei. Patrick J. habe Hinweise auf mehr als hundert Personen gegeben, in neun Fällen seien tatsächlich Ermittlungen aufgenommen worden.
Wenn nun das Personalamt der Bundeswehr dem Unteroffizier Patrick J. schreibt, einige seiner Vorwürfe hätten sich "als übertrieben und haltlos erwiesen", dann sagt er dazu: Es sei im Zweifel besser, zu viel zu melden. Die richtige Bewertung der Hinweise überlasse er dann den Fachleuten beim MAD. Es werde ja niemand öffentlich an den Pranger gestellt. Es gehe nicht um "Meinungsdiktatur oder ein Politkommissariat", sondern lediglich um "rote Linien" der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Der "Kameradschaftsgedanke" sei ihm natürlich bewusst.
Am Montag geht nun für Patrick J. ein Wunsch in Erfüllung, auf den Termin beim Verteidigungsstaatssekretär freut er sich. Schon zweimal habe er bei der "Hausleitung" des Ministeriums um ein persönliches Gespräch über rechtsextremistische Umtriebe in seinem Umfeld gebeten, sagt er, 2017 und 2018. Jetzt endlich ist er erhört worden. "Es macht keinen Sinn, das Thema mit einem Kompaniechef zu erörtern", meint Patrick J., "der hat gar nicht die Durchgreifmöglichkeiten." Das müsse von ganz oben kommen.