Süddeutsche Zeitung

Bundeswehr:Es bleibt ein Imageschaden für von der Leyen

  • Die Kaserne in Pfullendorf geriet wegen seltsamer Rituale in die Schlagzeilen.
  • Die zuständige Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen zu einem Teil der Vorwürfe eingestellt.
  • Ursula von der Leyen gerät deshalb weiter unter Druck, weil sie der Bundeswehr Führungsschwäche und ein Haltungsproblem vorgeworfen hat.
  • Der Fall Pfullendorf und die Ergebnisse der Ermittlungen im Überblick.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Ursula von der Leyen (CDU) steht derzeit von vielen Seiten her unter Druck. Noch immer gärt in der Bundeswehr Unmut darüber, dass die Verteidigungsministerin ihr "Führungsschwäche" und ein "Haltungsproblem" unterstellt hatte. Zuletzt kam die Kritik auf, von der Leyen habe Vorwürfe aufgebauscht, wonach es am Standort Pfullendorf zu fragwürdigen Ausbildungspraktiken, entwürdigenden Aufnahmeritualen und Mobbing gekommen sei.

Ausgelöst wurde dies dadurch, dass die zuständige Staatsanwaltschaft Hechingen die Ermittlungen zu einem Teil der Vorwürfe eingestellt hat. Gegen einzelne Personen ermittelt sie weiter. Zuletzt hat die politische Debatte noch einmal an Fahrt aufgenommen. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sprach von der Leyen vergangene Woche die Merkmale "Führungsqualität, Transparenz und Wahrhaftigkeit" ab. Darüber drohen die eigentliche Vorgänge aus dem Blick zu geraten.

Worum ging und geht es in Pfullendorf?

Es geht dort, im Ausbildungszentrum Spezielle Operationen, um Vorwürfe in mehreren Komplexen: "Herabwürdigende Praktiken in der lehrgangsgebundenen Sanitätsausbildung und Mobbing" sowie "Misshandlungen mit entwürdigenden Aufnahmeritualen bei Mannschaftssoldaten", wie es in einem Ministeriumsbericht heißt. Umstritten sind letztlich nur die Vorwürfe zu Sanitätsausbildung und Mobbing.

Wie lauten hier die Vorwürfe?

Bereits im Sommer 2016 informierte eine Soldatin Vorgesetzte darüber, dass in Pfullendorf aus ihrer Sicht herabwürdigende Methoden angewandt würden - unter anderem das "Abtasten des unbekleideten Genitalbereichs mit nicht behandschuhter Hand und anschließender Geruchsprobe" oder das "Öffnen der Gesäßbacken zur Inspizierung des Afters".

Später präzisierte sie, dass der Intimbereich nur kurzzeitig entblößt worden sei und sie diese Untersuchungen nur von Männern an Männern gesehen habe, aber nicht an Frauen. Zudem sei sie gemobbt und aufgefordert worden, an einer Tanzstange zu tanzen. Die Angelegenheit erreichte den Generalinspekteur sowie den Wehrbeauftragten, die beide Ermittlungen anstellten - zumal sich bereits 2014 eine Soldatin über ein frauenfeindliches Klima in Pfullendorf beklagt hatte.

Und die Aufnahmerituale?

Hier wurden Soldaten auf einem Stuhl fixiert, um dann mit einem Beutel über dem Kopf im Waschraum mit kaltem Wasser abgeduscht zu werden. Das Ganze wurde gefilmt. Die Ermittlungen laufen hier weiter - rechtliche Konsequenzen noch offen.

Wie wurden die Vorgänge öffentlich?

Am 24. Januar wurden aus Pfullendorf die Aufnahmerituale gemeldet. Am 27. Januar informierte das Ministerium den Verteidigungsausschuss - und bezog dabei die Vorwürfe zu den fragwürdigen Ausbildungspraktiken mit ein. Ebenfalls am 27. Januar erschien ein erster Artikel bei Spiegel Online über "Sadistische Rituale bei der Kampfsanitäter-Ausbildung".

Zunächst wurden die von der Soldatin kritisierten Ausbildungsmethoden untersagt - bereits Ende August 2016. Die in einem Aufenthaltsraum angebrachte Tanzstange wurde Ende Juli 2016 abgebaut. Die Ermittler der Bundeswehr wiederum kamen zu recht unterschiedlichen Ergebnissen. Zunächst besuchte Anfang Dezember 2016 ein Beauftragter des Generalinspekteurs den Standort Pfullendorf.

In seinem Bericht schrieb er, die Vorwürfe hätten sich "als berechtigt erwiesen". Unter dem Punkt "Führungsverhalten" heißt es in dem Bericht, in Pfullendorf gebe es "informelle Parallelstrukturen". In Anführungszeichen präzisiert er: "Mafiöse Strukturen". Ende Januar wiederum kam der Leitende Rechtsberater des Heeres-Ausbildungskommandos zu dem Ergebnis, die ermittelten Tatsachen reichten "in der Mehrheit der Vorfälle nicht aus, Dienstvergehen nachzuweisen".

Es hätten "keine Tatsachen" ermittelt werden können, "welche ein in enormem Maße frauenfeindliches Agieren" belegten. So sei den weiblichen Lehrgangsteilnehmern empfohlen worden, "doppelte Unterwäsche zu tragen und die Untersuchungsschritte zwischen den beiden Unterwäschestücken durchzuführen beziehungsweise anzudeuten". Eine Sexualisierung der Ausbildung sei "nicht ersichtlich".

Anfang März hieß es dann in der abschließenden Stellungnahme des Heeres-Kommandos, die Vorwürfe hätten sich "insgesamt nicht vollumfänglich erhärten" lassen. So hätten sich etwa einzelne abfällige Äußerungen über die betroffene Soldatin nicht nachweisen lassen. Ein Major hingegen, der die Tanzstange samt dort aufgehängter Slips im Aufenthaltsraum geduldet hatte, musste 450 Euro Disziplinarbuße zahlen.

Gegen einen Stabsfeldwebel, der sich beleidigend über die Soldatin geäußert haben soll, laufen disziplinare Vorermittlungen. Insgesamt kommt das Kommando zu dem Ergebnis, dass es in Pfullendorf zu "Verwerfungen des inneren Gefüges" gekommen sei. Dies sei Ergebnis eines Arbeitsklimas, in dem "Führung, Dienstaufsicht, Disziplin und sachliche Distanz verloren gingen".

Zu welchem Ergebnis kam die Staatsanwaltschaft?

Die Staatsanwaltschaft Hechingen prüfte den Fall anhand der Dokumente, die ihr das Ministerium Anfang Februar zur Verfügung gestellt hatte. Auf dieser Basis kam sie etwa zum Ergebnis, das "Einführen von Tamponade in den After" sei "nicht praktiziert worden". Grundlagen und Zielsetzungen der Ausbildung seien "nicht nachweislich sexuell motiviert" gewesen und hätten nicht der Herabwürdigung gedient. Es gebe keinen Hinweis dafür, "dass weibliche Soldaten an einer Tanzstange erotische Tanzbewegungen durchgeführt haben".

War an den Vorwürfen nie etwas dran?

Das ist damit nicht gesagt - schließlich hatte die Staatsanwaltschaft geprüft, ob die Vorgänge in Pfullendorf strafrechtlich relevant sind. Doch auch das Ministerium hatte nie behauptet, dass die Komplexe "Mobbing" und "Ausbildungspraktiken" strafrechtlich relevant sein könnten. Stattdessen ging es hier stets lediglich um das Disziplinarrecht und den Vorwurf, dass gegen die Grundsätze der Inneren Führung verstoßen wurde - woran das Ministerium nach wie vor festhält.

Entsprechend hatte die Bundeswehr auch nur im Fall der Aufnahmerituale überhaupt Anzeige erstattet. Im Fall der Ausbildungspraktiken wurde die Staatsanwaltschaft erst auf Grundlage der medialen Berichterstattung tätig - wozu auch ein Zitat der Ministerin gehörte, wonach die Vorgänge in Pfullendorf "abstoßend" und "widerwärtig" seien.

Ist von der Leyen zu weit vorgeprescht?

Sie war bereits früh sehr klar in ihrem Urteil - hatte da aber auch schon Videomaterial von den Aufnahmeritualen gesehen. Und sie stand mit ihrem Urteil nicht allein. Als am 15. Februar der Verteidigungsausschuss tagte, berichtete der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold über einen Besuch in Pfullendorf, nach dem er "kein gutes Gefühl" gehabt habe. Er halte es für "zwingend notwendig", dass die Staatsanwaltschaft auch zu den Komplexen Ausbildungspraktiken und Mobbing ermittle.

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Quelle:
SZ vom 14.06.2017/oko
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