Süddeutsche Zeitung

Spitzengespräch zur Bundeswehr:Damit die Truppe länger schießen kann

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Die Regierung will den Munitionsmangel bei der Bundeswehr beheben - und spricht deshalb im Kanzleramt mit Vertretern der Rüstungsindustrie. Doch die Sache ist kompliziert.

Von Mike Szymanski, Berlin

Das Parlament erhöht den Druck auf die Bundesregierung, den Mangel an Munition in der Bundeswehr rasch zu beheben. Nach Schätzungen aus dem Verteidigungsministerium müsste für 20 Milliarden Euro Munition angeschafft werden, um die Nato-Vorgaben zu erfüllen. Das Verteidigungsbündnis verlangt, dass ihre Truppen 30 Tage im Einsatz durchhalten. Der Bundeswehr jedoch würde bereits nach wenigen Tagen die Munition ausgehen.

Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Bundestages, sagte am Montag der Süddeutschen Zeitung: "Wir brauchen einen Fahrplan, der diese Defizite behebt." Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann bezeichnete die Munitionsprobleme der Bundeswehr als "gravierend". Es werde Zeit, "dass da jetzt endlich mal was passiert", sagte sie der SZ.

Für diesen Montag ist ein Spitzengespräch im Kanzleramt mit Vertretern der Rüstungsindustrie und mehreren Ministerien angesetzt, um die Schwierigkeiten zu erläutern. Nach Angaben eines Regierungssprechers handele es sich dabei um einen "Routinetermin auf Beamtenebene", es gehe um ein Informationsgespräch mit der Branche. In der Truppe fehle es "überall" an Munition, führte der Regierungssprecher aus, weshalb erörtert werden solle, über welche Produktionskapazitäten die Rüstungsindustrie verfüge.

Der Rüstungsbranche kommt jetzt eine Schlüsselrolle zu

Die Wehrbeauftragte Högl, die im Parlament über den Zustand der Bundeswehr wacht, sagte: "Es ist gut, wenn sich jetzt an einen Tisch gesetzt wird." Der Mangel an Munition bei der Bundeswehr sei eine Folge der jahrelangen Sparpolitik in der Truppe und der Tatsache, dass Landes- und Bündnisverteidigung nicht die oberste Priorität hatte. "Es wurde weniger Munition bestellt, Lager wurden zurückgebaut, und die Industrie hat Produktionskapazitäten zurückgefahren."

Dies zu ändern, gehe nicht "von jetzt auf gleich". Sie sieht die Rüstungsbranche in einer Schlüsselrolle: "Die Kernfrage ist, wie schnell die Industrie eine Erhöhung der Produktion sicherstellen kann", sagte sie. Weil nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine auch andere Länder begonnen hätten, in ihre Streitkräfte zu investieren, spricht sie sich dafür aus, gemeinsam in Europa Munition zu beschaffen.

Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann begrüßte ebenfalls, dass die Munitionsfrage mittlerweile im Kanzleramt als Chefsache behandelt werde. Dass es aber erst jetzt, im November, zu einem solchen Treffen komme, bezeichnete sie als "dramatisch". Wie schlecht es um die Bestände in der Bundeswehr bestellt sei, "wusste auch jeder im Kanzleramt", sagte sie. Sie erwartet, dass die Industrie nun verlässlich Aufträge erteilt bekommt, damit die Unternehmen auch planen könnten.

Das Parlament hatte für Munitionsbeschaffung im kommenden Jahr etwa 1,1 Milliarden Euro im regulären Verteidigungsetat bewilligt, deutlich mehr als in den Jahren zuvor. Im Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, mit dem die Bundeswehr modernisiert werden soll, ist für das Auffüllen der Depots jedoch kein Geld vorgesehen.

Mit dem Krieg in der Ukraine rüsten etliche Länder ihre Armeen wieder auf. Die Nachfrage steigt. Die Industrie leidet jedoch unter Fachkräftemangel und Lieferschwierigkeiten, was sich längst auch bei der Munitionsproduktion bemerkbar macht.

"Die Artillerietruppe ist im Grunde ohne Munition."

Erschwerend kommt für die Bundeswehr hinzu, dass auch aus ihren Beständen Material und Munition als Militärhilfe an die Ukraine abgegeben wurde, die Ersatzbeschaffungen sich aber hinziehen. Nach Angaben der Bundesregierung wurden beispielsweise 13 500 Schuss Artillerie-Munition aus Deutschland an die Ukraine abgegeben. Johann Wadephul, Fraktionsvize der Union, hatte vergangene Woche im Bundestag beklagt: "Die Artillerietruppe ist im Grunde ohne Munition und kann überhaupt nicht mehr den scharfen Schuss üben."

Belastet wird das Verhältnis zwischen Politik und Industrie durch Äußerungen von SPD-Parteichef Lars Klingbeil. Am Sonntagabend hatte er in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" die Branche zum Aufbau von Kapazitäten aufgefordert und beklagt, dass das noch nicht passiert sei. Sollte sie das nicht hinbekommen, müsse man sich auch im Ausland nach Rüstungsgütern umsehen. Infrage kämen etwa die USA oder andere Nato-Staaten. Klingbeil sagte: "Klar ist: Wir brauchen eine schnelle, eine gute Ausrüstung der Bundeswehr, und da muss mit Hochdruck dran gearbeitet werden."

Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, BDSV, wehrt sich gegen Vorwürfe, es liege an der Rüstungsindustrie, dass die Modernisierung der Bundeswehr nur langsam vorankommt. Trotz des im Sommer beschlossenen Sondervermögens seien "noch so gut wie keine größeren Neubestellungen bei unseren Mitgliedsunternehmen eingegangen", heißt es in dem Schreiben des Verbandes an den SPD-Chef mit Datum 28. November, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Kritisiert werden "seit Jahrzehnten aufgebaute bürokratische Prozesse" im Beschaffungswesen. Verärgert zeigten sich die im Verband organisierten Mitgliedsunternehmen laut Brief darüber, dass das Verteidigungsministerium die Branche im Frühjahr aufgefordert hatte, "alle Möglichkeiten zu mobilisieren, um die Bundeswehr schnellstmöglich gefechtsbereit zu machen", Aufträge dann aber an ausländische Konkurrenten gegangen seien. Dies seien "bei Weitem keine Einzelfälle" gewesen.

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