Süddeutsche Zeitung

Bundeswehr in Mali:"Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir länger bleiben"

  • In Mali läuft einer der größten und gefährlichsten Einsätze der Bundeswehr.
  • Deutsche Soldaten bilden die einheimische Armee aus, die es mit mehreren Feinden im eigenen Land zu tun hat.
  • Wenn es nach Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer geht, soll der Einsatz verlängert werden.

Von Boris Herrmann, Bamako

Im Camp Gecko macht es "Bupp, Bupp, Bupp". Soldaten der malischen Streitkräfte trainieren mit der Kalaschnikow. Es geht darum, sich nicht gegenseitig ins Feuer zu laufen. Ein militärischer Grundkurs. Die Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer schaut zu und ist offenbar zufrieden: "Die Fähigkeiten der malischen Armee haben sich verbessert. Das zeigt, dass unser Engagement durchaus auch Effekte zeigt." Vielleicht sollte man erwähnen, dass die Soldaten hier Trockenübungen ohne Munition vorführen. "Bupp, Bupp, Bupp", rufen sie dazu.

Camp Gecko liegt in Koulikoro, 40 Kilometer nördlich der malischen Hauptstadt Bamako. Es geht hier vor allem um die Schulung von malischen Ausbildern, die ihre Lernerfolge dann an den Rest der Truppen weitergeben. Malis Armee soll ertüchtigt werden, sich gegen ihre inneren Feinde zu wehren. Davon gibt es reichlich: Terroristen, die sich den Norden des Landes untereinander aufgeteilt haben, Ableger von al-Qaida und Islamischem Staat. Dazu ehemalige Bürgerkriegsparteien und lokale Milizen. Im Zentrum des Landes flammt derweil ein blutiger Kampf zwischen Hirten und Bauern wieder auf. "Alle Konflikte überlagern sich", sagt der Kontingentführer Oberst Christian Schmidt zur Ministerin: "Es ist ein sehr komplexes Geflecht."

Mali mag in der öffentlichen Wahrnehmung im Schatten von Krisengebieten wie Syrien, Irak oder Afghanistan stehen. Dabei läuft hier einer der größten Auslandseinsätze der Bundeswehr. Derzeit ist es auch der gefährlichste. Insgesamt 1100 deutsche Soldaten sind in der Sahelzone im Einsatz. Die meisten von ihnen im Feldlager Camp Castor, wo sie im Rahmen der UN-Mission Minusma versuchen, bei der Stabilisierung des höchst fragilen Nordens von Mali zu helfen. Deutschland unterstützt den Einsatz mit Aufklärungsdrohnen und sogenannten Präsenzpatrouillen, "unter sehr schwierigen Rahmenbedingungen", wie es heißt. Mit rund 200 gefallenen Blauhelmsoldaten gilt Minusma als die tödlichste Mission, auf die sich die Vereinten Nationen jemals eingelassen haben. Kramp-Karrenbauer ist auch deshalb in Mali, um sich mit eigenen Augen ein Bild zu machen: "Ist das, was wir hier machen, zielgerichtet?" Gute Frage.

Sechs Jahre nach dem Beginn von Minusma hat sich die Sicherheitslage im Land keineswegs verbessert. Im Grenzgebiet zu Burkina Faso und Niger hat sie sich zuletzt sogar massiv verschlechtert. Das Zentrum bricht förmlich auseinander. Und selbst der lange als ruhig geltende Süden mit der Hauptstadt Bamako ist nicht mehr sicher. Das wissen die deutschen Soldaten. An einem ehemaligen Kino gleich neben dem Eingang fehlen zahlreiche Fensterscheiben - Schäden, die von einem gerade noch glimpflich abgelaufenen Sprengstoffanschlag vom Februar dieses Jahres zeugen. Ein Auto der Selbstmordattentäter flog direkt am Eingangstor des Camps in die Luft. So nah war der Terror dem deutschen Kontingent in Mali noch nie.

Mali sich selbst zu überlassen, könnte einen Flächenbrand in der Sahelzone auslösen

Im Norden gehören derartige Anschläge für die UN-Truppen fast zur Routine. Kramp-Karrenbauer fliegt mit schusssicherer Weste im Bauch eines Transportflugzeugs ins Krisengebiet, dort bewegt sich ihr Tross selbst innerhalb der Kaserne nur in gepanzerten Fahrzeugen. Das Programm beginnt mit einer Gedenkfeier für gefallene Soldaten. Der Truppe gegenüber gibt sich die Ministerin nahbar und unprätentiös. In der Kantine trägt sie ihr Tablett wie alle anderen selber weg. Würden mehr Deutsche sie hier in Mali erleben, wären ihren Umfragewerte wohl besser.

Ob Mali noch mal besser wird? Ein Anschlag auf zwei lokale Armeecamps mit mindestens 40 Toten bestätigte vergangene Woche eher den Verdacht, dass die Regierungstruppen trotz aller Ertüchtigungsversuche "ein Stück weit überfordert sind", wie Beobachter sagen. Ist der Einsatz bislang also zielgerichtet? Eher nicht. Aber die Anschlussfrage, die sich nicht nur Kramp-Karrenbauer stellt, lautet: "Was wäre die Alternative?"

Dieses Land sich selbst zu überlassen, scheint keine Option zu sein. Das könnte einen Flächenbrand in der gesamten Sahelzone auslösen, eine Krise, die wohl eher früher als später auch Europa erreichen würde. Mali ist so etwas wie eine Drehscheibe aller Probleme der Region: Terror, Menschenhandel, Drogenschmuggel, eine gelinde gesagt dubiose Regierung und dazwischen eine sehr junge Bevölkerung mit sehr schlechten Perspektiven und ohne jedes Vertrauen in ihren Staat. Es gibt wahrlich genug gute Gründe, aus diesem Land zu fliehen. Und es klingt wie eine Weckruf für die Heimat, wenn Kramp-Karrenbauer sagt: "Unser Engagement hier dient auch dazu, illegale Migrationsströme schon beim Entstehen zu verhindern." Sie will im Bundestag deshalb für eine Verlängerung des im Mai 2020 auslaufenden Mali-Mandats werben. Der Kern ihrer Botschaft am Reiseende lautet: Dies ist der Konflikt, der unsere Kinder beschäftigen wird, wenn wir uns vor Ort nicht darum kümmern: "Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir länger bleiben."

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SZ vom 09.10.2019/jael
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