Bundeswehr:Liegestütze über dem offenen Messer

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In der 50-jährigen Geschichte der Bundeswehr ist schon eine große Zahl von Misshandlungen Untergebener bekannt geworden.

Von Reymer Klüver

Es wird in diesen Tagen Momente gegeben haben, in denen Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) sich dafür verflucht haben dürfte, dass er den Mund bisweilen ein wenig zu voll nimmt: "Ein deutscher Soldat foltert niemanden", hatte er unter dem Eindruck der Misshandlungen von Irakern durch US-Soldaten im Gefängnis von Abu Ghraib posaunt.

Nun kann man sicher darüber streiten, ob es sich bei den Vorfällen von Coesfeld wirklich um Folter handelt. Der ermittelnde Oberstaatsanwalt zumindest hält das für "maßlos übertrieben".

Dass es aber "nicht tolerierbare" Misshandlungen waren, die sich in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne abspielten, das dürfte unstrittig sein. Und unstrittig ist auch, dass dieser Fall sich in eine lange Reihe so genannter "BVs", besonderer Vorkommnisse, einreiht, welche die Bundeswehr in ihrer fast 50-jährigen Geschichte erschüttert haben.

Das Merkwürdige an dem "BV Coesfeld" scheint zu sein, dass so viele -- nämlich bis zu 21 Männer — daran beteiligt waren. Und dass so viele Opfer so lange geschwiegen haben, weil sie das Verhalten ihrer Vorgesetzten offenbar als völlig normal empfanden.

Tatsächlich aber gibt es merkwürdige Übereinstimmungen zum bekanntesten Fall der Misshandlung von Untergebenen: 1963 machte der so genannte "Schleifer von Nagold" Schlagzeilen, der Rekruten mit unglaublicher Härte traktierte.

Einer überlebte nicht. Damals kam heraus, dass sinnloser Drill und Übergriffe durchaus System hatten: Die Wehrpflichtigen wurden immer wieder unnötigen Strapazen und menschenunwürdigen Schikanen ausgesetzt. So mussten sie über einem aufgestellten Messer Liegestütze ausführen.

Gerade eingezogene Wehrpflichtige wurden auf Nachtmärsche geschickt, die erst in späteren Ausbildungsstadien vorgesehen waren. Es kam aber auch heraus, dass nicht ein einzelner Ausbilder sich die Übergriffe zuschulden hatte kommen lassen. Vielmehr waren elf Personen daran beteiligt. Die Fallschirmjäger-Ausbildungskompanie 6/9 wurde daraufhin aufgelöst.

Die Bundesregierung reagierte unnachsichtig. Der damalige Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel (CDU) erklärte im Bundestag: "Die Vorfälle lassen erkennen, dass das Rechtsbewusstsein gestärkt werden muss. Vorgesetzte haben die Pflicht, das Recht zu achten. Untergebene haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich gegen das Unrecht zu wehren."

Diese Sätze haben auch vier Jahrzehnte später ihre Gültigkeit nicht verloren. Damals — wie jetzt wieder in Coesfeld — hatten die meisten der Opfer sich über die Behandlung nämlich nie beklagt.

Trotz aller Bemühungen, das Prinzip der Inneren Führung in die Köpfe der Soldaten einzupflanzen, ist es immer wieder zu BVs gekommen; doch das blieben Einzelfälle.

Erst im Frühjahr 2004 wurde ein Unteroffizier der Luftwaffe verurteilt, weil er fünf Untergebene in mehr als 50 Fällen geschlagen, gekniffen und gefesselt hatte. Im Jahr 2000 war ein Hauptgefreiter während einer Übung in der Rolle eines Kriegsgefangenen neun Stunden lang verhört worden.

Im Jahr zuvor war ein Oberfeldwebel degradiert worden, weil er einen flapsigen Spruch seines Vorgesetzten für bare Münze genommen und einen im Manöver gefangenen Kameraden misshandelt hatte. Sein Chef hatte angewiesen: "Foltern unter Beachtung der Genfer Konvention".

Degradiert wurde vor drei Jahren auch ein Oberleutnant an der Bundeswehr-Uni in München, der eine "Ausbildungshilfe mit Foltermethoden" verfasst hatte. Darin hatte er unter anderem empfohlen, mutmaßlichen Kriegsverbrechern die Augenlider abzuschneiden, um ihnen Informationen abzupressen. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass der Staatsanwalt das Wort Folter im Coesfelder Fall scheut.

© SZ vom 24.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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