Süddeutsche Zeitung

Anti-IS-Einsatz in Syrien und im Irak:Bleiben oder gehen?

  • Seit Oktober 2017 beteiligt sich die Bundeswehr von Jordanien aus am internationalen Kampfeinsatz gegen die Terrormiliz Islamischer Staat.
  • Aber es ist ungewiss, ob Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer noch einmal eine Mehrheit im Bundestag findet, um den Einsatz fortzusetzen.
  • Der britische Generalmajor Ghika, stellvertretender Kommandeur der Anti-IS-Mission, nennt den Beitrag der Deutschen "fundamental wichtig".

Von Mike Szymanski, Al-Azraq/Bagdad

So könnte die Mars-Oberfläche aussehen. Für den ungeübten Betrachter zeigt das Luftbild nur eine trostlose Landschaft. Karge Böden, ein paar sanfte Hügel vielleicht. Keine Straßen, keine Häuser. Bekommt Oberst Gero von Fritschen, 48 Jahre alt und Kommandeur, von seinen Auswertern Bilder wie diese auf den Tisch gelegt, wird daraus womöglich ein Auftrag.

Ein größerer schwarzer Punkt genügt schon, um seine Aufmerksamkeit zu wecken. Eine Höhle, wie die Auswerter vermuten? Vielleicht ein Versteck der Extremistenmiliz IS?

Gut möglich. Zur Klarheit müssen die deutschen Tornados in solchen Fällen abermals in den Himmel über Irak und Syrien aufsteigen und weitere Aufnahmen liefern. Finden die Piloten heraus, dass die Höhle regelmäßig aufgesucht wird, muss die Anti-IS-Koalition Soldaten dorthin schicken.

Camp Sonic, das Lager der Bundeswehr in Jordanien bei Al-Azraq. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat für ihre erste Reise in Einsatzgebiete der Truppe den Anti-IS-Kampf gewählt. Seit Oktober 2017 beteiligt sich die Bundeswehr mit knapp 300 Soldaten, vier Tornado-Aufklärungsjets und einem Tankflugzeug von Jordanien aus am internationalen Kampfeinsatz gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Im Irak sind zudem deutsche Militärausbilder stationiert.

Das Mandat läuft Ende Oktober aus. Aber dieses Mal ist es ungewiss, ob die Ministerin noch einmal eine Mehrheit im Bundestag findet, um den Einsatz fortzusetzen. Kramp-Karrenbauer will das unbedingt. Auch, weil Deutschland immer wieder vorgeworfen wird, sich international bei solchen Einsätzen zu wenig einzubringen. Der Koalitionspartner SPD sperrt sich. Die Opposition will raus aus dem Einsatz. "AKK" gegen alle. So ist die Lage. Sie sagt: "Es wäre ein Schlag für die Mission, wenn sich Deutschland zurückzieht." Der britische Generalmajor Christopher Ghika, stellvertretender Kommandeur der Anti-IS-Mission, nennt den Beitrag der Deutschen "fundamental wichtig". Ein Rückzug Deutschlands würde dem Einsatz einen "signifikanten Schlag" versetzen.

Sollte es zum Rückzug kommen, Fritschen hat seine 300 Soldaten darauf vorbereitet. Sie könnten am 1. November mit dem Abzug beginnen. "Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht." Sie könnten aber genauso weiterfliegen, ihre Mission fortsetzen. Für beendet hält er sie noch nicht.

Der IS hat sich in den Untergrund zurückgezogen

Der IS gilt zwar als militärisch geschlagen. Besiegt ist er aber nicht. Der Kampf gegen den IS hat sich in diesem Einsatzgebet verändert. Er hat seine Hochburgen verloren und sich in den Untergrund zurückgezogen - droht dort aber wieder zu erstarken. Bis zum Frühjahr hatte die internationale Anti-IS-Koalition versucht, vor allem mit Luft-Boden-Einsätzen die Extremisten aus ihren Stellungen zu verdrängen. "Die letzten großen Gefechte sind geführt", sagt Oberst von Fritschen. Nun gehe es um "gezielte Zugriffe" - und da komme der Beitrag der Deutschen ins Spiel.

Sie lieferten mit ihren hochauflösenden Kameras, die an den Kampfjets angebracht sind, die besten Aufnahmen. Natürlich werden auch Satelliten genutzt und Drohnen. Der Unterschied ist: Die Tornados sind schnell. Wenn eine Meldung über Auffälligkeiten kommt, düsen sie dorthin. Und beim Auswerten der Bilder, da gibt sich Fritschen unbescheiden, seien die Deutschen nun einmal im Kreis der Verbündeten ganz weit vorne. Wir liefern eine "Kernfähigkeit", sagt der Oberst.

Die Bundeswehr liefert mittlerweile die Hälfte aller Aufklärungsbilder aus Jets. Daneben fliegen noch die Franzosen und Italiener zur Aufklärung. Über Syrien sind die Deutschen nahezu die einzigen, die fliegen.

Der Einsatz wurde lange unter den Partnern belächelt. Andere Nationen kämpfen gegen den IS, nehmen Verluste in Kauf. Die Deutschen schauen quasi von oben drauf, machen Bilder und bilden Kämpfer aus. Als es noch die großen Gefechte gab und große Teile des Landes Kampfzone waren, hätte es auch nicht so dringend die detailgetreuen Bilder aus Deutschland gebraucht. Der IS hisste die Flagge dort, wo er war. Zu übersehen war er nicht. Er wollte gesehen werden. Es waren mal sechs Tornados in Jordanien stationiert. Jetzt sind es noch vier.

Die SPD fühlt sich hinters Licht geführt. Sie hatte sich unter großen Schmerzen in diesen Einsatz begeben. Seit fünf Jahren unterstützt Deutschland den Anti-Terror-Kampf in der Region. Der Schwerpunkt lag am Anfang bei der Ausbildung und Ausrüstung kurdischer Peschmerga-Kämpfer - auch mit Waffen. Es müsse aber auch einmal ein Einsatz zu einem Ende geführt werden, wenn sich die Lage geändert habe, argumentiert die SPD. Der kommissarische Fraktionschef Rolf Mützenich spricht von einem "angemessenen Beitrag", der geleistet worden sei. Nun sei es auch mal genug.

Dabeizubleiben, weil die anderen Partner es verlangten, zählt für ihn nicht. Bündnispolitische Erwägungen allein genügten nicht, seitdem mit Präsident Donald Trump "ein Rassist im Weißen Haus" sitze, der sich durch "Unberechenbarkeit und Egoismus" auszeichne, wie Mützenich in diesem Zusammenhang vor den Abgeordneten des Bundestags ausführte.

Mit der Union war schon fest verabredet, den Einsatz auslaufen zu lassen. Dies erklärte auch die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) so, als vor einem Jahr das Mandat verlängert wurde. Letztmalig, wie es hieß. Die Ministerin lobte noch, dass nun Planungssicherheit herrsche, es genügend Zeit gebe, andere Partner zu gewinnen, die für Deutschland einspringen könnten. Aber passiert ist offenbar nichts. Jedenfalls räumt Fritschen ein, dass bislang "vollkommen ungeklärt" sei, wie die Lücke geschlossen werden könnte. "Kurzfristig" - sei jedenfalls niemand dazu in der Lage. Dies kommt dann wiederum etwas überraschend für die beiden SPD-Abgeordneten aus der Delegation, Nils Schmid und Siemtje Möller, die bei der Reise überzeugt werden sollen, ihre Fraktionskollegen in Berlin doch noch umzustimmen.

Hat von der Leyen es mit dem angekündigten Ende des Mandates vor einem Jahr womöglich gar nicht so ernst gemeint? Sie war immer davon überzeugt, dass es für Deutschland gut wäre, eine kleine Basis wie die in Jordanien aufrechtzuerhalten. Vom militärischen "Fußabdruck" ist die Rede. Camp Sonic liegt in Al-Azraq, bei den jordanischen Streitkräften. Wer das Camp besichtigt, bekommt kaum den Eindruck, dass dort jemand nur vorübergehend bleiben will.

Im Irak können die internationalen Helfer wenige richtige Erfolge vorweisen

Die Straßen sind tadellos gemacht, die Bürgersteige korrekt gepflastert und es gibt Sportplätze für die Soldaten, die auch nach Einbruch der Dunkelheit gut ausgeleuchtet sind. Der Chef des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberstleutnant André Wüstner, nennt diesen Platz eine gemeinsame Drehscheibe für den Nahen Osten, sie habe große strategische Bedeutung. "Wenn Deutschland künftig weiter Verantwortung für die Region übernehmen will, sollte man unseren Teil der Basis nicht unüberlegt aufgeben", sagt er.

Am Abend, als es gesellig wird im Camp, sieht man die SPD-Abgeordnete Möller aus der Delegation Fotos mit den Soldaten machen - zur Erinnerung an einen Einsatz, den es bald nicht mehr gibt? Danach sieht das breite Lächeln in den Gesichtern aber nicht aus.

Annegret Kramp-Karrenbauer weiß, dass sie der SPD entgegenkommen muss. Mit den Aufklärungsjets sammelt sie Punkte bei den Partnern in der Anti-IS-Allianz. Und was es heißt, wenn sich internationale Truppen zu früh zurückziehen, kann man in Afghanistan beobachten. Da haben sich die Taliban zurückgekämpft. Das Land bleibt Kampfzone.

In der Nacht zu Dienstag trifft Annegret Kramp-Karrenbauer im Irak ein. Sie führt in Bagdad Gespräche mit der Zentralregierung. Am Nachmittag besucht sie die deutschen Truppen im Militärkomplex Tadschi, 27 Kilometer nördlich von Bagdad. Der Montag in Jordanien sei schon einer der aufregendsten Tage in ihrem Leben gewesen, hatte Kramp-Karrenbauer am Abend zuvor zu den Soldaten gesagt. Was wird sie wohl nach diesem Tag denken? Es ist heiß, mehr als 40 Grad Celsius. Staubig. In Tadschi liegt ein gigantischer Panzerfriedhof. Hier war der Standort der Leibgarde des 2003 gestürzten Diktators Saddam Hussein. Heute bringen dort Bundeswehrsoldaten den irakischen Streitkräften bei, Angriffe mit chemischen und biologischen Waffen abzuwehren, Führungsstrukturen zu verbessern. Im Irak können die internationalen Helfer wenige richtige Erfolge vorweisen - aber Polizei und Armee sind besser geworden. Auch durch Hilfe der Deutschen.

Die Tornados im Einsatz belassen und stattdessen die Ausbilder abziehen - auch davon ist immer wieder die Rede, wenn es darum geht, der SPD im Streit entgegenzukommen. Eine solche Entscheidung dürfte Kramp-Karrenbauer nach diesem Besuch kaum leicht fallen.

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