Bundeswehr:Köhlers Vermächtnis

Bundespräsident Köhler in Afghanistan

Am Tag vor dem folgenreichen Interview: Bundespräsident Horst Köhler am 21. Mai 2010 beim Besuch der Bundeswehr in Masar-i-Scharif.

(Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Umstrittene Auslandseinsätze: 2010 stieß der damalige Bundespräsident eine Debatte an - plötzlich ist sie wieder aktuell.

Von Nico Fried, Berlin

Das Interview mit dem Bundespräsidenten wurde am 22. Mai 2010 um 7.51 Uhr im Deutschlandradio Kultur gesendet, es war Pfingstsamstag. Vielleicht deshalb begann der eigentliche Aufruhr in Politik und Medien erst fünf Tage später. Vor allem aus dem Lager der damaligen Opposition von SPD, Grünen und Linken hagelte es Kritik. Am 31. Mai um kurz nach 14 Uhr verkündete das Staatsoberhaupt seinen Rücktritt.

Ob die Vorwürfe angesichts seiner Äußerungen zu möglichen Aufgaben der Bundeswehr wirklich der Grund für Horst Köhlers Abgang waren oder er sie nur zum Anlass nahm, aus dem Amt zu fliehen, ist bis heute unklar. Fest steht: Genau die Debatte, die er damals anregte, führt die deutsche Politik derzeit am Beispiel einer Marinemission im Persischen Golf. Und dabei fällt auf, dass Köhlers Vermächtnis neun Jahre später zumindest in einer ganz anderen Tonlage diskutiert wird - auch in Parteien, aus denen damals harte Kritik kam.

Köhler war auf dem Rückweg aus Afghanistan, als er im Flugzeug ins Mikrofon eines Reporters sagte: "Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege."

Die Straße von Hormus südlich von Iran ist so ein Handelsweg. Und die informelle Koalition der Parteien in Deutschland, die sich nach der Festsetzung mehrerer Schiffe durch iranische Revolutionsgarden einen Einsatz der Bundeswehr im Rahmen einer Mission der Europäischen Union und nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen vorstellen können, ist breit. CDU-Außenpolitiker wie Norbert Röttgen, der für eine von Deutschland und Frankreich geführte Mission der EU plädiert, oder Roderich Kiesewetter ("Die Glaubwürdigkeit Europas steht massiv auf dem Spiel") sind sowieso dafür. Doch auch in anderen Parteien wird inzwischen laut nachgedacht.

Nach Köhlers Äußerungen 2010 war das noch ganz anders. Das lag auch am Präsidenten selbst, weil sein inkriminierter Satz so kompliziert war, dass viele ihn - wohl irrtümlich - speziell auf den Einsatz in Afghanistan bezogen. Köhler schade der Akzeptanz der Auslandseinsätze, schimpfte zum Beispiel Thomas Oppermann, damals parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion. Deutschland führe in Afghanistan keinen Krieg um Wirtschaftsinteressen, es gehe um die Sicherheit Deutschlands. "Wir wollen keine Wirtschaftskriege", so Oppermann. Der damalige Vorsitzende der Linken, Klaus Ernst, sagte, Köhler habe ausgesprochen, was nicht zu leugnen sei. "In Afghanistan riskieren Bundeswehrsoldaten Gesundheit und Leben für die Exportinteressen riesiger Konzerne."

Deutschland müsse helfen, dass Europa "weltpolitikfähig" werde, sagt Grünen-Chef Robert Habeck

Ein Sprecher des Bundespräsidialamtes versuchte damals, die Wogen zu glätten: Köhler habe Einsätze wie die EU-Mission Atalanta gemeint, in deren Rahmen auch die Bundeswehr bis heute vor dem Horn von Afrika aktiv ist. Das Mandat bezieht sich allerdings prioritär auf den Schutz von Versorgungsschiffen des Welternährungsprogramms. Einer, der Köhler durchaus allgemeiner verstanden hatte, war Jürgen Trittin, wie das maritime Sprachbild nahelegt, dass der damalige Fraktionschef der Grünen gegen den Präsidenten in Stellung brachte: "Wir brauchen weder Kanonenboot-Politik noch eine lose rhetorische Deckskanone an der Spitze des Staates."

Und heute? Die Linke ist bei ihrer Ablehnung militärischer Einsätze geblieben. Die SPD, namentlich Außenminister Heiko Maas, setzt sich für eine Beobachtermission der EU ein, um Informationen über Gefährdungen der Handelsschifffahrt zu sammeln, ohne militärisch einzugreifen. SPD-Verteidigungspolitiker diskutieren dies nicht mehr grundsätzlich, sondern eher mit Blick auf ihre Praktikabilität. So warnte der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels vor begrenzten Kapazitäten der Marine. Verteidigungsexpertin Siemtje Möller argumentierte gegenüber der Funke-Mediengruppe ähnlich, stellte aber klar: "Sollte es zu einem gemeinsamen europäischen Handeln kommen, würde Deutschland sicherlich auch seinen Beitrag leisten."

Besonders bemerkenswert sind indes die Worte von Grünen-Chef Robert Habeck. Er sagte der Passauer Neuen Presse, wenn alle diplomatischen Mittel ausgeschöpft seien, "können wir uns eine Beteiligung Deutschlands an einer europäischen Mission vorstellen, wenn das hilft zu deeskalieren und es eine klare Rechtsgrundlage gibt". Deutschland müsse in Verantwortung gehen und mithelfen, dass Europa "weltpolitikfähig werden" könne. Jürgen Trittin bleibt skeptisch, wenn auch in moderaterem Ton als 2010: Grundlage für einen Einsatz müsse ein Mandat der Vereinten Nationen sein.

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