Bundeswehr:Jenseits des Grundgesetzes

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Was dürfen Bundeswehrsoldaten und was nicht? Zwei Bundeswehrsoldaten und ein Peshmerga-Kämpfer am 27. Oktober 2015 im Ausbildungslager in Erbil im Irak. (Foto: dpa)

Laut Grundgesetz darf die Bundeswehr nur zur Verteidigung eingesetzt werden. Um Auslandseinsätze hinreichend zu legitimieren, braucht es eine neue Wehrverfassung.

Kommentar von Heribert Prantl

Zu einem Buch, das ein unentbehrlicher Ratgeber ist, sagt man "Vademecum". Das kommt aus dem Lateinischen und heißt so viel wie "Geh mit mir!" Es gibt solche unentbehrlichen Ratgeber für alle Berufsgruppen und alle Lebenslagen. Der unentbehrliche Ratgeber für Staatsbürger, auch für die Staatsbürger in Uniform, heißt Grundgesetz: Dort sind die Grundrechte formuliert, die ziemlich verlässliche Begleiter der Bürger geworden sind.

Wenn es freilich um Auslandseinsätze der Bundeswehr geht, dann ist es aus mit dem Vademecum. Geh mit mir? Das Grundgesetz geht nicht mit den deutschen Soldaten ins Ausland. Die finden dort zu dem, was sie in Afghanistan tun oder im Syrien-Krieg tun sollen - fast nichts.

Die geschriebene Wehrverfassung als Teil des Grundgesetzes befindet sich auf dem Stand von 1956. Das Grundgesetz muss aber Antworten geben auf die Fragen, in denen es um die Staatsgewalt im Wortsinn, um Leben und Tod, um Freiheit und Sicherheit geht. Bei den Fragen, die man sich stellt, wenn, wie soeben, vom Kabinett ein Bundeswehr-Einsatz im Syrien-Krieg beschlossen wird, gilt das leider nicht. Man findet im Grundgesetz keine hinreichend klaren und zuverlässigen Maßstäbe, an denen solche Auslandseinsätze zu messen sind.

Das Grundgesetz erlaubt den Einsatz der Bundeswehr nur zur Verteidigung

Das Grundgesetz ist ein blinder Spiegel: Man schaut hinein, erkennt aber dort die Bundeswehr nicht mehr. Das Grundgesetz beschreibt eine Truppe, die es nicht mehr gibt. Das Sein und das verfassungsrechtliche Sollen der Bundeswehr passt nicht mehr zueinander. Im Weißbuch der Bundeswehr wird die Truppe ganz selbstverständlich als "Instrument einer umfassend angelegten Sicherheitspolitik" beschrieben.

Man kann nun das Grundgesetz von vorn nach hinten und von hinten nach vorn durchblättern - davon findet man dort kein Wort. Die tatsächliche Verfassung, in der sich die deutsche Armee befindet, hat mit der Aufgabenbeschreibung, die die deutsche Verfassung von ihr gibt, nicht mehr viel zu tun.

Das Grundgesetz beschreibt die Bundeswehr noch immer mit den Sätzen aus den Fünfzigerjahren. Damals wurde Artikel 87 a ins Grundgesetz eingeführt, der, nach heftigem Streit um diese Wiederbewaffnung, "zur Verteidigung aufgestellte Streitkräfte" beschloss. Erlaubt ist also der Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung; das ist deren Primärfunktion. Die Wahrnehmung sogenannter Sekundärfunktionen ("außer zur Verteidigung") setzt die ausdrückliche Zulassung durch das Grundgesetz voraus. An dieser Ausdrücklichkeit haperte es bei fast allen bisherigen Auslandseinsätzen.

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Das Verfassungsgericht musste helfen. In drei großen Leitentscheidungen wurden verfassungsrechtliche Grundlagen für Auslandseinsätze geschaffen. Am wichtigsten: Der Artikel 24 Grundgesetz, der den Bund zum Eintritt in ein System kollektiver Sicherheit ermächtigt, bietet - so sagen es die höchsten Richter - auch die Grundlage "für eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems stattfinden". Das bringt mehr, aber nicht ausreichende Klarheit.

Beim Syrien-Einsatz kommt man damit nicht sehr weit. Die Bundesregierung versucht daher, den geplanten Einsatz nicht nur auf eine, sondern auf mehrere Rechtsgrundlagen zu stützen. Juristen wissen: Wenn man so viele Anspruchsgrundlagen bemühen muss, ist jede für sich dürftig. Drei oder vier hinkende Beine ergeben zusammen kein gesundes.

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Verteidigung ist kein unbestimmter Rechtsbegriff

Es gibt Verfassungsjuristen und Politiker, die daher einfach den Verteidigungsbegriff neu definieren wollen. Sie meinen, Verteidigung sei viel mehr als nur Landesverteidigung, Verteidigung setzte also nicht unbedingt die Verteidigung eines angegriffenen deutschen Territoriums voraus; das Grundgesetz begrenze nicht den geografischen Einsatzraum der Bundeswehr, sondern lege den politischen Einsatzzweck fest. Deutschland verteidigen könne man daher überall, am Hindukusch, in Aleppo, auf hoher See und im Weltraum. Das klingt pfiffig. Aber mit bloßer Pfiffigkeit ist dem Ernst des Anliegens nicht gedient. Verteidigung ist kein unbestimmter Rechtsbegriff, der jedwede Ausfüllung jedweden Angriff auf einen Gegner zulässt, wenn man ihn - oder er sich - als "Feind" definiert hat.

Die verfassungsrechtlichen Probleme, die militärische Auslandseinsätze mit sich bringen, müssen durch verantwortungsvolle Politik gelöst werden: Das ist der Inlandseinsatz, der von den Auslandseinsätzen erzwungen wird. Die Wehrverfassung muss neu und so geschrieben werden, dass auch ohne jeweilige Anrufung des Verfassungsgerichts einigermaßen erkennbar ist, was militärisch zulässig ist und was nicht. Das ist der Staat des Grundgesetzes seinen Bürgern schuldig.

© SZ vom 02.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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